Das Jahrhundertgift PFAS: Chemikalien für die Ewigkeit

Unser allgegenwärtiges Alltagsgift

Hand aufs Herz: Hausgemachte Klimaveränderungen, steigende Energie-, Lebensmittel- und Rohstoffpreise, Smartphone-Zombies, Corona-Nachwehen: da wird eine einsame Hütte im Wald immer verlockender. Autark leben, der Natur wieder nah sein, klare und gesunde Luft einatmen. Sich einen Bart wachsen lassen. Frischen Fisch selbst fangen. Alles für eine Weile hinter sich lassen. Doch wer denkt, er kann vor den Folgen des menschlichen Daseins flüchten, der wird im Wald leider auch nicht glücklich. Denn: Kann der Fisch mittlerweile bedenkenlos verzehrt werden? Dürfen wir sorgenlos aus Bach und See schlürfen? Wohin wir auch laufen, es ist schon da. Überall. Um uns. In uns: Die Chemikalien namens PFAS.

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In der Industrie gelten sie als Wundermittel. Doch sie haben eine Kehrseite für Umwelt und Gesundheit: PFAS (gesprochen: Pifas) gelten als die langlebigsten, vom Menschen hergestellten Chemikalien. Sie sind potenziell giftig und in Deutschland verbreiteter als bisher bekannt. Mittlerweile gibt es Recherchen, die enthüllen, wo die schädlichen Ewigkeitschemikalien bereits nachweisbar sind. Doch was genau verstehen wir unter diesem Gift? Für was wird es eingesetzt und wie weit ist es schon in unsere Umwelt eingedrungen? Die Antworten darauf lassen unseren Hüftschwung ziemlich alt aussehen.

Was sind PFAS? 
Wir fangen von vorn an: Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen – kurz: PFAS – sind synthetisch hergestellte, langlebige organische Chemikalien, die in unserer Natur nicht vorkommen. Sie gehören zur Gruppe der per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC). Nur wenige Endverbraucher nicken nun vielsagend. Was genau sagen uns diese kurios anmutenden Begrifflichkeiten? Bei diesen künstlich hergestellten Verbindungen werden Wasserstoffatome an der Kohlenstoffkette teilweise oder komplett durch Fluoratome ersetzt. Kurze Chemiestunde zum besseren Verständnis: Fluor ist giftiges, stechend riechendes Gas. Es gilt unter allen chemischen Elementen als äußerst reaktionsfreudig. Durch die starke Kohlenstoff-Fluor-Bindung erhalten die Verbindungen wasser-, öl- und schmutzabweisende Eigenschaften bei gleichzeitiger chemischer und thermischer Stabilität, sowie Beständigkeit gegenüber UV-Licht und Verwitterung. Die Stoffgruppe der PFAS umfasst mehr als 10.000 künstlich hergestellte Stoffe. Ihre Zerstörung ist gnadenlos aufwändig. Werden sie nicht gezielt entfernt, reichern sie sich nicht nur in unserer Umwelt, sondern auch im menschlichen Organismus stetig weiter an. Sie werden aus diesem Grund auch als „ewige Chemikalien“ bezeichnet.

Die PFAS-Chemie, die tatsächlich bereits Ende der 1930er Jahre entdeckt wurde, ist seit den 1950er Jahren fester Bestandteil verschiedenster Produktionsprozesse und Konsumgüter. Ihre Eigenschaften bringen erstaunliche Vorteile und Bequemlichkeiten für viele unserer heutigen Produkte, die bisweilen unschuldig unseren Alltag bestimmen. Doch: PFAS sind eine ernst zu nehmende Gefahr für unsere Gesundheit und unsere Ökosysteme. 

