Das Allgäu bereitet sich auf die Rückkehr des Wolfes vor

Willkommen zurück?

TRENDYone sprach im exklusiven Interview mit der Wildtierökologin vom Jagd- und Fischereirecht des Landratsamtes Oberallgäu Agnes Hussek:

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Bild: stock.adobe
Wann wurde der Wolf nach seinem Aussterben im Allgäu wieder zum ersten Mal vor Ort gesichtet und wie viele Sichtungen, Beweise seiner Anwesenheit gibt es seither?
In Bayern wird die Rückkehr der Wölfe durch das Landesamt für Umwelt (LfU) genau beobachtet. Dieses Monitoring ist wichtig, um die Verbreitung und die Entwicklung des Wolfsbestandes zu dokumentieren, da die Wildart nach wie vor strengem Artenschutz unterliegt. Die erste offizielle Dokumentation eines Wolfes nach dessen lokalem Aussterben im Oberallgäu durch das LfU erfolgte 2014. Anhand von Bildern und genetischen Spuren konnte das Tier eindeutig als Wolf identifiziert werden. Der Rüde soll der alpinen Population entstammen und wurde zuvor im vorarlbergischen Bregenzer Wald nachgewiesen. Genau in diesem Grenzbereich streift auch der zur Zeit einzige als standorttreu definierte Wolf im Oberallgäu umher. Dabei handelt es sich jedoch um ein anderes Tier – es entspringt der sogenannten zentraleuropäischen Population und wurde 2018 mehrfach im Bereich Burgberg und Immenstadt nachgewiesen. Dort hatte der Rüde, der auch mit GW999 (Grey Wolf + Identifikationsnummer) bezeichnet wird, Nutztiere gerissen. Seitdem konnten durch diesen Wolf keine Übergriffe auf Nutztiere mehr nachgewiesen werden. GW999 scheint die vergangenen Jahre mit Wildtier-Kost vorlieb zu nehmen. Insgesamt kam es die letzten Jahre immer wieder zu vereinzelten Wolfs-Nachweisen im Allgäu, z.B. über Losung (Kot) der Tiere oder Fotofallenbilder. Freilich wird auch immer wieder von Wolfssichtungen berichtet – als eindeutige Beweise sind diese jedoch nicht anerkannt.
 
Wie gefährlich kann der Wolf für Mensch sowie Nutztier werden?
Wölfe sind Top-Prädatoren, das heißt sie stehen in der Nahrungskette oben und brauchten außer dem Mensch nie viel zu fürchten. Die Meidung des Mensch erfolgte dabei auch durch erlerntes Verhalten – schließlich wurden die Tiere früher verfolgt und getötet. Nun haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Wölfe stehen unter strengem Schutz und besiedeln Lebensräume aus denen sie lange verschwunden waren. Die Wolfsbestände in Deutschland nehmen derzeit enorm zu mit Wachstumsraten um die 30 % pro Jahr. Hinzu kommt, dass Wölfe sehr lernfähig sind und durchaus opportunistisch agieren.
Wir lernen in den letzten Jahren viel über Wölfe in unserer Kulturlandschaft. Nutztierrisse häufen sich mit der Ausbreitung der Wölfe. Bislang gab es bei uns noch keine Angriffe auf Menschen, diese sind global gesehen auch sehr selten.

Dennoch ist Vernunft geboten: Wölfe können dem Menschen gefährlich werden. Ein praktikables und realistisches Wolfsmanagement zu etablieren, sollte von allen Interessensgruppen Unterstützung erfahren - bevor die Akzeptanz für Wölfe zu tief sinkt. Von der Rückkehr der Wölfe direkt betroffen ist ganz klar in erster Linie die Landwirtschaft bzw. bei uns die Alpwirtschaft. Diese Interessensgruppe darf nicht allein gelassen werden mit Ihren Sorgen - hier ist ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe gefragt.
 
Welche Möglichkeiten gibt es im Allgäu Weidevieh vor möglichen Wolfsattacken zu schützen?
Dort wo es möglich ist und Wolfsvorkommen bekannt und zu erwarten sind, sollten Maßnahmen wie Elektrozäune, Herdenschutzhunde, Hirten usw. genutzt werden. Dies gilt insbesondere für die Schaf- und Ziegenhaltung. Diese Nutztiere werden statistisch betrachtet besonders häufig von Wölfen angegriffen. In der Praxis kommen im Allgäu jedoch viele Flächen für Herdenschutzmaßnahmen nicht in Frage. Auch bringen diese mehr Herausforderungen mit sich als auf den ersten Blick ersichtlich. Um die Akzeptanz für große Beutegreifer zu wahren und damit auch ihren Fortbestand zu gewährleisten, dürfen Nutztierhalter nicht auf Mehrkosten des Herdenschutzes oder Schäden durch gerissene Tiere sitzen bleiben. Das LfU hat erst kürzlich Karten veröffentlicht welche zeigen, dass vor allem die Berglandschaft des südlichen Oberallgäu als nicht zumutbar vor Wölfen zu schützen eingestuft wird. (https://www.lfu.bayern.de/natur/wildtiermanagement_grosse_beutegreifer/herdenschutz/weideschutzkommission/index.htm Link zu Karten unten auf Seite). Die Möglichkeiten im Allgäu Weidevieh zu schützen sind somit sehr begrenzt. Hier verspricht ein Zusammenleben mit Wölfen konfliktreich zu werden.
 
Wie werden die betroffenen Landwirte im Falle eines Verlust an Nutzvieh entschädigt?
Der Staat strebt Entschädigungszahlungen bei Schäden an, die durch sogenannte große Beutegreifer (Bär, Luchs, Wolf) verursacht werden, um die Akzeptanz für diese Wildarten zu wahren. Dabei muss ersichtlich sein, dass ein großer Beutegreifer für den Verlust verantwortlich ist und dass, dort wo es möglich ist, zumutbare Präventionsmaßnahmen ergriffen wurden. Die genauen Regelungen werden von der LfL bekannt gegeben: https://www.lfl.bayern.de/itz/herdenschutz/029866/index.php 
 
Der Wolf ist kein vom Aussterben betroffenes Raubtier. Ist es vor diesem Hintergrund nötig, seine Ausbreitung in Deutschland zu fördern?
Die Frage nach dem Erhaltungsstatus des Wolfes ist tatsächlich eine viel diskutierte, auch in Fachkreisen. Aktiv fördern muss man die Ausbreitung des Wolfes nicht. Das macht er von alleine und das mit Erfolg. Die strengen Schutzmaßnahmen haben funktioniert, Wölfe besiedeln Lebensräume wieder aus denen sie Jahrzehnte verschwunden waren.

Global und auf Europa bezogen sind Wölfe heute nicht vom Aussterben bedroht. Anders sieht es aus, wenn wir den Betrachtungsrahmen auf Bundesebene oder Teilpopulationen des Wolfes verkleinern. Dann ist der laut FFH-Richtlinie geforderte „günstige Erhaltungszustand“ noch nicht überall erreicht. Diskutabel ist das Thema vor allem, weil wir wissen, dass Wölfe weite Wanderungen vollziehen können. Der genetische Austausch wäre somit über größere Distanzen möglich. Eine zu kleine Betrachtungsebene wird der Wildart nicht gerecht.  Die aktuelle Rechtsprechung hinkt den Entwicklungen der Wolfsbestände wohl hinterher, jedoch ist sie bindend.