Kempten diskutiert über möglichen Neubau der Stadtbücherei

Stadtbücherei sucht Heimat

Kempten…Ungern trennt sich der Mensch vom Bewährtem. So ist es auch der Fall in Kempten, wo seit Anfang 2017 immer wieder ein Umzug der bestehenden Stadtbücherei angedacht wird. Die ist seit 1963 in der Orangerie der Hofgartenanlage, einem Gebäude das Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein 1780 erbauen liess und in dessen Räumen zur Winterzeit Pomeranzen, Palmen und Zitruspflanzen untergebracht wurden, beheimatet. Nun aber genügt das barocke Gebäude nicht mehr den Ansprüchen moderner Zeiten. Mit 1.500 Quadratmetern stösst die Stadtbibliothek an räumliche Grenzen und ein erforderlicher barrierefreier Umbau ist nur mit großem finanziellen Aufwand möglich. So äußerte ausgerechnet Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle 2017 den Vorschlag vis á vis vom neuen Sparkassengebäude auf der Zumsteinwiese einen Neubau für eine Stadtbibliothek zu errichten. Grundsätzlich soll mit einem Umzug der Bücherei ein weiterer Magnent und Frequenzbringer für den Einzelhandel in der nördlichen Innenstadt geschaffen werden. Außerdem entstünde im Verbund mit dem Ende 2019 fertiggestellten Kempten-Museum im Zumsteinhaus ein kultureller Hotspot. Da es aber viele Liebhaber des alten Standortes in der Orangerie gibt, wurde seither das Thema Neubau Stadtbücherei zum Stadtgespräch.

Viele Standorte möglich

Das nahm nun die führende Tageszeitung des Allgäus, die Allgäuer Zeitung, zum Anlass, zum einen ihre Leser online über die verschiedenen Standorte abstimmen zu lassen und zeitgleich bei einer AZ-Podiumsdiskussion mit ihren Lesern und Oberbürgermeister Thomas Kiechle über die Zukunft der Stadtbücherei zu sprechen. Neben den bereits angesprochen Standorten Orangerie und Zumsteinwiese sind in der Zwischenzeit weitere Vorschläge hervorgebracht worden. So wird ein Abriss der Schwaigwiesschule erwägt, um an gleicher Stelle ein neues Gebäude zu errichten, das gemeinsam von der Volkshochschule und der Bücherei genutzt wird. Des weiteren brachte die Sparkasse den Vorschlag ins Spiel an ihrem alten Gebäude an der Königstraße im Zuge einer möglichen Quartierserneuerung dort die Stadtbücherei unterzubringen. Befürworter des alten Standortes brachten zudem eine Erweiterung der bestehenden Nutzflächen im leerstehenden Gebäude der ehemaligen Wirtschaft „Klecks" aufs Tableau. Ebenso konnten sich einige auch einen Neubau auf der nordöstlichen Hofgartenwiese vorstellen. Die Allgäuer Zeitung veröffentliche am Abend im Rahmen der Podiumsdiskussion im ehemaligen Soldatenheim das Ergebnis ihres Onlinevotings: Orangerie 169 Stimmen | Klecks 152 Stimmen | Schwaigwiessschule 79 Stimmen | Zumsteinwiese 57 Stimmen | Sparkassenneubau 47 Stimmen und Hofgartenwiese 26 Stimmen. Somit ergab sich ein Überhang an Stimmen für die Gegner eines Neubaus. Eine Ad-hoc Abstimmung im Saal des Soldatenheimes brachte am Abend allerdings ein anderes Ergebnis: Hier votieren jeweils die Hälfte der Besucher für Pro oder Contra Neubau. 

