Zollstreit mit den USA: EZB dürfte Leitzinsen weiter senken
Die Wirtschaft im Euroraum schwächelt ohnehin, die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump verstärkt die Probleme weiter: Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte vor diesem Hintergrund die Leitzinsen am Donnerstag erneut senken. Expertinnen und Experten erwarten einen Schritt um 0,25 Prozentpunkte nach unten - es wäre bereits der siebte in Folge. Beim übernächsten Treffen des EZB-Rats im Juli könnte diese Serie dann aber vorerst enden.
Schon bevor Trump mit seinem Zickzackkurs bei den Zöllen weltweit Unsicherheiten auslöste, hatte die EZB vor dem Hintergrund nachlassender Inflationsraten und der schwachen Konjunktur angefangen, ihre drei Leitzinsen zu senken. Trumps Zölle haben den Druck nun weiter erhöht. Die EU hat einen Handelsüberschuss mit den USA und steht deshalb beim US-Präsidenten im Fokus. Hohe Zölle können Unternehmen belasten, weil Exporte teurer werden.
Trump verfolgt seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar einen harten handelspolitischen Kurs. Die EU belegte der Republikaner bereits mit mehreren Zollaufschlägen, darunter 25-prozentige Zölle auf Autos. In der vergangenen Woche hatte er mit generellen Zöllen auf EU-Waren in Höhe von 50 Prozent gedroht, diese jedoch dann zunächst wieder aufgeschoben.
Für eine weitere Leitzinssenkung spricht laut dem ING-Analysten Carsten Brzeski, dass die Inflation im Euroraum "fast verschwunden" ist. Sie lag im April bei 2,2 Prozent und damit in unmittelbarer Nähe des Inflationsziels der EZB von zwei Prozent - allerdings etwas höher als erwartet. Die gesunkenen Rohölpreise und der stärkere Euro wirken sich dämpfend auf die Inflation aus.
Die Wirtschaft des Euroraums präsentierte sich zu Beginn des Jahres robust und wuchs überraschend um 0,3 Prozent. Diese Widerstandsfähigkeit und der unklare Ausgang der Verhandlungen zwischen den USA und der EU könnten nach Ansicht Brzeskis einige Mitglieder des EZB-Rats dazu veranlassen, "den Zinssenkungszyklus zu unterbrechen und stattdessen bis zur Juli-Sitzung zu warten". Dieser Schritt sei aber unwahrscheinlich.
Auch die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ethenea geht fest von einer Senkung um 0,25 Prozentpunkte aus. "Die aktuellen Wirtschaftsdaten liefern der Notenbank gute Gründe für diesen Schritt", erklärte Luca Pesarini, Gründer von Ethenea. Sollten die Verhandlungen über die Zölle scheitern, könnte das jedoch eine "erneute Eskalation" bedeuten.
Wie es nach der Juni-Sitzung weiter geht, ist den Experten zufolge weniger klar. Pesarini rechnet mit einer Pause, "um zu sehen, wie sich die Handelsgespräche mit Washington entwickeln und ob die angekündigten Konjunkturpakete wirken". Nur bei deutlich schlechteren Daten wäre ein weiterer Schritt nötig.
Auch Brzeski geht davon aus, dass die EZB über den Sommer eher "abwarten" wird. Erst danach werde sich zeigen, wie sich die Risiken auf die Inflation und das Wirtschaftswachstum auswirken.
EZB-Chefin Christine Lagarde sieht die Weltordnung durch die Zollpolitik der USA "bis in ihre Grundfesten erschüttert", wie sie Ende Mai bei einer Rede an der Hertie School in Berlin sagte. "Nullsummendenken und bilaterale Machtspiele" seien an die Stelle der multilateralen Zusammenarbeit getreten.
Bis Oktober 2023 hatte die EZB die Leitzinsen als Reaktion auf die hohe Inflation schrittweise angehoben. Der zentrale Einlagezins, der auch für Sparerinnen und Sparer wichtig ist, lag zwischenzeitlich bei 4,0 Prozent. Im vergangenen Juni senkte die Notenbank die Leitzinsen dann erstmals. Nach einer Pause im Juli folgten dann im September, Oktober, Dezember und auch bei den ersten drei Sitzungen in diesem Jahr die nächsten Schritte nach unten. Aktuell liegt der zentrale Leitzins bei 2,25 Prozent.
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