Junge Mütter stärken: „Jetzt habe ich es geschafft!“

Seit zwei Jahren gibt es das Mutter-Kind-Wohnen Sankt Hildegard in Memmingen

Ein roter Kinderwagen, in dem ein drei Monate altes Mädchen schläft, ein blaues und ein rosafarbenes Dreirad. Beim Betreten des Hauses auf dem Gelände von Sankt Hildegard in Memmingen, einer Einrichtung der KJF Kinder- und Jugendhilfe, wird sofort klar: Hier wohnen einige Kinder.

Vom Flur geht es in ein geräumiges Esszimmer mit einem großen quadratischen Tisch und acht Stühlen rundherum. Eine Terrassentür führt in den Garten, in dem eine Nestschaukel, eine Rutsche, ein Sandkasten und weitere Fahrgeräte für kleine Kinder stehen. Dem Esszimmer gegenüber liegt die Küche, in ihr stehen drei junge Frauen am Herd, ein zweijähriger blonder Junge wuselt zwischen ihren Beinen herum. Eine der Frauen ist hochschwanger. Die unterschiedlichen Größen und Formen der Schwangerschaftsbäuche sind gerade Gesprächsstoff der drei Frauen, während sie gemeinsam Dampfnudeln mit Vanillesoße kochen. Punkt zwölf steht das Mittagessen auf dem Tisch.

Über dem Esstisch hängt eine rosafarbene Girlande mit „Happy Birthday“-Schriftzug. Vor ein paar Tagen ist Janines Tochter ein Jahr alt geworden und wurde von den Hausbewohnern gefeiert. Anstrengend sei der Tag für sie gewesen, erzählt die 17-jährige Janine. Zwei Kuchen in Form der „Hello Kitty“-Katze hat sie für die Geburtstagsfeier gebacken, dazu Essen gekocht. „Ich habe nicht viel geschlafen in den letzten Tagen“, sagt sie. Aber es sei ein schönes Fest gewesen, auch wenn sie schon auch ein bisschen traurig darüber war, dass ihre Kleine jetzt schon so groß geworden ist.

Vor gut einem Jahr zog Janine im Mutter-Kind-Wohnen Sankt Hildegard ein. „Ich bin schwanger hierher gekommen, zwei Wochen vor der Geburt“, erzählt die junge Frau mit den langen rötlich-braunen Jahren. „Damals war ich noch gar nicht so weit, dass ich begriffen hätte, dass ich ein Kind in mir trage. Ich war darauf gar nicht vorbereitet. Aber als die Kleine dann da war, habe ich sie sofort in mein Herz geschlossen.“ Das erste Jahr sei nicht immer leicht gewesen, ihre Tochter habe viel geweint, konnte nicht schlafen, auch mit den anderen Müttern im Mutter-Kind-Wohnen gab es am Anfang Reibereien, berichtet Janine. „Aber ich habe versucht, das Beste draus zu machen und jetzt habe ich es geschafft.“

Der Meinung ist auch Diplom-Pädagoge Florian Galuschka, der für das Mutter-Kind-Wohnen zuständige Erziehungsleiter. Er findet, Janine habe im vergangenen Jahr tolle Fortschritte gemacht. „Ein Ziel unserer Arbeit ist es, die jungen Mütter dazu zu befähigen, dass sie starke Frauen werden, die mit beiden Beinen im Leben stehen.“ Janine beginnt in wenigen Tagen eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Und ist damit schon einen großen Schritt weiter auf dem Weg hin zu einem selbstständigen Leben, auf das die jungen Frauen im Mutter-Kind-Wohnen vorbereitet werden sollen.

Dorthin werden sie vom Jugendamt und aus unterschiedlichen Gründen geschickt: Manche Frauen haben psychiatrische Auffälligkeiten oder eine geistige Behinderung, andere sind stark verwahrlost, haben bisher auf der Straße oder in Obdachlosenunterkünften gelebt. Allen gemeinsam ist, dass sie keinerlei Rückhalt durch ein soziales Netz oder ihre Familien haben, sie haben keine große berufliche Perspektive, häufig auch keinen Schulabschluss und wenig Selbstvertrauen. Alle haben sie viel Stress erlebt – mit dem Jugendamt, eventuell auch mit dem Gericht, mit dem Partner, mit den Eltern. Es bestehen starke Abhängigkeiten zum Beispiel finanzieller Art von Ämtern und häufig auch Schulden. Durch einen Einzug ins Mutter-Kind-Wohnen soll diese Spirale durchbrochen werden, damit der neue Erdenbürger möglichst gute Startbedingungen hat und die Mutter-Kind-Beziehung von Anfang an wachsen darf. Diplom-Pädagoge Galuschka erklärt: „Früher haben die Jugendämter den Müttern die Kinder schnell weg genommen, aber das führte zu einer Traumatisierung der Mutter. Inzwischen ist es darum üblich mit den Müttern zu arbeiten, und den Aufbau einer guten Mutter-Kind-Beziehung aktiv zu fördern. Die Mütter können bei uns erst einmal an- und runterkommen. Sie müssen sich mit ihrer neuen Rolle anfreunden, sich auf sich und ihr Baby konzentrieren können. Die Mitarbeiterinnen leiten sie an, erklären, sind manchmal auch unangenehm und nerven. Denn: Was wir nicht machen, ist, den Müttern das Kind abzunehmen.“

Zwischenzeitlich hat sich Mitarbeiterin Michaela Simmling zu den Müttern an den großen Esstisch gesetzt. „Was hat Ihr Sohn heute morgen gefrühstückt?“ „Wie lang schläft Deine Tochter jetzt eigentlich schon?“ Die Mitarbeiterinnern siezen die Mütter, die Mütter untereinander duzen sich. Und die Kinder sind natürlich das Hauptgesprächsthema der Frauen am Essenstisch. Die Mitarbeiterinnen begleiten Mütter und Kinder durch den Tag, sind beim gemeinsamen Kochen und Essen des Mittagessens dabei, leiten die Hausarbeiten an, machen gemeinsam mit den jungen Müttern und ihren Kindern Ausflüge, sind Ansprechpartner bei allen Fragen rund um die Erziehung und den Alltag.

Die Arbeit der pädagogischen Mitarbeiter im Mutter-Kind-Wohnen ist sehr individuell. Denn jede Mutter bringt natürlich ihre ganz eigene Lebensgeschichte mit und steckt in einem komplexen Geflecht unterschiedlicher Beteiligter. Da gibt es verschiedene Interesse. Die Mitarbeiterinnen im Mutter-Kind-Wohnen müssen darum selbst sehr lebenserfahren und flexibel, rechtlich kompetent, reflektiert im Umgang mit den Müttern sein und manchmal auch viel aushalten können. Während die jungen Frauen im Mutter-Kind-Wohnen leben, sollen sie möglichst einen Schulabschluss machen, in Praktika herausfinden, welcher Beruf sie interessieren würde und einen Ausbildungsplatz finden. Auch ein soziales Netzwerk wird aktiv mit den Frauen aufgebaut. Sie sollen andere Mütter kennenlernen, zum Beispiel in Babykursen. Es ist vor allem für das Leben nach dem Mutter-Kind-Wohnen wichtig, dass die Mütter wissen, wo sie Hilfe bekommen.

Für die Zeit nach dem Mutter-Kind-Wohnen hat Erziehungsleiter Galuschka für Janine und die anderen Mütter einen Wunsch: „Wenn Sie hier rausgehen, wünsche ich mir, dass sie ihr eigenes Leben führen können und nie mehr mit dem Jugendamt zu tun haben müssen.“