Clearing-Stelle für Bühl bei Immenstadt

Das Kemptener Förderzentrum St. Georg der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) betreibt drei Wohngruppen für unbegleitete Jugendliche Flüchtlinge in Bühl bei Immenstadt. Ab Dezember soll es hier nun auch eine eigene Clearing-Stelle geben.

Neues Zuhause nach Krieg, Flucht und Elend

Neun junge Männer sitzen mit Leonhard Laur zusammen. Sie kommen aus Afghanistan, Somalia und Eritrea und haben sich an diesem Nachmittag im Haus Seeblick in Bühl am Alpsee zur wöchentlichen Jugendkonferenz versammelt. Zwischen ihnen sitzt Sozialpädagoge Laur. Er leitet diese Gruppe, die zum Kemptener Förderzentrum St. Georg der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) gehört, und ist für die neun Jugendlichen verantwortlich. Wie auch die 18 weiteren Bewohner im Nebenhaus der Einrichtung sind sie alle minderjährig, auf sich allein gestellt, kommen aus Kriegsgebieten und haben auf der Flucht vor Bomben, Folter und Elend Dinge erlebt, die man niemanden wünscht. Pädagogen, Psychologen, Heilerziehungspfleger, Lehrer und Dolmetscher unterstützen die häufig traumatisierten Jugendlichen dabei, hier Fuß zu fassen und neue Perspektiven zu entwickeln.

Wie es Amir heute geht? Er hat Angst.

Es sind Jugendliche wie etwa Amir. Schon als Kleinkind ist Amirs Familie vor den Taliban aus Afghanistan in den Iran geflohen. Seit seinem fünften Lebensjahr ist Amir Waise. Ein Onkel und ein älterer Bruder versorgten den Jungen. Im Iran war er zwar „geduldet“, wurde aber von Polizei und Behörden massiv unter Druck gesetzt. Er hat nie eine Schule besucht und musste schon im Alter von acht Jahren auf Baustellen arbeiten. Als 15-jähriger machte sich Amir dann auf den Weg nach Deutschland, mit nur wenig Geld in der Tasche und fast alles zu Fuß. „Er ist von Griechenland hierher fast alles gelaufen“, berichtet Diplompädagoge Leonhard Laur. Aufgrund der Fluchtumstände habe er fast jede Orientierung für Ort und Zeit verloren. Nach der Clearing-Phase in Augsburg landete Amir schließlich im Haus Seeblick, in der dritten KJF-Wohngruppe für unbegleitete Minderjährige am Standort Immenstadt- Bühl. Amir lebt dort mit acht anderen jungen Männern, hat feste Betreuungspersonen, die mit ihm den Alltag strukturieren. Er bekommt von Anfang an intensiv Deutschunterricht und psychologische Unterstützung. Wie es Amir heute geht? Der junge Mann spricht nicht, blickt zu Boden und hat vor allem Eines: Angst. Angst, dass er wieder abgeschoben werden könnte, irgendwohin, wo er nicht gewollt ist. Zum Beispiel zurück in seine Heimat, die er gar nicht mehr kennt. Nach Afghanistan.

"Mama fehlt mir"

Kontaktfreudiger ist da schon der 17jährige Abel aus Eritrea. Einer, der stolz ist, es geschafft zu haben. Der schmale, dunkelhäutige Jugendliche hat eine rund einjährige Flucht auf einer der gefährlichsten Routen der Welt hinter sich. Mit langen Aufenthalten in Flüchtlingslagern in Äthiopien, im Gefängnis im Sudan, Inhaftierung und Misshandlung in Libyen ... und den riskanten Seeweg über das Mittelmeer, bei dem das Motorboot mit 600 Menschen an Bord um ein Haar untergegangen wäre. Eine Biographie des Schreckens. Abel ist der älteste Sohn seiner Familie. Sein Vater sitzt in Eritrea im Gefängnis. Wie es ihm geht, weiß Abel nicht. Es gibt keinen Kontakt. Der Jugendliche fühlt sich verantwortlich für seine Familie, will der Mutter und den Geschwistern helfen. Beim Stichwort Mutter treten Abel Tränen in die Augen.
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Abel ist 17 Jahre und eben doch noch ein halbes Kind: „Mama fehlt mir“ murmelt er und dreht sich weg.

