Fall "Kalinka" wird verfilmt
Das Schicksal des 1982 in Lindau tot aufgefundenen Mädchens wird zum Justizdrama und geht jahrzehntelang durch die Medien. In 2015 kommt der Fall Kalinka nun sogar in die Kinos.
Das tote Mädchen vom Bodensee
Seit kurzem gibt es über die wahre Begebenheit einen Kriminalroman dazu. TRENDYone sprach mit dem Autor des Buches Wolfgang Hiller, der aus Immenstadt kommt und der auch im Rahmen einer Komparsenrolle Einblicke in die Dreharbeiten des Kinostreifens bekommen hat.
Das Allgäu kommt in die Welt
„Es wird kein reißerischer Thriller und auch kein Dokudrama, sondern ein spannender und unterhaltsamer Kinofilm, der auf einer realen Geschichte basiert“, so der Produzent Philipp Kreuzer über die deutsch-französische Co-Produktion. „Bamberski – Der Fall Kalinka“ kommt in der zweiten Hälfte 2015 in die Kinos. Neben Sebastian Koch, der Kalinkas Stiefvater spielt, und dem Franzosen Daniel Auteuil, der in die Rolle des leiblichen Vaters schlüpft, kann der Film noch weitere namhafte Schauspieler aufweisen. Der Allgäuer Buch-Autor Hiller zum Kinostreifen: „Die Drehorte sind Casablanca, Paris, Lindau und Kempten. Das Allgäu kommt sozusagen in die Welt. Das Team war immerhin zehn Tage in Lindau und in Kempten!“ Die Tatsache, dass der Film eine reale Begebenheit nacherzählt, findet auch Schauspieler Sebastian Koch bewegend: „Es ist sehr emotional.“Um was geht es?
Am 9. Juli 1982 wird ein Mädchen tot im Bett ihres Stiefvaters in dessen Haus am Bodensee aufgefunden. Es ist die 14-jährige Kalinka, die ihre Mutter und ihren Stiefvater Doktor Krombach oft zusammen mit ihrem Bruder besucht hatte. Während es zuerst den Anschein hatte, als wäre es ein Tod unter tragischen Umständen, wird der leibliche Vater André Bamberski schnell skeptisch.Und tatsächlich tauchen mehr und mehr Ungereimtheiten auf. Als der Arzt Krombach damals verhört wurde, hat er nahezu wortwörtlich gesagt: „Das Mädchen hatte einen Sonnenstich, vom Tag zuvor – durch übermäßigen Sonnengenuss und Surfen auf dem Bodensee. Als sie abends nach Hause kam, war ihr unwohl. Ich musste ihr zu gegebener Zeit eine Spritze geben.“ So erzählt es uns Wolfgang Hiller. Die Zusammensetzung jener Spritze ist jedoch höchst zweifelhaft und hat Kalinkas Tod zur Folge.
Aufgrund seiner Position als Arzt und seinen Verbindungen zur Gerichtsmedizin und Polizei wurde Krombach lange nicht richtig verfolgt. Als der leibliche Vater durch eigene Nachforschungen von der verpfuschten Autopsie in Memmingen erfährt, lässt er Kalinkas Leiche an seinen Wohnort nach Frankreich überführen. Dort schreibt die Gerichtsmedizin nieder, was in Deutschland vertuscht worden war: „Das heißt, das Mädchen hat ihre Verletzungen im Intimbereich nicht durch irgendwelche gymnastischen Übungen, sondern durch eine Gewalteinwirkung bekommen. Kurzum, es fand vor ihrem Tod eine Vergewaltigung oder eine versuchte Vergewaltigung statt.“
Während der mutmaßliche Täter Dieter Krombach von deutscher Justiz freigesprochen wird, stellt Frankreich einen Haftbefehl aus. Doch um abgeurteilt zu werden, muss sich Dieter Krombach erst einmal auf französischem Boden befinden – dazu sollte es jedoch erst mehr als 20 Jahre nach Kalinkas Tod kommen. 2009 findet man Krombach durch das Zutun des leiblichen Vaters Bamberski gefesselt in der Nähe eines französischen Justizgebäudes. Er wird wegen seines mittlerweile fortgeschrittenen Alters schließlich zu einer 15-jährigen Haft verurteilt. Auch Bamberski erwartet als Drahtzieher der Verschleppung ein Jahr Haft auf Bewährung.
