Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

Sie zählt zu den Grauzonen unserer Gesellschaft

„Das war doch nur ein Scherz!“ Ja? War es das? Wir wissen: Hinter jedem noch so harmlosen Spaß steckt immer ein Quäntchen Wahrheit. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zählt zu den Grauzonen unserer Gesellschaft, denn sie ist oft schwer zu greifen, gerade zu Beginn.

Wir klären die wichtigsten Fragezeichen um dieses Thema und helfen hoffentlich denjenigen, die bis jetzt jeden „Spaß“ mit sich haben machen lassen. Denn: Das müssen Sie nicht!

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Form der Belästigung, die insbesondere auf das Geschlecht der betroffenen Person abzielt und im Sinne des Arbeitsrechts rechtswidrig ist.
Klar geregelte Worte finden wir im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)“:

„[…] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“ (§ 3 Abs. 4 AGG)

Eine Untersuchung wertete mehr als 700 Gerichtsurteile und -beschlüsse zwischen 1980 und 2014 aus, in denen alle gerichtlichen Entscheidungen zu sexuellen Übergriffen im Arbeitsumfeld berücksichtigt wurden. Mit Ausnahme von 25 Fällen waren nur Frauen betroffen.
Die besagte Umfrage ermittelte ebenfalls, dass 81 Prozent der sexuellen Belästigung von Frauen durch Männer verübt wurde.

Mehr als besorgniserregend sind die Ergebnisse einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2015: Demnach gab jede zweite Person an, am Arbeitsplatz eine verbotene sexuelle Belästigung selbst erlebt zu haben.

Welche Formen von sexueller Belästigung gibt es?

Verbal
  • sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, oft zweideutig
  • aufdringliche und beleidigende Kommentare über die Kleidung, das Aussehen oder das Privatleben
  • Fragen mit sexuellem Inhalt, z. B. zum Privatleben oder zur Intimsphäre
  • Aufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen, z. B. „Setz dich auf meinen Schoß!“
  • sexualisierte oder unangemessene Einladungen zu einer Verabredung

Non-verbal
  • aufdringliches oder einschüchterndes Starren oder anzügliche Blicke
  • Hinterherpfeifen
  • unerwünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug
  • unangemessene und aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken
  • Aufhängen oder Verbreiten pornografischen Materials
  • unsittliches Entblößen

Physisch
jede unerwünschte Berührung (Streicheln, Kneifen, Umarmen, Küssen), auch wenn die Berührung scheinbar zufällig geschieht
wiederholte körperliche Annäherung, wiederholtes Herandrängeln, wiederholtes Ignorieren der üblichen körperlichen Distanz (ca. eine Armlänge)
körperliche Gewalt sowie jede Form sexualisierter Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung
(Quelle: www.antidiskriminierungsstelle.de)

Welche möglichen Folgen hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz?

Kurzfristige Folgen können Ärger und Aggression, Schlaflosigkeit, Migräne, Magenschmerzen, Verlegenheit und Scham, Angst und Hilflosigkeit, Schock und Ohnmacht, Schuld oder Ekel sein.

Langfristige Folgen sind vom Gefühl der Minderwertigkeit über Verlust des Selbstvertrauens, Beziehungsschwierigkeiten, Angstzustände, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Arbeitsunfähigkeit, Depression bis hin zu Panikattacken möglich.
(Quelle: https://www.antidiskriminierungsstelle.de)

Wie können Betroffene gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen?

Das AGG sieht für Betroffene drei zentrale Rechte vor:

Beschwerderecht (§ 13 AGG)

Alle Beschäftigten haben das Recht im Unternehmen bei der zuständigen Stelle Beschwerde einzulegen. Die Beschwerdestelle muss im Betrieb bekannt gemacht werden und hat die Pflicht, die Situation zu prüfen und das Ergebnis der betroffenen Person mitzuteilen. Darüber hinaus dürfen für Betroffene keine Nachteile, wie eine Abmahnung oder eine Kündigung, entstehen. Außerdem haben Beschäftigte den Anspruch auf vorbeugende und unterbindende Schutzmaßnahmen durch den Arbeitgeber (§ 12 Abs. 1 – 4 AGG).

Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG)

Sollte der Arbeitgeber keine wirksamen Maßnahmen ergreifen, um die belästigte Person zu schützen, kann Besagte von der Arbeit fernbleiben und weiterhin das volle Gehalt verlangen. Der Arbeitgeber sollte vor der Leistungsverweigerung allerdings schriftlich und unter Angabe von Gründen informiert werden.

Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz (§ 15 AGG)

Fallen Arzt- oder Therapiekosten an, die wegen der sexuellen Belästigung entstanden sind, müssen diese vom Arbeitgeber übernommen werden (Schadensersatz). Auch ein Schmerzensgeld ist möglich (Entschädigung), welches allerdings nur bis zu einer Frist von zwei Monaten beantragt werden kann.