Die ersten haben schon einen Job und eine eigene Wohnung

„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu betreuen ist eine besondere Herausforderung, nicht nur in pädagogischer Hinsicht“, betont Leonhard Laur. Denn vom ersten Tag an gebe es Fragen, die das Aufenthaltsrecht der Jugendlichen in Deutschland betreffen. Die Jugendlichen in den Wohngruppen am Alpsee haben deshalb neben dem gesetzlich bestellten Vormund einen persönlichen Betreuer, an den sie sich mit ihren täglichen Fragen und Sorgen wenden können. „Wir wollen hier vor allem eine familiäre Atmosphäre schaffen, einen Raum bieten, in dem sich die jungen Männer angstfrei bewegen können“, erklärt Laur. „Nach Monaten und Jahren der Angst und Unsicherheit brauchen sie Stabilität.“ Um ihre Traumata zu bewältigen – die Einrichtung in Immenstadt arbeitet hier auch eng mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Josefinum in Kempten zusammen – müssen sie sich sicher und geborgen fühlen. In einem fremden Land, wo sie inzwischen nicht mehr immer und überall willkommen sind. Dank der professionellen Betreuung vor Ort würden sich die jungen Männer aber schnell einleben und integrieren. Bei den ersten 18 Flüchtlingen, die seit etwa einem Jahr in den KJF-Wohngruppen im Kaiserhaus lebten, sei dies beispielhaft gelungen. „Die ersten ziehen in eigene Wohnungen, haben eine Lehrstelle“, so Laur. Auch Amir und Abel sollen spätestens nach zwei Jahren Berufsschule in Immenstadt und zusätzlichem Deutschunterricht in der Wohngruppe eine Ausbildung beginnen können. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Abel jedenfalls ist zuversichtlich, motiviert und ehrgeizig. Wenn die anderen in Immenstadt zum Fußball gehen oder nach Augsburg in den Zoo fahren, bleibt er zuhause und lernt Deutsch. Denn er möchte sobald wie möglich arbeiten und seine Mutter und Geschwister in Eritrea unterstützen.

Eigene Clearing-Stelle noch in diesem Jahr

Alle Jugendlichen, die in den Wohngruppen in Bühl am Alpsee leben, haben ein aufwändiges Clearing-Verfahren in Augsburg oder München hinter sich, an dessen Ende die Unterbringung in einer geeigneten Einrichtung steht. „Das ist für die psychisch labilen und oft schwer traumatisierten jungen Menschen oft eine Zumutung. Sie müssen ihren neuen Aufenthaltsort teilweise nach Monaten erneut wieder verlassen“, betont Leonhard Laur. Unter der Trägerschaft der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) soll deshalb ab Dezember in Bühl eine hauseigene Clearingstelle für neun Personen eingerichtet werden.

Frage: Was ist ein Clearing-Verfahren? 


Laur: Im Clearing-Verfahren werden die jeweiligen Lebens- und Fluchtumstände geklärt. Es werden Untersuchungen durch das Gesundheitsamt durchgeführt und ein Vormund bestellt, der die elterliche Sorge vertritt. Bis dann ein Umzug in eine feste Unterbringung erfolgt, sollten nicht mehr als drei Monate vergehen.

Wie läuft das Clearing-Verfahren ab?

Wird ein jugendlicher Flüchtling von der Polizei aufgegriffen, so wird zunächst das zuständige Jugendamt informiert. Der Jugendliche wird „in Obhut“ genommen. Unterstützt von einem Dolmetscher werden Fragen zu Herkunft, Alter, Familienumstände und Fluchtgründe geklärt. Über das Amtsgericht wird ein Vormund bestellt, wenn klar ist, dass keine sorgeberechtigten Eltern in Deutschland sind. Der Minderjährige wird bei der Ausländerbehörde angemeldet und erhält eine Duldung, das heißt, seine Abschiebung wird ausgesetzt. Sobald ein Asylantrag durch den Vormund gestellt wurde, erhält der Jugendliche eine Aufenthaltsgestattung für die Dauer der Durchführung des Asylverfahrens. Es werden standardmäßige Untersuchungen beim Gesundheitsamt durchgeführt sowie der psychologische Betreuungsbedarf eingeschätzt.

Welche Vorteile hat eine Clearing-Gruppe direkt in Bühl?

Da bei weitem nicht genug stationäre Unterbringungsplätze für alle ankommenden unbegleiteten Minderjährigen bestehen, ist es nicht immer gewährleistet, dass der Jugendliche den passenden Hilfsbedarf auch erhält. Um diese Situation zu verbessern, wird die KJF eine eigene Clearing-Stelle eröffnen und von dort die Jugendlichen in eine der hauseigenen Wohngruppen unterbringen – je nach Bedarf in eine therapeutische, eine heilpädagogische oder eine teilstationär betreute Wohngruppe. Da alle Wohnformen in Bühl vor Ort sind, müssen die Jugendlichen nicht noch einmal umziehen.

Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg e.V. (KJF)

Die Katholische Jugendfürsorge der Diözese Augsburg e.V. (KJF) wurde 1911 gegründet. Sie ist ein Gesundheits- und Sozialdienstleister mit rund 80 Einrichtungen und Diensten im Gebiet zwischen Lindau, Neu-Ulm, Nördlingen, Aichach und Murnau. Dazu gehören unter anderem Angebote der Medizin mit mehreren Kliniken, der Berufsbildung für behinderte und nicht behinderte Jugendliche und Erwachsene mit Berufsbildungswerken und Vermittlungsdiensten, der Kinder- und Jugendhilfe mit Wohngruppen, Tagesstätten, Beratungsstellen und mobilen Diensten sowie mehrere Schulen.
Die rund 4.000 Beschäftigten des Verbandes helfen im Jahr 75.000 Kindern, Jugendlichen und Familien bei Schwierigkeiten und Fragen. Vorstandsvorsitzender der KJF ist Markus Mayer, Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Weihbischof em. Josef Grünwald. Weitere Informationen zur KJF finden Sie unter http://www.kjf-augsburg.dewww.kjf-augsburg.de.