Hitzefrei: Wann ist es zu heiß zum Arbeiten?

Trinken, trinken, trinken

Sie blinzeln ins gleißende Sommerlicht und wischen sich mit Ihrem Handrücken über die Stirn. Sie schauen aus Ihrem Bürofenster. Die Straße flimmert, der Asphalt dampft. Schattenplätze wirken wie paradiesische Oasen. Zurück an Ihrem Arbeitsplatz versuchen Sie, die Wörter auf Ihrem geöffneten Dokument zu erkennen. Sie trinken einen großen Schluck Wasser, der bereits in Ihrer Kehle verdampft. Neues Wasser muss her. Schlurfend gehen Sie in die Küche, treffen Leidensgenossen auf dem Flur. Die Kleidung klebt am sich träge bewegenden Körper, die Blicke wirken leer und weit entfernt. Mitarbeiter, die es nicht bis zur Küche geschafft haben, liegen auf dem Boden. Sie steigen über Sie hinweg. Sie werden es schaffen. Nur noch ein Stück. Dann sind Sie da. Sie hören schon das Tropfen des Wasserhahns. Nur nicht die Augen schließen. 

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Szenen, wie die oben beschriebene sind vielleicht etwas übertrieben. Steht die Sommerhitze jedoch an Ihrem Arbeitsplatz, kann Ihre Tätigkeit zur Qual werden. Dabei ist es gleich, ob Sie im Büro, im Café oder auf der Baustelle arbeiten. Hitze macht uns alle träge und verlangt unseren Körpern viel ab. Auch im Homeoffice, in Werkshallen und Arztpraxen: Wir kommen gehörig ins Schwitzen. Wir erinnern ebenfalls an den Business-Dresscode, der meist lange Hemden und Hosen oder sogar Jacketts vorschreibt. Sieht schick aus, bei Backofen-Temperaturen jedoch eher unpraktisch. Doch was sagt der Gesetzgeber zum Thema Hitze und hitzefrei für Arbeitnehmer?

Was macht Hitze mit unserem Körper?

Zunächst versucht unser Körper der steigenden Temperatur entgegenzuwirken. Wir beginnen zu schwitzen. Verdunstet der Schweiß, entzieht er unserer Haut Wärme. Unser Körper ist praktisch seine eigene Klimaanlage. Wir sollten ihn dabei unterstützen. Denn trinken wir nichts, um die verlorene Flüssigkeit (Schweiß) auszugleichen, werden wir matt und müde. Unser Körper kann durch den Flüssigkeitsverlust seinen täglichen Arbeiten nur noch bedingt nachgehen. Flüssigkeit ist unser Treibstoff. Mit der Zeit fühlen wir uns immer träger, unsere Reaktionsfähigkeit sinkt. Unsere Gefäße weiten sich, der Blutdruck fällt und unser Gehirn wird dadurch schlechter versorgt. Bei vielen Menschen setzen nun Kopfschmerzen ein, unsere Konzentrationsfähigkeit nimmt ab. Wir werden leistungsschwach. 

Arbeitsschutz bei Hitze – ein Thema für Arbeitgeber?

Nach dem Arbeitsschutzgesetz sind Vorgesetze verpflichtet, Arbeit und Arbeitsplätze so zu gestalten, dass eine gesundheitliche Gefährdung ihrer Mitarbeiter vermieden wird. Dies gilt ebenso für Risiken, welche durch hohe Sommertemperaturen oder UV-Strahlung verursacht werden.

Arbeitsrecht - Wo liegt der Höchstwert für die Temperatur am Arbeitsplatz? 

Wer einen Arbeitsplatz einrichtet, muss die Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) beachten: Vom Arbeitsplatz darf möglichst keine Gefährdung für die Arbeitnehmer ausgehen – auch nicht an heißen Tagen. Für Letzteres gibt diese Verordnung jedoch keine konkreten Maßnahmen vor, sondern formuliert allgemeine Schutzziele. Bühne frei für die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR). Anders als die Arbeitsstättenverordnung sind die ASR nicht verpflichtend. Sie fassen lediglich den Stand der Technik bezüglich des Arbeitsschutzes zusammen. Unternehmer dürfen sie deshalb als Handwerkzeug betrachten, um die Ziele der ArbStättV zu erfüllen. So besagen die Technischen Regeln für Arbeitsstätten, dass ein Arbeitsraum nicht geeignet ist, wenn die Lufttemperatur im Raum von 35 Grad überschritten wird. Für die Zeit der Überschreitung sollten technische Maßnahmen zum Tragen kommen, um die Raumtemperatur herunterzuregeln (z.B. Luftduschen, Wasserschleier, Klimageräte), organisatorische Maßnahmen (z.B. Entwärmungsphasen) oder persönliche Schutzausrüstung (z.B. Hitzeschutzkleidung).