Der Autor des Kriminalromans Wolfgang Hiller hat sich schon vor der Verfilmung mit dem Thema beschäftigt: „Bevor die Drehbuchautoren auf den Idee zum Film kamen, war mein Buch schon in der Entstehungsphase.“ Im Oktober 2014 erfuhr Hiller erst, dass es auch einen Film zu diesem Thema geben würde. Ähnlich wie den Schauspielern ging auch ihm Kalinkas Schicksal während seiner Recherchearbeiten sehr nahe: „Ich habe mich selbst schon obsessiv damit beschäftigt und mich fast als eine Art Ersatzvater gesehen.“
Wer mehr zur Geschichte Kalinkas und dem Justizkrimi erfahren möchte, dem ist Hillers Kriminalroman ans Herz zu legen. Unter dem Pseudonym Marc Palmer findet man den Roman „Der Fall Kalinka – Das tote Mädchen vom Bodensee“ seit Februar als Taschenbuch in den Buchhandlungen. Unter dem Titel „Todesspritze“ ist das Buch als Hardcover erhältlich.
Der Fall Kalinka – ein Justizdrama
Im Interview mit TRENDYone-Redakteurin Sabine Roth hat Buchautor Wolfgang Hiller noch mehr spannende Details zur Entstehung des Buches, seiner Komparsenrolle im Kinofilm und dem deutsch-französischen Justizdrama um den Fall Kalinka erfahren.
TRENDYone: Wie kamen Sie dazu, ein Buch zum Fall Kalinka zu schreiben?
Wolfgang Hiller: Die Geschichte hat mich schon immer brennend interessiert. Noch dazu ist es auch nicht mein erstes Buch. Ich würde mich zwar nicht als professioneller Schriftsteller bezeichnen, weil ich tatsächlich hauptberuflich Sport- und Gymnastiklehrer bin. Etwas, bei dem jeder sagt, wie kann so jemand ein Buch schreiben (lacht). Aber ich habe auch schon einige exotische Wanderbücher geschrieben. Bevor die Drehbuchautoren auf den Gedanken kamen, dazu ein Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben, war mein Buch über Kalinka schon in der Entstehungsphase – gedanklich sogar schon seit ein paar Jahren. Aber im Frühsommer letzten Jahres hatte ich dann genug recherchiert, um mit dem Schreiben beginnen zu können. Es ist allerdings immer noch ein verhältnismäßig dünnes Buch mit etwa 200 Seiten. Der Film wird vermutlich die Gerichtsverhandlungen wesentlich ausführlicher behandeln als ich es im Buch tat. Ich beschreibe mehr die Auswirkungen dieser Urteile, da ich bei den Prozessen nicht persönlich anwesend war. Deshalb wird im Buch vorrangig das abschließende Urteil in den Vordergrund gestellt.Wo haben Sie dann das alles zusammengetragen?