Leider ist mehr als 80 Prozent der Beschäftigten nicht bewusst, dass der Arbeitgeber seine Angestellten vor Übergriffen schützen muss (§ 12 AGG). Doch auch selbst, kann man etwas tun: Mit einer offenen Abwehr und möglichst im Beisein anderer und einer klaren und direkten Zurückweisung ist der erste Schritt getan. Wir müssen nichts hinnehmen, was bei uns Unbehagen auslöst. Wichtiger Hinweis: Dokumentieren Sie sich die Vorfälle (Datum, Uhrzeit, Ort, Art des Vorfalls). Dies kann als Beweismittel verwendet werden.

Wo finden Sie Hilfe und Beratung?
Hilfe- und Beratungstelefon der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Mo – Fr von 9 – 12 und 13 – 15 Uhr
Tel.: 030 185551865
Weitere Hilfs- und Beratungsangebote finden Sie außerdem unter:
www.antidiskriminierungsstelle-datenbanken.de.

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“

Rund um die Uhr
Tel.: 08000 116016 (bei Bedarf steht Ihnen eine Dolmetscherin zur Verfügung)

Welche Schutzpflichten, Präventions- und Sanktionsmöglichkeiten sowie Pflichten haben Arbeitgeber?

Das AGG verlangt von Arbeitgebern, dass sie im Einzelfall geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen ergreifen, damit betroffene Beschäftigte in Zukunft vor sexueller Belästigung geschützt sind. Es gibt mehrere Möglichkeiten, mit sexueller Belästigung umzugehen:
Prävention, Ermahnung, Abmahnung, Um- bzw. Versetzung oder Kündigung (§ 12 Abs. 3 AGG).

Präventionsmaßnahmen

sind z. B. Schulungen, Betriebsvereinbarungen oder Aushänge zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
Prävention gehört zu den allgemeinen Schutzpflichten aller Arbeitgeber und sollte in jedem Unternehmen vorhanden sein.

Die Ermahnung ist das mildeste Mittel, das sich direkt an die beschuldigte Person richtet, die sich zweideutig verhalten hat. Das heißt: Wenn ein bestimmtes Verhalten tatsächlich nicht gewollt war, aber als sexuelle Belästigung gewertet werden kann (z. B. Komplimente, die nicht anzüglich, aber unerwünscht sind).

Eine Abmahnung ist das mildeste Mittel, wenn eine sexuelle Belästigung nachweislich stattgefunden hat und berechtigt zu einer Kündigung, sollte sich der sexuelle Übergriff erneut wiederholen.

Bei einer Versetzung werden Beschäftigte, die sexuelle Belästigung ausgeübt haben, an einem anderen Ort bzw. in einer anderen Abteilung eingesetzt. Warum keine Kündigung? Ein langjähriges Arbeitsverhältnis oder besondere soziale Verantwortung gegenüber der beschuldigten Person sprechen dafür, von einer Kündigung abzusehen, auch wenn diese grundsätzlich gerechtfertigt wäre.

Die Kündigung

beendet das Arbeitsverhältnis. Eine Kündigung ist auszusprechen, wenn es um schwere Fälle sexueller Belästigung geht, insbesondere körperliche Übergriffe, Nötigung und Beleidigung.
Auch bei wiederholter sexueller Belästigung ist eine Kündigung eine sinnvolle Konsequenz.

Grundsätzlich haben Arbeitgeber einen eigenen Ermessensspielraum, mit welchen Maßnahmen sie auf eine sexuelle Belästigung reagieren. Bei schweren Vorfällen reduziert sich dieser Anspruch allerdings, sodass betroffene Beschäftigte unter Umständen sogar einen Anspruch auf Kündigung der belästigenden Person erwirken können.

Welche Aufgaben und Pflichten hat der Betriebsrat im Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz?

  • Schützen der Beschäftigten vor Benachteiligung (§ 17 AGG).
  • Entgegennahme von Beschwerden der Beschäftigten.
  • Sicherstellung zur Einhaltung der Schutzpflichten des Arbeitgebers (Betriebsverfassungsgesetz).
  • Antragsstellung beim Arbeitsgericht, sollte der Arbeitgeber seinen Pflichten nicht nachkommen (§ 17 Absatz 2 AGG).
  • Mitbestimmungs- und Initiativrecht bei der Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
  • Eingreifen zugunsten der/des Belästigten in schwerwiegenden Fällen, bei denen es sich um Entschädigung oder Schadenersatz handelt.
  • Präventionsarbeit (z. B. das Organisieren von Betriebsversammlungen, die das Thema sexuelle Belästigung thematisieren, Bereitstellung von Informationsmaterial).
  • Prüfung, ob Mitarbeiter über das Thema angemessen informiert und sensibilisiert sind.
  • Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und dementsprechende Gegenmaßnahmen.


Dürfen wir jetzt nicht mehr Flirten? Die kleinen knisternden Auszeiten haben nichts mit sexueller Belästigung zu tun und sind am Arbeitsplatz auch nicht verboten. Ein Flirt entsteht in einem beiderseitigen Einverständnis. Sexuelle Übergriffe geschehen wiederum ohne Zustimmung der anderen Person. „War doch nur ein Scherz!“ Vielleicht, aber mit paragrafgeballten Folgen.