Diskussion zur Seilbahn in Kempten

«Vision mit Pferdefuß»

Kempten, 8. Juli…Kempten ist eine stark wachsende Stadt. Seit 2010 erhöhte sich die Einwohnerzahl der Allgäu-Metropole von 62.060 auf heute 70.471, doch schon bald wird die Zahl 72.000 erreicht sein. Gab es im Jahr 2005 noch 16.000 Berufspendler und 3.000 Studenten, sind es heute 22.500 Berufspendler und 6.000 Studenten. Dieser Zuwachs an neuen Verkehrsteilnehmern verlangt neue innerstädtische Mobiltätskonzepte. Im Jahr 2017 erstellte die Stadt Kempten mit zwei Fachbüros aus Dresden und unter starker Bürgerbeteiligung ein „Mobiltätskonzept 2030". Dieses enthielt übergeordnete Leitziele, die als Richtschnur für weitere Verkehrsplanungen Kemptens dienen sollten. Von einer Seilbahn als Ersatz für die im innerstädtischen Raum verkehrenden Stadtbusse war dort nicht die Rede. Allerdings brachte diesen Vorschlag vor kurzem die Stadtratsfraktion der CSU ins Gespräch. CSU-Fraktionsvorsitzender Erwin Hagenmaier und sein Stadtratskollege und Tourismusbeauftragter Helmut Berchtold, CSU, stellten einen Plan für eine Stadtseilbahn vor, der den Ausbau dezentraler Bus-Knotenpunkte am Hauptbahnhof und an der Rottachstraße vorsieht. Diese Knotenpunkte im Norden und Süden der Innenstadt könnten, so Hagenmaier und Berchtold, mit einer Seilbahn verbunden werden. Als mögliche Stationen der Stadtseilbahn wurden der Archäologische Park Cambodunum, die Allgäuhalle, ein neues Parkhaus am Forum Allgäu und die Burghalde angedacht. Oberbürgermeister Thomas Kiechle erklärte, dass er das Vorhaben vorantreiben will. Nachdem das Thema die Öffentlichkeit stark polarisierte, luden die Verantwortlichen nun zu einem Diskurs ins Thomas-Dachser-Auditorium der Hochschule Kempten ein.

Fragen beantworten

Im Rahmen der „Allgäuer Tourismusgespräche – Praxis und Wissenschaft im Dialog" sollte der Plan einer Stadtseilbahn genauer vorgestellt und mit Stadträten und Bürgern diskutiert werden. Redner, die in das Thema einführten, waren Prof. Dr. Alfred Bauer, Dekan der Fakultät Tourismus-Management und Christina Wolff, 1. Vorsitzende von unterwegs e.V.. Anschliessend sprach Prof. Dr. Heiner Monheim über „Seilbahnen als Teil künftiger Mobiltätskonzepte in urbanen Räumen", gefolgt vom stellvertretenden Vorsitzenden der mona GmbH und Stadtrat Helmut Berchtold, der sein „Verkehrskonzept Kempten-Oberallgäu" vorstellte. Zur Realisierbarkeit einer möglichen Stadtseilbahn in Kempten äußerte sich anschliessend der langjährige Bergbahnen Chef Augustin Kröll. Im Nachgang wurden einem Sprecher der im Stadtrat vertretenden Parteien jeweils 3 Minuten Zeit gegeben, sich zur Stadtseilbahn zu äußern. Abschliessend konnten die rund 250 Zuschauer der Veranstaltung Fragen an die Vortragenden stellen.