Wofür werden die Chemikalien eingesetzt?
Da sie unter anderem Schmutz, Wasser und Fett abweisen können, werden PFAS-Chemikalien in Produkten wie beschichtete Küchenutensilien (zum Beispiel Pfannen) oder Jacken, wie Regenmäntel genutzt. Doch es geht noch viel weiter: Die Stoffe widerstehen extremen Temperaturen und Korrosion und finden in Zehntausenden Produkten Verwendung: Kühlmittel, in Flugzeugen, Autos, medizinischen Ausrüstungen oder Windrädern. Häufig kommen sie zudem in unseren Alltagsgegenständen wie Kosmetika, Karton oder Textilien vor. Sogar Toilettenpapier wurde als „potenziell bedeutende Quelle“ identifiziert. Ihr Einsatz ist dermaßen breit gefächert, dass alles aufzuzählen unseren Mund trocken und unseren Verstand mürbe machen würde. Dennoch: Ein bisschen Atem haben wir noch: In Bereichen der Oberflächenveredelung, Papierbeschichtung und Spezialchemie werden sie ebenfalls verwendet. In der Kunststoffherstellung dienen sie als Emulgator. Die giftigen Chemikalien sind ebenfalls Bestandteile in Textilien, Imprägniermitteln für Möbel, Textilien, Leder und Teppiche. Wir finden sie zudem in schmutzabweisenden Papieren, Wandfarben, Tinten, Lacke, Reinigungsmittel, Filme, Fotoplatten und im Löschschaum für die Brandbekämpfung.

Warum sind PFAS schädlich und was macht sie so gefährlich?
Den Spitznamen „Gift für die Ewigkeit“ tragen die Stoffe aus gutem Grund. Um die (Atom-) Bindung zwischen Kohlenstoff und Fluor zu trennen, wird viel Energie benötigt. Deshalb sind PFAS beachtlich langlebig. Erst bei einer Hochtemperaturbehandlung und langen Verweilzeiten, wie sie in Abfallverbrennungsanlagen möglich ist, können PFAS-Moleküle vollständig zerstört werden. Heißt: In der Umwelt werden PFAS nicht abgebaut. Weder Bakterien noch Wasser, Luft oder Licht können diese Moleküle vollständig absorbieren. Landen die Chemikalien einmal in der Umwelt, verteilen sie sich im Wasser und Sediment – und bleiben dort für eine besorgniserregend lange Zeit. Einige PFAS reichern sich in Organismen und entlang der Nahrungsketten an und können schädlich für Menschen sein. Andere sind sehr mobil in Wasser und Boden - sie lösen sich gut im Wasser, werden im Boden kaum zurückgehalten und erreichen daher schneller das Grundwasser. Sind sie einmal da, bleiben sie. Und genau das macht sie gefährlich.

Wie gelangen PFAS in die Umwelt und den Menschen?
Die verschiedenen Wege der Ewigkeitschemikalien in Umwelt und Mensch sind kreativ: Durch die Abluft von Industriebetrieben können PFAS in umliegende Böden und Gewässer eingelagert werden. Zudem können sie an Partikel anhaften und so über weite Strecken in der Luft bis in entlegene Gebiete transportiert werden. Über Regen und Schnee gelangen PFAS aus der Luft wiederum in Böden und Oberflächengewässer. Sie können sich in der Innenraumluft durch Verflüchtigung aus Erzeugnissen (zum Beispiel Imprägniersprays, Ausdünstungen aus Schmutz abweisenden, behandelten Teppichen oder Heimtextilien) verteilen. Die gefährlichen Stoffe gelangen über das häusliche und gewerbliche Abwasser schließlich in unsere Kläranlagen. Von da aus geht ihre Reise weiter. Dort werden Vorläuferverbindungen der Stoffe teilweise in die langlebigen PFAS transformiert. Einige davon werden über das behandelte Abwasser in Oberflächengewässer eingetragen. Andere verbleiben im Klärschlamm, der teilweise als Dünger in der Landwirtschaft genutzt wird. Über die Zeit sickern die Chemikalien auf diesem Weg in unser Grundwasser. Böden und Gewässer werden direkt kontaminiert, wenn Feuerlöschschäume zum Einsatz kommen. Sind die Chemikalien in Boden und Wasser angekommen, nehmen wir diese Stoffe auch in die menschliche Nahrungskette mit auf (zum Beispiel durch Fisch und pflanzliche Nahrung). Ergo: Wir nehmen PFAS mit unseren Lebensmitteln oder der Luft auf. Es wird vermutet, dass bereits im Blut fast jedes Menschen Stoffe aus dieser giftigen Gruppe nachweisbar sind.