Erwähnte Regeln gelten ebenfalls für Lagerräume, Werkstätten- und hallen, sowie für Pausenräume und Kantinen. Obacht: Schwerbehinderte oder chronisch kranke Mitarbeiter sowie Schwangere müssen aus gesundheitlichen Gründen schon bei niedrigeren Temperaturen ihre Arbeit abbrechen. Notwendig: Ein ärztliches Attest, welches dem betroffenen Mitarbeiter bescheinigt, dass dieser ab gewissen Temperaturen nicht mehr arbeiten darf.

Finger in den Mund und dann in die Luft halten zählt übrigens zu den weniger geeigneten Temperaturmess-Methoden. Ein Tipp für die Temperaturmessung: Die ASR haben genauste Vorstellungen, wie die Raumtemperatur gemessen werden muss – mit einem strahlungsgeschützten Thermometer. Denn dieses verhindert falsche Messwerte durch Sonneneinstrahlung. Und so wird’s gemacht: Bei sitzenden Tätigkeiten die Temperatur in Höhe von 60 Zentimetern, bei stehender Tätigkeit in einer Höhe von 1,1 Metern über dem Boden messen. Gut zu wissen: Liegt der Arbeitsplatz im Freien, wird die Temperatur im Schatten gemessen. Die Außenlufttemperatur sollte etwa vier Meter von der Gebäudeaußenwand entfernt und in einer Höhe von zwei Metern gemessen werden.

Haben Arbeitnehmer ein Recht auf hitzefrei?

Selbst bei hochsommerlichen Temperaturen haben Arbeitnehmer – anders als Schüler – keinen Anspruch auf hitzefrei. Mitarbeitern wird es zudem nicht empfohlen, ihre Arbeit einfach niederzulegen, wenn es zu heiß wird. Denn der Vorgesetze kann seine Angestellten durchaus auch in ein anderes Büro setzen oder weitere Maßnahmen zum Hitzeschutz ergreifen. Sprechen Sie zunächst mit Ihrem Chef, bevor Sie die Segel streichen und dafür möglicherweise eine Abmahnung einkassieren. Aber mal abgesehen davon: Schwitzende Mitarbeiter sind weniger effektiv und unkonzentriert. Empathische Vorgesetze könnten mit einem frühen Feierabend locken – auch ohne Recht auf hitzefrei. 

Können Betriebe auch selbst regeln, ab wann es hitzefrei gibt?

Ja. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung festlegen, wann der Arbeitgeber bei Hitze seinen Mitarbeitern freigeben und ebenso, welche vorherigen Maßnahmen dieser ergreifen muss. Nice to know: Der Betriebsrat darf laut Betriebsverfassungsgesetz mitreden, wenn es um die Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und allgemein den Gesundheitsschutz der Mitarbeiter geht.

Maßnahmen zur Senkung der Raumtemperatur

Wir möchten erwähnen, dass der Arbeitnehmerschutz nicht bei genaustens 35 Grad Celsius beginnt. Ist es draußen wärmer als 26 Grad und heizt sich das Büro oder die Werkstatt trotz geeignetem Sonnenschutz (etwa Jalousien) auf über 26 Grad auf, sollten „zusätzliche Maßnahmen“ ergriffen werden, so die ASR. Übersteigt die Temperatur im Raum die 30-Grad-Marke, werden die Technischen Regeln sehr deutlich: Wirksame Maßnahmen müssen nun ergriffen werden, wie zum Beispiel die Jalousien auch nach der Arbeitszeit geschlossen halten, Nachtauskühlung, Betreibung elektrischer Geräte nur bei Bedarf, Lüftung in den frühen Morgenstunden, Verlagerung der Arbeitszeit (zum Beispiel in die Morgen- und Abendstunden), Lockerung der Bekleidungsregeln und Bereitstellung von Trinkwasser. Welche dieser Maßnahmen der Vorgesetze bei Hitze übernimmt, kann dieser selbst entscheiden.

Konsequenzen bei Nichtbeachten der Regeln

Mit einem Gesetz lassen sich die ASR nicht vergleichen. Kommt es jedoch zu einem Zwischenfall im Betrieb, ist der Arbeitgeber in der Pflicht zu beweisen, dass er seine Arbeitnehmer vergleichbar gut geschützt hat, so wie es in den Technischen Regeln aufgeführt wird. Jetzt wird es ernst: Kann einem Arbeitgeber nachgewiesen werden, dass er Gesundheit oder Leben wiederholt vorsätzlich gefährdet hat, droht ihm eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (§26 ArbSchG).

Wie können Bekleidungsvorschriften gelockert werden?

Bei über 30 Grad im langen Hemd, mit Jaquet und Krawatte. Wer da keine Schweißperlen auf der Stirn bekommt, hat einen Körper aus Stahl. Grundsätzlich gelten Bekleidungsvorschriften in Unternehmen auch im Hochsommer. Unterscheiden sollten wir jedoch bei Bekleidung, die zum Schutz beiträgt (z.B. in Werkstätten oder auf Baustellen) und Kleidung, die bei Hitze Ausnahmen zulässt. Ein Geschäftsmann wird vermutlich kein Schaden nehmen, wenn er seine Krawatte zu Hause lässt. Ein Schweißer jedoch muss sich auch bei Backofentemperaturen an seine Schutzkleidung halten, da dies sonst lebensgefährliche Folgen haben kann. 