Moderne Stadtseilbahnen

Urbane Stadtseilbahnen, so Prof. Dr. Heiner Monheim in seinem Vortrag, sind größer als Bergbahnen, fahren ganzjährig und ganztägig und schaffen je nach System 2.000 bis 7.000 Personen je Stunde und Richtung. „Da unsere Städte ihre Verkehrsprobleme nicht in den Griff bekommen, lohnt sich das Nachdenken über Seilbahnen.", so der Verkehrsexperte. Entsprechend der Anzahl der Trag-und Zugseile werden Seilbahnen in drei Gruppen klassifiziert. Es gibt die kleinen 1-S-Seilbahn mit 10er-15er Kabinen (Vorteil: geringe Kosten, kleinere Stützen | Nachteil: windempfindlich), die mittleren S-2-Seilbahnen mit 15er-20er Kabinen ( Vorteil: windstabil, gut für wechselnde Nachfragemengen) und die großen 3-S-Seilbahnen mit 30er-35er Kabinen (Vorteil: windstabil, Mitnahme von Kinderwägen, Fahrrädern etc. mögl. | Nachteil: braucht große Masten und große Nachfrage, daher teuer). Als Vorteile von Stadtseilbahnen führt Prof. Monheim deren schnelle Realsierbarkeit (ein Jahr), eine hohe Leistungsfähigkeit auf überschaubaren Strecken, die leichte Umgehung von Hindernissen, eine dichte Taktung („Paternoster") und ihre gute Kombinationsmöglichkeit mit anderen Verkehrssystemen auf. Neben diesen praktischen Vorteilen am „Stau vorbeizuschweben", bieten Stadtseilbahnen Fahrerlebnisse, die auch für Touristen attraktiv sind und erzeugen überregionale Aufmerksamkeit. Sie sind zudem umwetlfreundlich, energie -und personalsparsam. Da moderne Stadtseilbahnen auskoppelbare Kabinen haben, können die Ein-und Aussteigphasen verlangsamt werden. Werden Stadtseilbahnen in den bestehenden ÖPNV eingegliedert, sind die hierfür nötigen Investitionen förderfähig, was im konkreten Fall bereits u.a. durch den Fraktionsvorsitzenden der CSU im Bayerischen Landtag und Stadtrat Thomas Kreuzer für wahrscheinlich gehalten wird. Nachteile von Seilbahnen sind u.a., dass diese nicht um Kurven fahren können, das Stadtbild beeinträchtigen, bei manchen Benutzern Höhenängste entstehen und Parkplatzangebote an Stationen vorhanden sein müssen. In jedem Fall sollte für den Einsatz von Stadtseilbahnen vorab geprüft werden, ob ihr Einsatz sinnvoll ist, so das Fazit des Verkehrsexperten. Da Stadtseilbahnen laut Prof. Monheim den bestehenden ÖPNV nicht ersetzen, sondern diesen ergänzen, sollten nicht nur mögliche Trassen in Augenschein genommen werden sondern der gesamte Prüfraum, also die gesamte Innenstadt. Am Ende muss die Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, die formale Planbarkeit (Konflikte und Widerstände mit der Bevölkerung), die Erweiterbarkeit, die Modifizierbarkeit und die städteräumliche Einpassung einer strengen Prüfung unterzogen werden. In jedem Fall rät Prof. Dr. Monheim den Verantwortlichen die Bürger von Beginn an mit einzubeziehen.

