Diskussion zur Stärkung der Suchthilfe in Augsburg – aus der Sicht des Ordnungsreferenten

Frank Pintsch

Diskussion zur Stärkung der Suchthilfe in Augsburg – aus der Sicht des Ordnungsreferenten

cropped-1713861569-201028-frankpintsch-8-nikkymaier
Bild: Nikky Maier
1) Sucht ist in der Mitte unserer Gesellschaft
 
Eines hat die öffentliche Diskussion in den letzten Wochen bestätigt: Die Problematik „Sucht“ ist mitten in unserer Gesellschaft und auch in Augsburg ein Thema. Und die Herausforderungen werden stärker, das zeigen auch Blicke in andere Städte. Notarzteinsätze nehmen zu, neue illegale Substanzen verschärfen die Situation sichtbar. Es besteht unstreitig Handlungsbedarf, dem sich die Stadt Augsburg und die ganze Bevölkerung stellen muss.

 
Das Polizeipräsidium und die Stadt arbeiten eng und intensiv zusammen, wenn es um die repressive Bekämpfung von Drogenhandel geht. Die Stadt Augsburg, der Bezirk Schwaben und starke Träger wie die Drogenhilfe Schwaben und der SKM kooperieren seit Jahren, um suchterkrankten Menschen zu helfen, Präventionsangebote zu erweitern und die Auswirkungen für die Bevölkerung bestmöglich zu mindern. Auch der Bezirk Schwaben als Träger der Suchthilfe ist hier sehr engagiert und hat in Kooperation mit der Stadt bereits einen siebenstelligen Betrag für die nächsten Jahre bereitgestellt. Besonders wichtig ist bei dem Thema auch der Jugend- und Kinderschutz. Die Stadt legt hier mit eigenem Personal einen besonderen Schwerpunkt, um die Jugendsuchtprävention voranzutreiben. Und auch das Hilfeangebot in der Stadt Augsburg ist vielfältig vorhanden: in der Stadt gibt es bereits mehrere große, dezentrale Hilfeeinrichtungen für Suchterkrankte, etwa in der Innenstadt in der Nähe des Königsplatzes mit einer Substitutionsambulanz, das Bezirkskrankenhaus mit vielfältigen Substitutionsangeboten im Stadtteil Kriegshaber, weitere große soziale Hilfeeinrichtungen mit befinden sich z.B. im Domviertel, in Göggingen oder in Pfersee. Alle diese Einrichtungen laufen problemlos – und sind zweifellos ein Segen für Augsburg und alle Menschen in der Stadt. Augsburg „kann“ Hilfeeinrichtungen, das wird jeden Tag bewiesen.
 
2) Hilfe vor Ort als entscheidender Schlüssel
 
Beratungs- und Aufenthaltsangebote und die Vermittlung in die Substitution – also in die medizinische Versorgung – sind der entscheidende Schlüssel einer wirksamen gesundheits- und ordnungspolitischen Suchtpolitik. Niemand findet illegale Suchtmittel gut oder richtig und sie beeinträchtigen das Leben von zahlreichen Menschen – wir werden die Probleme aber nur mindern, indem wir starke Hilfeangebote machen. „Nur“ Repression bringt isoliert gar nichts und funktioniert auch nicht, das haben die weltweiten Erfahrungen gezeigt. Suchterkrankungen und auch deren negative Auswirkungen werden wir nur effektiv angreifen und die Situation spürbar verbessern können, wenn wir jeweils vor Ort in den Stadtteilen den betroffenen Menschen ein niederschwelliges Angebot eröffnen. Die Erreichbarkeit vor Ort ist ein entscheidender Faktor. So sehr der Wunsch von Anwohnenden nach einem „Wegnehmen“ oder „Verdrängen“ des Problems aus einem Stadtteil nachvollziehbar ist, so klar muss auch die Antwort darauf sein: Augsburg hat über das ganze Stadtgebiet verteilt Angebote, denn die Herausforderungen von Sucht müssen dort gelöst werden, wo sie sind: dezentral vor Ort in den Stadtteilen.