Arbeitsunfähigkeit wegen Hitze?

Das geht. Bekommt jemand aufgrund der Hitze Kreislaufprobleme oder ähnliches, darf dieser – wie bei jeder anderen Erkrankung auch – nach Hause gehen. Der Arbeitgeber hat jedoch das Recht ein ärztliches Attest dafür zu verlangen.

Hitzefrei im Homeoffice?

Selbstredend: Was im Büro nicht funktioniert, wird im eigenen zu Hause auch nicht klappen. Aber es stellt sich die Frage: Muss der Arbeitgeber Abhilfe schaffen, wenn es in den heimischen vier Wänden zu heiß wird? Hier kommt es darauf an, ob es sich um einen offiziellen Homeoffice-Arbeitsplatz handelt. Denn diese unterliegen zumindest teilweise arbeitsstättenrechtlichen Regelungen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitsplatz eingerichtet hat. Übrigens: Arbeitet der Mitarbeiter mit einem vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Notebook, stellt dies noch keine „Einrichtung“ eines häuslichen Arbeitsplatzes dar. Meist besteht die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz im Büro zu besuchen, sollten die klimatischen Bedingungen in den eigenen vier Wänden zu tropisch werden.

Was ist, wenn Mitarbeiter bei Hitze im Freien arbeiten? 

Dann brauchen sie einen kühlen Kopf, denn: Es kann gefährlich werden. Insbesondere bei schwerer, körperlicher Arbeit, wie beispielsweise auf Baustellen, drohen Sonnenstich und Hitzschlag. Im schlimmsten Fall kann Arbeit bei starker Hitze zum Tode führen. Eine Gefahr, die oft unterschätzt wird und ebenfalls Menschen ereilt, die sich gesund fühlen. Laut der Berufsgenossenschaft habe es in den vergangenen Jahren mehrere Hitzetote auf Baustellen gegeben. Vorgesetze müssen aus diesem Grund dringend auf Warnsignale und Symptome bei ihren Angestellten achten und schnell handeln, wenn diese auf Hitzeerkrankungen hindeuten. Laut Präventionsexperten sollten Arbeitgeber frühzeitige Vorkehrungen treffen, wenn Hitzetage angekündigt werden – spätestens jedoch, wenn das Thermometer über 26 Grad klettert. Wie das aussehen kann? Sonnensegel über Arbeitsplätze im Freien können Abhilfe schaffen. Besonders engagierte Vorgesetze können Pavillons aufbauen, um Schatten zu ermöglichen. Oder die Arbeitszeiten der Mitarbeiter so organisieren, dass Angestellte in der Mittagshitze Arbeiten im Schatten und leichte Aufgaben erledigen können.

Mitarbeiter, die ständig im Freien arbeiten, sind außerdem der Gefahr durch UV-Strahlung ausgesetzt. Tipp: Dicht gewebte, besonders leichte Baumwollkleidung bietet guten Schutz vor der Sonneneinstrahlung. Außerdem möglichst Arme und Beine komplett bedecken und einen Lichtschutzfaktor von mindestens 30 verwenden. Von bedeutender Wichtigkeit: Trinken. Viel. Ausgiebig. Regelmäßig. Möchte ein Vorgesetzter Chef des Jahres werden, darf er gern eine Kiste Wasser spendieren. Dies ist keine Pflicht, zeigt jedoch Wertschätzung und Fürsorge.

Gibt es Zuschüsse für Ausrüstung gegen Hitze?

Ja. Für Maßnahmen zum Arbeitsschutz können Arbeitgeber Zuschüsse bekommen. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) beispielsweise unterstützt ihre Mitgliedsunternehmen mit bis zu 50 Prozent der Anschaffungskosten. Auch UV-Schutzbrillen und Kühlkleidung werden gefördert, ebenso wie genormte Schutzhelme mit Nackenschutz.

FAZIT: 

Ein Recht auf hitzefrei besteht für Arbeitnehmer nicht. Jedoch können individuell vom Arbeitgeber und Betriebsrat Vereinbarungen beschlossen werden, ab wann Angestellte aufgrund hoher Temperaturen frei bekommen. Wichtig: Vorher müssen Präventionen gegen die Hitze vorgenommen werden. Der Arbeitgeber muss seiner Fürsorgepflicht nachkommen und den Mitarbeitern ein gesundes Arbeiten ermöglichen. Generell gilt: Ist es zu heiß, macht unser Gehirn Urlaub. Was dagegen hilft? Ein früher Feierabend und ein Eis. Wichtig ist allerdings, dass Arbeitnehmer sich nicht selbst hitzefrei geben dürfen – ob auf dem Bau, in der Werkstatt oder im Büro. Ansonsten droht eine Abmahnung. Solltest du aber merken, dass dir die Hitze nicht gut bekommt, du etwa Bauchschmerzen und Schwindelanfälle bekommst, wäre es wohl mehr als angebracht, dir eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu holen. | Text: Stefanie Steinbach