Am Staatstheater Augsburg hieß es: Vorhang auf für "Carmen".

Opernpremiere im Martini-Park

Mit der wohl berühmtesten und beliebtesten französischen Oper hielt der mediterrane Charme Spaniens Einzug ins Staatstheater Augsburg. Wer kennt nicht die musikalischen Höhepunkte – etwa die Habanera, die Blumenarie und das Torero-Lied? Bei der Opernpremiere im Martini-Park war unsere Kollegin Marion Buk-Kluger vor Ort und schildert ihre Eindrücke:

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Bild: Jan-Pieter Fuhr
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Vorneweg, von Beginn an zieht mich persönlich das Zusammenspiel der Augsburger Philharmoniker, Opernchor, Extrachor und Augsburger Domsingknaben sowie den Solisten in seinen Bann. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle - eine detaillierte Besprechung der Instrumentalisten und Sänger/Sängerinnen überlasse ich den Kollegen der Kulturkritik - Natalya Boeva (Carmen), Jihyun Cecilia Lee (Michaela) und Gasttenor Xavier Moreno (Don José): Bravo. Moreno (im Bild links mit Kollege Shin Yeo, die ich beide nach der Premiere kurz sprechen konnte) erzählte mir bei der Premierenfeier, es sei seine zehnte Carmen, in der er spiele. Und auch bei ihm kam die Begeisterung für diese Inszenierung von Aileen Schneider zum Vorschein. Diese teile ich.

Bizets Musik und die vorgegebene Story aus Liebe und Eifersucht ist gesetzt. Was in Augsburg dramaturgisch daraus gemacht wird, ist Gelegenheit für Reflexion, des eigenen Geschlechts sowie gesellschaftlicher Strukturen.

Diese Carmen kommt nicht im folkloristischen Gewande einer spanischen Flamenco-Tänzerin daher oder zumindest in feurigem Rot gekleidet, um optisch ihre Leidenschaft und Lebens- sowie Liebeslust zu demonstrieren. Stattdessen ist sie in der Augsburger Inszenierung als rockig-punkige Frau zu erleben, die an Lady Gaga mit durchgängig schwarzem Outfit à la Kiss erinnert. Eine Dämonin der Liebe, die dennoch verletzliche Phasen hat und trotz aller Emanzipation, dann doch der Oberflächlichkeit eines Glitzer-Glamour Toreros erliegt. Shin Yeo als Escamillo gibt diesen im weiß-lila Elvis "look alike" Kostüm so gekonnt und zeigt wie der Schein die Fans wie Motten das Licht anzieht.
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Willkommen in der Social-Media Scheinwelt. Ein besonderer Kniff im vierten Akt sei hier erwähnt: Dann, wenn der Chor mitten im Publikum singt und man sich selbst in der Stierkampf-Arena wähnt.

Bühne und Kostüm (Jan Hendrik Neidert und Lorena Díaz Stephens) schaffen ein Gesamtbild, das so vielschichtig die allgegenwärtigen Themen zeichnet. Schlicht ergeben die Häuschen , die mal in Front-, dann wieder in Innenansicht zur Spielstätte werden, aber nie das Spiel überlagern, das Bühnenbild über vier Akte. Im Kostüm zeigt sich, was betrachtet werden muss/soll. Die uniformierten Arbeiterinnen, die mit ihren gleichen Frisur-Perücken zu Beginn erst durch deren Abnahme eine Individualität erlangen, aber schnell wieder je einem Mann samt Jungen zugeordnet werden. Vater-Mutter-Kind, so hat es zu sein, für eine jede. Da kommt Carmen mit ihrem Ausbruch, wenn sie sich dem blauen Kittelkleid entledigt als Vorbild , aber auch Gefahr zugleich daher. Wo hingegen Don José zunächst mit seiner ärmellosen Daunenweste wie der harmlose, fast trottelig wirkende Softie wirkt, der dankbar die Aufmerksamkeit der Carmen aufsaugt. Doch diese Beziehung wiegt schwer und zeigt sich in der aufgeblasenen Weste, die erdrückend auf seinem Rücken wiegt. Erst im Schlussakt steht er da mit weißem Hemd aus der Hose hängend, seine Carmen gemeuchelt, die letztendlich trotz aller Emanzipationsversuche lieber ihr Leben gibt als sich ihm zu untergeben - und somit dann doch irgendwie gescheitert ist mit ihrem Freiheitskampf der Frau.

Einen Besuch der Oper empfehle ich: musikalisch allemal durch Bizets Musik, optisch und aufgrund der Inszenierungs-Facetten, die zum Nachdenken anregen.