In der wissenschaftlichen Literatur und Praxis der Suchthilfe hat sich weltweit ein Ansatz durchgesetzt, nach dem konsumierende Menschen dort abgeholt werden, wo sie sind. Dies bedeutet einerseits Angebote zur Änderung der Alltagsgestaltung sowie die Unterstützung beim Weg in Substitution. Und andererseits die Bereitstellung von hygienischen Materialien und insbesondere sicheren Entsorgungsmöglichkeiten, dem sogenannten Safer-Use-Ansatz. Safer-Use-Konzepte dienen als Überlebenshilfe für kranke Menschen, haben aber, was in der aktuellen Diskussion entscheidend ist, nachweisbar starke positive Effekte für alle Bürgerinnen und Bürger im öffentlichen Raum und die Umgebung – Sauberkeit, Sicherheit, Lebensqualität –, minimieren offensichtlich gesellschaftliche Kosten und steigern das Sicherheitsgefühl. Dieser breite Ansatz ist der einzig erfolgversprechende und hilft allen Bürgerinnen und Bürgern.
 
Der Augsburger Stadtrat hat deshalb in seiner Sitzung am 14.12.2023 – einstimmig – den Beschluss zum „Gesamtkonzept Helmut-Haller-Platz und Weiterentwicklung der Suchthilfe in Augsburg“ gefasst. Der Auftrag des Stadtrats lautete: es soll ein deutlich verbessertes und breiteres Hilfe- und Aufenthaltsangebot, das örtlich vom Helmut-Haller-Platz wegverlagert werden soll, entstehen. Die Suche sollte auch mit einer transparente Bürgerinnen- und Bürgerinformation erfolgen. Allen Stadträtinnen und Stadträten war dabei klar, dass reine „Verdrängung“ gar nichts bringt, sondern die Herausforderung vor Ort gelöst werden muss. Nur so kann auch den ordnungspolitischen Zielen, nämlich Sicherheit und Sauberkeit für alle Menschen, ebenfalls entsprochen werden.
 
3) Die Standortsuche
 
Für die Standortsuche, die natürlich nicht einfach und deren Sensibilität allen klar ist, sind folgende Faktoren wichtig:
 
·       Ausreichendes Platz- und Raumangebot mit Entwicklungsmöglichkeiten
·       ÖPNV-Anbindung
·       Erreichbarkeit von Bezirkskliniken, Substitutionspraxen und Apotheken
·       Möglichkeit, Praxisräume unterzubringen (Substitution, Hausärztliche Versorgung,)
·       Möglichkeit, soziale Beratungs- und Unterstützungsangebote unterzubringen
·       Umfeld- und Anliegerinteressen (z.B. Umfeldmanagement und Reinigungsteams)
·       Fördermöglichkeiten (Städtebauförderung, z.B. „Soziale Stadt“ etc.)
·       Zeitnahe Verfügbarkeit im Quartier
·       Stärkungsmöglichkeit für die räumliche Umgebung (Café, Kulturangebot, Seminarräume etc.)
·       Vermieter/ Kooperationspartner mit intrinsischer Motivation für eine vielfältige Nutzung
·       Keine Entmietung von Privaten
·       Barrierefreiheit
·       Außenbereich
 
Beim Vergleich mehrerer Immobilien wurde klar, dass die Gebäude bei St. Johannes an der Donauwörtherstraße sehr viele Anforderungen erfüllen würden. Als Konzeptidee „Forum St. Johannes“ wurde daher der Standtort bei St. Johannes in der Donauwörtherstraße entwickelt, der seitdem Diskussionsgrundlage sowohl der Bürgerinformationen als auch der öffentlichen Diskussion ist.
 
4) Die Konzeptidee „Forum St. Johannes“ – mehrere Belange kommen zusammen
 
Die Konzeptidee umfasst neben einer Aufenthalts- und Hilfeeinrichtung auch explizit die gleichbedeutenden Umsetzungsschritte einer Diakoniekirche und die Möglichkeiten, den Friedensplatz und den Stadtteil Oberhausen weiterzuentwickeln, z.B. mit sozialen und kulturellen Einrichtungen und einer Gastronomie. Dieses Vorgehen entspricht auch dem integrierten Handlungskonzept für Oberhausen.
 