Wo wurden PFAS in der Umwelt nachgewiesen?
Schockierender Weise lassen sich PFAS in einer geringen Konzentration mittlerweile überall im Boden nachweisen. Eine Vielzahl von langkettigen PFAS-Verbindungen und deren Abbauprodukte konnten in Gewässern, dem Sediment und den Umweltorganismen – sogar in der Arktis als auch in der Antarktis – nachgewiesen werden. Studien berichten ebenfalls über deren Anreicherung entlang der polaren Nahrungsketten bis hin zum Eisbären, Pinguinen, Algen und Seevögeln - weit entfernt von industrieller Produktion und menschlichen Siedlungen. Eine weitere Studie ergab, dass die Gifte selbst in den entlegensten Weltregionen im Regenwasser nachweisbar sind. Kurz gesagt: Sie sind sozusagen überall.

Die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt
Im Vergleich zu anderen Chemikalien werden einige PFAS sehr langsam ausgeschieden und können sich aus diesem Grund im Körper anreichern. Im menschlichen Körper können manche PFAS an Proteine in Blut, Leber und Niere binden. Erhöhte Konzentrationen von PFOA und PFOS im menschlichen Blut können Wirkungen von Impfungen vermindern. Die Ewigkeitsgifte können unsere Immunreaktion negativ beeinflussen, bzw. unterdrücken. Krankheiten hätten somit leichtes Spiel, sich in unserem Körper auszubreiten. Die Neigung zu Infekten kann dadurch erhöht werden. Die Chemikalien können zudem unsere Leber schädigen und den Cholesterolspiegel (auch als Cholesterin bekannt) erhöhen. Außerdem ist es möglich, dass sie das Geburtsgewicht von Babys verringern. Besonders kritisch ist auch die Weitergabe einiger PFAS von der Mutter zum Kind während der Schwangerschaft und Stillzeit. Auch negative Auswirkungen auf die Schilddrüse, die Fruchtbarkeit, schwangerschaftsbedingten Bluthochdruck sowie Nierenkrebs konnten nachgewiesen werden. 

Die Hiobsbotschaft: Behörden schätzen, dass in den nächsten 30 Jahren rund 4,4 Millionen Tonnen PFAS in die Umwelt gelangen, wenn wir nichts dagegen unternehmen werden. Somit können Sie in der Natur Schäden verursachen, indem sie toxische Wirkungen in den Umweltorganismen hervorrufen und somit ein Risiko für die Ökosysteme darstellen.

Die aktuelle Lage in Deutschland
In Deutschland spürten Reporterinnen und Reporter erstmals mehr als 1500 Orte auf, die durch PFAS-Chemikalien kontaminiert sind. Zudem wurden über 300 Hotspots ausfindig gemacht. Den Recherchen zu Folge tragen in unserem Land die Regionen Bad Wimpfen, Frankfurt, Leverkusen und Gendorf bei Burgkirchen an der Alz in Bayern ein besonders hohes Risiko stark verseucht zu sein. Grund: Dort stehen die sechs deutschen Fabriken, die PFAS produzieren. Diese Fabrikendichte in unseren hiesigen Gefilden ist scheinbar höher als in jedem anderen Land. In einem gemeinsamen Projekt mit 15 europäischen Medien wurden in ganz Europa über 17.000 Standorte mit PFAS-Verschmutzung aufgefunden. Während die Behörden in Frankreich und in verschiedenen US-Staaten regelmäßig Standorte gezielt nach PFAS-Rückständen untersuchen, gibt es in Deutschland bisher keine systematische Erfassung der PFAS-Belastungen. Die mangelnden Untersuchungen führen zu einer fehlenden Aufklärung in unserer Gesellschaft. Nur bestimmte Behörden wie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in NRW führen regelmäßige Tests in der Nähe von betroffenen Standorten durch, um nach Rückständen von PFAS im Wasser zu suchen. 