Man findet viel im Internet und in diversen Zeitungsartikeln. Ich habe außerdem die Reportagen von Stern und Focus verfolgt, die das auch thematisiert haben. Und ich habe ein Vergewaltigungsopfer gesprochen. Live. Direkt in Lindau. Und deshalb weiß ich, wie es sich ungefähr abgespielt haben mag. Aber das ist natürlich auch keine Garantie für hundertprozentige Richtigkeit. Deshalb habe ich auch im Vorwort meines Buches niedergeschrieben, dass besonders die Schilderung der letzten 24 Stunden vor dem Ableben der Kalinka bis zum Finden der Leiche nur aus dem entstanden ist, was noch rekonstruierbar ist. Wie man weiß, war Kalinka kurz vor ihrem Tod mit einer Freundin beim Surfen. Ihren damaligen Surflehrer, der inzwischen über 60 ist, habe ich auch gesprochen. Er hat mir bestätigt, dass sie dort war. Natürlich hat auch das Filmteam einige Recherchen gemacht. So ist es mir bei der ein oder anderen Person, die ich befragen wollte, passiert, dass sie meinte: Ach, spielen Sie auch in dem Film mit oder sind Sie der Drehbuchautor? Das habe ich dann immer verneint, da ich ja mein eigenes Buch geschrieben habe.Und wie kamen die dann auf Sie? Wusste das Filmteam davon?
Also es ist so: Mein Buch hat mit dem Film tatsächlich nichts zu tun – das Timing ist wirklich Zufall. Viele vermuten jetzt wahrscheinlich einen Zusammenhang, aber das ist nicht so. Denn ich habe letztlich schon vergangenes Jahr im Mai damit begonnen, das Buch zu schreiben. Auf einmal lese ich dann im Oktober, dass es einen Film über dieses Thema geben wird. Und ich dachte mir, das darf nicht wahr sein. Jetzt schreibe ich das Buch und die verfilmen das! Tatsächlich war ich dann sogar bei den Dreharbeiten dabei – habe mich aber nicht geoutet. Im Film spiele ich in einer Nebenrolle einen Redakteur der Lindauer Zeitung.Wieso wollten Sie beim Dreh dabei sein?
Ich wollte wissen, wie deren Fassung aussieht und wie am Set alles abläuft. Es wurden damals Komparsen gesucht und ich habe mich über das Internet bei der Produktionsfirma aus Grünwald gemeldet und mich da praktisch als Komparse zwei Tage eingeschlichen (lacht). Aufgeklärt habe ich das noch nicht. Aber ich habe da auch keine rechtlichen Probleme, da ich ja nicht spioniert und deren Fakten verwendet habe. Sondern ich wollte nur wissen, an welchen Drehorten sie drehen, und ich wollte den ein oder anderen Hauptdarsteller sehen. Es gab Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu meinem Buch: Bei der früheren Praxis Krombachs fanden zum Beispiel keine Dreharbeiten statt. In der Altstadt von Lindau ist aber dann die Lindauer Zeitung – da wiederum wurde schon ein paar Tage gedreht. Und dann gab es noch einen Drehort: Gleich nach Lindau, an der österreichischen Grenze. Da war Krombach auch kurzzeitig verhaftet worden.Frankreich hat den Arzt ja, wohlgemerkt in Abwesenheit, verurteilt. Damals gab es ja noch keine offenen Grenzen, die kamen erst Anfang 2000. Krombach hat häufig diese Grenze überquert und wurde dann auch ein paar Tage an der österreichischen Grenze festgehalten – aber wieder freigelassen. Genauer wird es in meinem Buch erklärt (lacht), aber es war so, dass auch die österreichische Justiz gemeint hat, wer weiß, ob das alles so stimmt, nur weil die Franzosen vielleicht einen Hass auf diesen Mann haben mögen. Der damalige österreichische Justizminister hat sich eben einen Tick besser mit Deutschland verstanden. Dann haben die kurz miteinander korrespondiert und dann ist er eben auch bei den Österreichern wieder freigekommen. So ungefähr ist das abgelaufen. Der letzte Stand der Dinge war dann, dass Bamberski wusste, dass Krombach nur verurteilt werden kann, wenn er ihn irgendwie auf französischen Boden bekommt – ob mit oder ohne Gewalt. Und weil er ohne Gewalt nicht zu kriegen war, hat man ihn dann schließlich mit Gewalt nach Frankreich hinübergebracht. Es fand vor seiner Villa tatsächlich ein Überfall statt.