Im bereits bestehenden Gemeindesaal und alten Pfarrhaus von St. Johannes ließe sich ein umfassendes Hilfe- und Aufenthaltsangebot umsetzen, das folgende Punkte umfassen könnte:
 
·       Betreutes Tagesaufenthaltsangebot für Volljährige von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr mit Mittagstischangebot, Zugang von der Donauwörther Straße
·       Aufenthaltsmöglichkeit in umfriedeter Gartenanlage
·       Duschmöglichkeiten
·       Kleidungswaschmöglichkeiten mit Kleiderkammer
·       Beratungsangebote (Suchtberatung, Wohnungsvermittlung, Jobcenter, Sozialberatung)
·       Sozialpsychiatrisches Angebot
·       Hausärztliche Versorgung durch „Filialpraxis“ der KVB und ärztliche Substitutionspraxis
·       Tages- und Nachtnotschlafstelle
·       Anwaltliche Beratung
·       Arbeitsmöglichkeiten für Klientinnen und Klienten z.B. im Umfeldmanagement
 
Das Konzept sieht aber eben nicht nur ein Hilfe- und Aufenthaltsangebot vor, sondern soll das ganze Stadtteil-Potential von St. Johannes, welches am Rande eines sogenannten Mischgebiets liegt, nutzen. Beispielsweise würde St. Johannes als Bau und Kirchenraum erhalten bleiben und mit einer kulturellen und sozialen Nutzung weiter positiv und stärkend in den Stadtteil und den Friedensplatz hineinwirken. So würde auch dem stadtplanerischen integrierten Handlungskonzept für Oberhausen, das seit mehreren Jahren von der Stadt für Oberhausen konsequent verfolgt wird, weitergeführt werden. Diese Überlegungen sind fester Bestandteil des Konzepts und würden auch – falls sich der Stadtrat für den Standort St. Johannes entscheidet – so beschlossen werden.
 
5) Die Bürgerinformation
 
Das es zum Thema Suchthilfe und der Standortsuche intensive Diskussionen geben würde, war klar. Genau aus diesem Grund wurde – vor einer Entscheidung des Stadtrats – ein umfassendes und mehrmonatiges Informations- und Diskussionsangebot für alle Bürgerinnen und Bürger eröffnet:
 
Ø  27.02.2024                  Öffentliche Pressekonferenz
Ø  28.02.2024                  Offene Bürgersprechstunde des Ordnungsreferenten
Ø  29.02.2024                 Informationsveranstaltung im Gemeindesaal St. Johannes
mit Oberbürgermeisterin, Ordnungs- und Gesundheitsreferent
Ø  01.03.2024                 Offene Bürgersprechstunde des Ordnungsreferenten
Ø  11.03.2024                 Offene Bürgersprechstunde des Ordnungsreferenten
Ø  15.03.2024                 Informationsveranstaltung für freie Träger der
Wohlfahrtsverbände mit Ordnungs-, Gesundheits- und Sozialreferent
Ø  16.03.2024                 Informationsveranstaltung in der Kirche St. Johannes
mit Oberbürgermeisterin, Ordnungs-, Gesundheits- und Sozialreferent sowie Expertinnen und Experten der freien Träger, der Verwaltung und der Polizei
Ø  20.03.2024                 Gesprächsangebot zusammen mit der ARGE Oberhausen für die Gewerbetreibenden in Oberhausen
Ø  23.03.2024                 Bürgerinnen- und Bürger-Spaziergang durch Oberhausen
mit Ordnungs- und Gesundheitsreferent
Ø  28.03.2024                 Offene Bürgersprechstunde des Ordnungsreferenten
Ø  11.04.2024                 Stadtteil-Bürgerversammlung für Oberhausen und Bärenkeller
 
Darüber hinaus haben inzwischen zahlreiche Einzelgespräche mit Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Institutionen vor Ort stattgefunden – und finden weiter statt.
 
Über die eigens eingerichtete Emailadresse forum.johannes@augsburg.de gingen zahlreiche Bürgeranfragen ein und wurden beantwortet. Die Adresse steht weiterhin jeder Bürgerin und jedem Bürger für eine direkte Kontaktaufnahme offen.
 
Auf der Homepage der Stadt Augsburg wurde eine Unterseite zum Forum St. Johannes eingerichtet. Dort finden sich das Gesamtkonzept und transparent alle FAQs.
 
6) Wie geht es jetzt weiter?
 
Klar – und nahezu unstrittig – ist, dass am Helmut-Haller-Platz Handlungsbedarf besteht und eine Stärkung der Suchthilfe erforderlich ist. Nur so kann die Situation vor Ort im Stadtteil verbessert werden. Auch das von der Stadt vorgelegte Gesamtkonzept mit Hilfeangebot, aber auch Stärkung anderer Faktoren im Stadtteil, wird ganz allgemein nicht in Abrede gestellt. Stark in der Diskussion der Anwohnenden ist jedoch der konkrete Standort an der Donauwörther Straße.
Klar ist weiterhin, dass ein Hilfe- und Aufenthaltsangebot, und zwar unabhängig vom Standort, zwingend von einem tragfähigen Umfeldmanagement mit den Aspekten Sauberkeit und Sicherheit flankiert werden muss.
 
