Sex, Russen und Videotapes

Sex, Lügen und eine Prise Kalter Krieg: Das sind die Zutaten einer Affäre, die derzeit den Pariser Kommunalwahlkampf aufmischt. Im Zentrum steht der russische Aktivist Pjotr Pawlenski. Er hat ein Sexvideo des Pariser Bürgermeisterkandidaten Benjamin Griveaux veröffentlicht und diesen zum Rücktritt gezwungen. Nun spekuliert ganz Frankreich: Wer steht hinter Pawlenski? War seine bildhübsche Freundin ein Lockvogel? Hat Moskau seine Hand im Spiel?

Zunächst war es Griveaux' eigene Hand, die ihn zu Fall brachte, wie französische Satiriker süffisant bemerken. Das von Pawlenski veröffentlichte Sextape zeigt einen masturbierenden Mann, der eine Frau in einer Textbotschaft zum Entblößen ihrer Brüste auffordert.

Der Rückzug Griveaux' zum "Schutz" seiner Familie wird als Geständnis gewertet. Hochnotpeinlich für Präsident Emmanuel Macron, der seinen früheren Sprecher in das prestigeträchtige Amt des Pariser Bürgermeisters befördern wollte. Ein Hauch von US-Prüderie weht durch Frankreich, das sexuelle Eskapaden seiner Politiker gewöhnt ist.

Dem desavouierten Griveaux bleibt nur der Gang vor Gericht: Die Pariser Justiz hat ein Ermittlungsverfahren gegen Pawlenski wegen Verletzung der Intimsphäre eröffnet. Den Russen schreckt der Prozess nicht. Ihm ist es wichtiger, die "Scheinheiligkeit" Griveaux' enthüllt zu haben, der öffentlich die Familienwerte pries.

Nur eins bedauert Pawlenski, der sich in Russland aus Protest gegen die Regierung nackt in Stacheldraht rollte und vor dem Kreml einen Nagel durch seine Genitalien jagte: Dass seine Webseite "Porno-politique" gesperrt ist, auf der er das Video veröffentlicht hatte.

Die in perfektem Französisch präsentierte Webseite des anerkannten Russland-Flüchtlings trieb eine Sprecherin Macrons zu der Vermutung, Pawlenski habe "zweifellos Hilfe" bei der Veröffentlichung gehabt. Zu sehr fühlt sich der Elysée-Palast an die russische Geheimwaffe des "Kompromat" erinnert: brisantes Material, mit dem nicht nur im Agentenkrimi Mächtige zu Fall gebracht werden.

Alle Blicke richten sich auf Schlüsselpersonen im Umfeld des Russen: Allen voran seine mysteriöse Freundin Alexandra de Taddeo, gegen die ebenfalls Ermittlungen laufen. Die 29-jährige studiert Jura und soll fünf Sprachen sprechen, darunter Russisch. Sie nahm nach französischen Medienberichten Kontakt zu Griveaux auf - über den Online-Dienst Instagram.

Und da ist der Freund des Paares, der Anwalt Juan Branco: Der 30-Jährige hat früher Wikileaks-Gründer Julian Assange vertreten, dem ebenfalls Kontakte zu Russland nachgesagt werden. Branco hat einen Abgesang mit dem Titel "Crépuscule" ("Abenddämmerung") über Präsident Macron veröffentlicht und wird von der Protestbewegung der "Gelbwesten" gefeiert. Er musste die Verteidigung Pawlenskis inzwischen wegen Befangenheit niederlegen.

War der Anwalt der Mittelsmann, der russische Künstler der willige Vollstrecker und seine Freundin der Lockvogel - und das Ganze ein russisches Komplott, um Macron zu schaden? Schließlich hatte der Präsident den Kreml bereits im Wahlkampf 2017 im Verdacht, hinter den "Macron Leaks" zu stehen: schmutzigen Gerüchten über dessen angebliche Homosexualität, die in Online-Medien wie RT France und Sputnik gestreut wurden. Beweise gibt es für all dies nicht.

Vielleicht hilft die Frage, wer von dem Schlamassel profitiert? Natürlich Macrons innenpolitische Gegner am linken und rechten Rand, denen im monatelangen Streit um die Rentenreform langsam der Atem ausgeht. Womöglich auch der Kreml und seine Satellitenmedien, die über die Zerwürfnisse im "alten Europa" feixen. Und natürlich der "Künstler" Pawlenski, der im Pariser Exil nun endlich bekannt ist.

Aber letztlich auch die Pariser. Drei Wochen vor der Kommunalwahl ist endlich Schwung in den Wettstreit gekommen. Zuletzt drehte er sich vor allem um die Frage, wie viele Bäume die Kandidaten zur Begrünung der Hauptstadt pflanzen wollen.