Der Pferdefuß

Im Anschluss erhielt der Befürworter einer Stadtseilbahn für Kempten Stadtrat Helmut Berchtold das Wort. Dieser versuchte den Anwesenden zu verdeutlichen, dass es bei der Lösung der bestehenden ÖPNV-Probleme wie u.a. zu wenige Fahrzeuge, zu geringe Taktung, keine Nachtfahrbusse etc., zwei mögliche Lösungsansätze gibt. Die konventionelle Lösung verpflichtet den Betreiber mehr Fahrzeuge anzuschaffen und Personal einzustellen. Zudem müsse vor dem Hintergrund des Klimawandels in neue Antriebsarten der Busse investiert werden. Nach einer Rechnung der mona GmbH entstünden Gesamtkosten von rund 75.600.000 Euro. Nun bringt Berchtold die „Seilbahnlösung" ins Spiel. Diese sieht vor, dass der komplette innerstädtische Stadtbusverkehr eingestellt wird und der Transport von Fahrgästen ausschliesslich von der Stadtseilbahn bewerkstelligt wird. Hierzu sollen zwei Verkehrsknotenpunkte im Norden an der Rottachstraße und im Süden am Haupbahnhof angelegt werden. Dort enden die Linien der Stadtbusse aus den Stadtteilen sowie der Regionalbusse aus dem Umland. Im inneren Stadtgebiet übernimmt dann die Seilbahn den ÖPNV. Vom nördlichen Knotenpunkt Rottachstraße steigen die Seilbahnbenutzer gleich in einen Rundkurs über Kempten zu, vom südlichen Knotenpunkt werden Passagiere zuerst zur Seilbahnstation am neuen Parkhaus (Telekomgelände) gebracht, bevor diese dort in den Rundkurs zusteigen. Die Kosten für die Seilbahnlösung beziffert Stadtrat und stellvertretender Vorsitzender der mona GmbH Berchtold auf rund 69.800.000 Euro. Das macht im konkreten Fallbeispiel die Seilbahnlösung wesentlich günstiger, zumal diese wohl bis zu 50% Förderung durch den Freistaat erhalten könnte. Das Ganze funktioniert allerdings nur unter der Bedingung, dass die Stadtseilbahn tatsächlich den innerstädtischen Einsatz von Stadtbussen überflüssig macht. Aus dieser Vorgabe entwickelte sich in der weiteren Diskussion der Pferdefuß der Initiative der CSU-Stadtratsfraktion.

Viele Zweifel

Nur wenige im Saal glauben tasächlich, dass der innerstädtische ÖPNV so leicht von einer Stadtseilbahn übernommen werden kann. Dieser Einschätzung schlossen sich nahezu alle Sprecher der Stadtratsfraktionen an. Nur Erwin Hagenmaier für die CSU verteidigte die Idee einer Stadtseibahn, die die ZUM entlasten würde und zudem eine Touristenattraktion werden könnte. Thomas Hartmann, Die Grünen, lobte zwar die Umweltfreundlichkeit einer Seilbahn, sieht aber am Horizont schon viele juristische Fallstricke, sei es im Bau-, Eigentums- oder Verkehrsrecht. Auch die Kosten seien in Wirklichkeit noch nicht verlässlich eruiert. Der Kritik schloss sich Katharina Schrader von der SPD an. „Wir haben einen Masterplan und den sollten wir im Interesse der Bürger und nicht der Touristen umsetzen." Michael Hofer von der ÖDP stellte die technische Machbarkeit anhand Kemptens kleinteiliger Topographie mit nur wenigen radialen Verkehrsachsen in Frage: „Es sind zu viele Kurven notwendig." Sowohl Alexander Hold von den Freien Wählern als auch Ulrich Kremser von der FDP verwarfen die Idee einer Stadtseilbahn für Kempten. Auch die Meldungen aus dem Publikum liessen erkennen, die Akzeptanz für die Idee einer Stadtseilbahn, die Stadtbusse überflüssig macht, ist ausbaufähig. Zusammengefasst heißt es, Kempten hat kein Problem mit zu vielen Stadtbussen sondern mit zuviel Motorisiertem Individualverkehr. Als es nach der Veranstaltung einsam wurde um die Verfechter einer Stadtseilbahn für Kempten, empfahl auch Prof. Dr. Heiner Monheim in seiner Zusammenfassung zur Causa den Befürwortern noch einmal darüber nachzudenken, ob eine solche Umsetzung eine Lösung für den ÖPNV in Kempten bieten kann. Vielmehr bekräftigte dieser die Kritiker darin, die gemeinsam formulierten Leitsätze des „Mobilitätskonzepts 2030" zuvor umzusetzen. Auch wenn der Abend im Auditorium zu einem „Punktsieg" der Kritiker führte, so bleibt doch zu wünschen, dass die Befürworter ihre an sich gute Idee überarbeiten und noch einmal in anderer Form zur Diskussion stellen.