Dazu ist bereits ein 10-Punkte-Plan entwickelt worden, der fester Bestandteil des Konzepts ist:
Ø  Es wird auf bewährte Umfeldkonzepte ähnlicher Einrichtungen in Augsburg zurückgegriffen (zum Beispiel Kontaktladen im Zentrum, Einrichtungen wie im Domviertel und Pfersee etc.)
Ø  Eine feste städtische Hausleitung wird vor Ort als Ansprechpartner für alle Belange zur Verfügung stehen.
Ø  Im Umfeld werden angeleitete Reinigungsteams eingesetzt. So entstehen gleichzeitig Arbeitsgelegenheiten für suchterkrankte Menschen. Per Vertrag wurde mit der Diakonie vereinbart, dass die Schöppleranlage und das Hettenbachufer zusätzlich an Samstagen gereinigt werden. Dies wird seit 13.04.2024 umgesetzt. Die Schöppleranlage wird damit unter der Woche von Auftragnehmern des AGNF zweimal gereinigt, an Samstagen von der Diakonie.
Ø  Der Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetrieb überwacht das Reinigungskonzept und unterstützt durch regelmäßige Reinigungsintervalle. Gegebenenfalls werden weitere Reinigungseinsätze beauftragt.
Ø  Der städtische Ordnungsdienst wird ein Dienstzimmer in der Einrichtung beziehen und allen Anwohnerinnen und Anwohnern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
Ø  Das Ordnungsreferat bietet Vor-Ort-Termine und Sprechstunden an.
Ø  Das Polizeipräsidium und die Polizeiinspektion sind eng in das Konzept eingebunden
Ø  Gleichzeitig wird es eine erhöhte Präsenz von fachlich ausgebildeten Streetworkern vor Ort geben. Durch das starke Engagement des Bezirks Schwaben ist dies bereits aktuell mit gesteigerten Personalkapazitäten möglich.
Ø  Es werden an mehreren Orten spezielle Abwurfbehälter montiert. Diese sind geschützt vor unerlaubtem Zugriff und bieten grundsätzlich die Möglichkeit der sicheren Entsorgung.
Ø  Zudem wird eine hausärztliche Grundversorgung zur professionellen und medizinischen Behandlung in einer hygienischen Umgebung angeboten.
 
In der Bürgerversammlung für Oberhausen wurden von engagierten Bürgerinnen und Bürger mehrere Anträge gestellt, die jetzt nach den gemeinderechtlichen Regelungen innerhalb von drei Monaten vom Stadtrat zu behandeln sind. Es wird daher absehbar noch vor der Sommerpause eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen im Stadtrat geben.
 
7) Eine Abschlussbemerkung: gelebte Demokratie zu einem schwierigen Sachthema

 
Abschließend ist es mir wichtig zu betonen: ich nehme die aktuelle Diskussion als intensiv und auch emotional war. Sie ist für alle Beteiligten anstrengend und ohne Zweifel zeitintensiv, aber eben auch gewinnbringend. Wann wurde das letzte mal ein wichtiges Sachthema so intensiv und transparent in Augsburg diskutiert? Es gilt eben auch: das ist gelebte Demokratie! Die Diskussion ist ein Ringen um die gangbarste Lösung bei einem sehr wichtigen und zugleich sehr schwierigen Thema, bei dem es sowohl um die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner als auch der suchterkrankten Menschen geht. Alle gehören zu unserer Stadtgesellschaft. Es ist auch ein gutes Zeichen, dass sich hier viele Beteiligte ihrer Verantwortung bewusst sind. Es gilt jetzt, auf Grundlage aller Argumente, die zusammengetragen wurden, eine Entscheidung zu treffen. Und dann ist es von entscheidender Bedeutung, das Konzept zur Suchthilfe vollständig und zuverlässig umzusetzen – nur so kann gegenseitiges Vertrauen wachsen und ggf. auch wieder neues Vertrauen aufgebaut werden. Und dann hat sich die Diskussion allemal gelohnt.