Verbot und Lobby 
Ein Manifest mit der Aufforderung PFAS Chemikalien zu verbieten gibt es bereits. Es wurde von Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Norwegen und Schweden an die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), einer Behörde der EU, übermittelt. 

Dieser Vorschlag verinnerlicht, die Chemikalien in Konsumprodukten bis spätestens 2025 zu verbieten und den Ausstieg aus der Produktion und Verwendung dieser giftigen Stoffe bis 2030 zu realisieren. Das besagte Manifest wurde inzwischen von zahlreichen weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen unterschrieben. Allerdings gibt es Widerstand: Lobbygruppen versuchen scheinbar das Verbot zu verhindern oder breite Ausnahmen von diesem Verbot zu erzielen, sollte es nicht umgangen werden können. Eine Entscheidung über ein PFAS-Verbot wird frühestens im Jahr 2025 erwartet. Jedoch werden in Zukunft EU-weit zumindest Wasserversorger verpflichtet sein, Trinkwasser auf PFAS zu untersuchen.

Können wir uns davor schützen?
Beim Schutz von Mensch und Umwelt vor PFAS ist neben der Langlebigkeit der Stoffe ihre hohe Anzahl gefährlich. Bei sämtlichen, zukünftigen Maßnahmen sollten nicht nur die gut untersuchten PFAS, wie PFOA und PFOS berücksichtig, sondern die globale Dimension in den Fokus gerückt werden. Denn: die vorhandenen Messwerte sind vermutlich nur die Spitze des Eisberges. PFAS verteilen sich global durch Luft und Meeresströmungen. Es sollte verhindert werden, dass die Herstellung und Verwendung der PFAS in außereuropäische Länder ausgelagert wird und stattdessen ein internationaler PFAS-Ausstieg anvisiert werden. Wichtig: Um sichere Nahrungsmittel zu garantieren, sollten die tolerierbaren Gehalte in Böden und Grundwasser in Zukunft europaweit einheitlich sein.  

Tipps und Informationsquellen
Wir als Verbraucherinnen und Verbraucher benötigen mehr Möglichkeiten und Informationen, um auf PFAS-haltige Produkte verzichten zu können, beispielsweise durch Siegel wie den Blauen Engel. Bislang gibt es überschaubar wenig Möglichkeiten, PFAS zu umgehen. Tipp: Bei Bekleidung wie, zum Beispiel Outdoorjacken, gibt es bereits entsprechend beworbene Produkte. Auch können Alternativen zu beschichteten Pfannen, wie Eisen- oder Emaillepfannen verwendet werden. Diese sind sogar länger haltbar, da sie kratzfester sind. Zudem ist Mehrweggeschirr aus Glas oder Porzellan statt beschichteter Einmal-Pappbecher ohnehin vorteilhafter für unsere Umwelt. Auch bei Imprägniermitteln können wir anstelle PFAS-basierter Sprays auf natürliche Fette und Wachse zurückgreifen. Oder bei Teppichen statt PFAS-Beschichtung auf die natürliche Schmutzabweisung bei Wollteppichen setzen.

Das Umweltbundesamt bietet auf seiner Webseite weitere Informationen an, z.B. eine Einführung für Verbraucher – der PFC-Planet. www.umweltbundesamt.de/pfc-planet.

FAZIT:
Es scheint so, als hätten wir die kurz vor Zwölf-Phase bereits verpasst und müssen nun enorme Schadensbegrenzung betreiben. PFAS sind mittlerweile überall angekommen: Im Boden, im Blut und in der Muttermilch. Aufgrund ihrer extremen Langlebigkeit sind diese Gifte nur schwer und mit hohem Aufwand zu zerstören. Nüchtern betrachtet ist es nicht mehr möglich, die vorhandenen Chemikalien zu beseitigen, die sich bereits in unserer Umwelt und unserem Körper befinden. Es gilt vielmehr darum, PFAS zu verbieten – für eine gesunde und umweltfreundliche Zukunft. Wir leben mit diesen Chemikalien bereits um und in uns und benötigen nun eine ausführliche und hochwertige Aufklärung. Text: Stefanie Steinbach