Ja zu neuem Standort

Als weitere Diskutanten des Abends konnte die Allgäuer Zeitung den Stadtheimatpfleger Tilmann Ritter, die Leiterin der Stadtbücherei Kempten Andrea Graf, den 1. Vorsitzenden des City-Management Kempten und Geschäftsleiter von Mode Reischmann Christian Martinsohn und den Direktor der Münchener Stadtbibliothek Dr. Arne Ackermann begrüßen. Die Veranstaltung wurde von den beiden Redaktionsleitern der AZ Markus Raffler und Peter Januschke geleitet. Neben Oberbürgermeister Thomas Kiechle zeigten sich alle Gesprächsteilnehmer als Befürworter eines Neubaus. Für die Leiterin der Stadtbücherei Andrea Graf würde eine Renovierung viel Geld verschlingen und niemals die erforderlichen Ergebnisse bringen. Darüber hinaus kann sich Andrea Graf eine höhere Besucherfrequenz vorstellen, wenn die Stadtbücherei mehr ins Zentrum der Innenstadt rücken würde. Dem stimmt auch Stadtheimatpfleger Tilmann Ritter zu. Zwar sei die alte Stadtbücherei für ihn zur „Heimat" geworden, allerdings sieht Ritter mit Blick auf das Ganze ein Neubau in der nördlichen Innenstadt als verheizungsvolle Weichenstellung an. Der Leiter der Stadtbibliothek München fügt ergänzend hinzu, dass moderne Stadtbüchereien nicht mehr nur Orte des reinen Buchausleihens sind, sondern vielmehr den Besuchern Aufenthaltsflächen mit hoher Aufenthaltsqualität bieten und zu Interaktionsflächen mutieren. Vielmehr seien diese in Zeiten der Digitalisierung der ideale Ort um u.a. Medienkompetenz zu vermitteln. Auch Dr. Ackermann lehnt daher eine teure Sanierung und Weiternutzung der Orangerie ab. Als weiterer Gast der Runde spricht sich der 1. Vorsitzende des City-Managements Kempten und Geschäftleiter Christian Martinsohn von Mode Reischmann für einen Standortwechsel aus. „Natürlich erhoffen wir uns von einem Neubau der Stadtbücherei neuen Schub für den Einzelhandel rund um den Hildegardplatz. Hier wurden seitens der Stadt Millionen zur Sanierung des Quartiers in die Hand genommen, ein Weg, der nun mit weiteren baulichen Ergänzungen beschritten werden sollte.", so Christian Martinsohn.

Mehr Zweifel als Zuspruch

Natürlich bekamen auch viele Gäste der AZ-Podiumsdiskussion die Gelegenheit sich zu Wort zu melden. Dabei überwogen in den Äußerungen allerdings mehr Skepsis und Zweifel am Vorhaben die alte Stadtbücherei an einen neuen Standort zu verpflanzen. Grundsätzlich wird die Verbauung der Zumsteinwiese kritisch gesehen. Eine Verdichtung mit neuen Gebäuden würde den historischen Charakter der Umgebung in Mitleidenschaft ziehen und Sichtachsen vom Stadtpark zur Basilika St. Lorenz versperren, so einige der Stimmen. Vielmehr konnten sich einige der zu Wort Gekommenen vorstellen, dass der nördliche Teil der Orangerie baulich erweitert wird. Zudem sei eine Bücherei grundsätzlich ein Ort der Ruhe und der Kontemplation und daher bevorzugt in ruhigem städtischem Umfeld zu verorten. „Nicht jede öffentliche Einrichtung muss im unmitlelbarem fußläufigem Bereich des Einzelhandels sein.", so ein junger Mann, der sich als bekennender Liebhaber des Standortes Orangerie outet. Eine der Stimmen des Publikums stellte Oberbürgermeister Thomas Kiechle die Frage, wie bei einem Neubau der Stadtbücherei auf der Zumsteinwiese mit der Festwoche zu verfahren sei: „Dürfen dann alle Besucher der Festwoche auch die Räume der Bücherei mitbenutzen?", so die provokante Frage der Besucherin, die sich im Zweifel auch einen Bürgerentscheid über die gesamte Angelegenheit vorstellen könne. Solche Äußerungen locken den sonst so gelassenen Oberbürgermeister aus der Reserve und dieser beginnt mit kraftvollen Worten seine Vision einer neuen Stadtbücherei im Gesamtkonzept einer innerstädtischen Entwicklung zu verteidigen. Dabei wird deutlich, dass OB Kiechle nicht nur den Bau einer selbigen im Auge hat sondern mit der Wahl des Standort die weitere positive städtebauliche Entwicklung Kemptens unterstützen möchte. Als Lenker der Geschicke der Stadt weiss Kechle, dass ein Oberbürgermeister nicht nur an die derzeit 8.000 aktiven Leser der Stadtbücherei denken darf sondern die Wünsche aller Bürger und gesellschaftlichen Gruppen zu berücksichtigen hat.

Fakten:

· Stadtbücherei Kempten
· 1963 in den Räumen der Orangerie eröffnet
· 1.500 Quadratmeter Fläche (800 Quadratmeter Nutzfläche / 700 Quadratmeter Öffentlichkeitsfläche)
· 8.000 aktive Leser
· 130.000 Medien aller Art (Bücher, Hörbücher, Spiele, Zeitschriften uvm.)
· 24-Stunden Rückgabe-Service
· geplante Größe eines Neubaus der Stadtbücherei 2.000-3.500 Quadratmeter
· geschätzte Kosten: 10-12 Millionen Euro