FDP diskutiert mit Betroffenen der Veranstaltungsbranche

#AlarmstufeRot

Bisweilen treibt es auch Bundestagsabgeordnete auf die Straße, um zu sehen, was im Lande vor sich geht. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag Stephan Thomae begab sich Ende Oktober unter die Teilnehmer der Demonstration „#AlarmstufeRot" im Berliner Regierungsviertel. Den FDP-Mann aus dem Allgäu interessierte, was Vertreter der Veranstaltungs- und Eventbranche als Betroffene der zweiten Ausgangssperre zu berichten hatten. „Die Eindrücke waren deprimierend. Manche aus der Branche scheinen aufgegeben zu haben.", sagt der FDP-Mann aus dem Allgäu. Die zweite Ausgangssperre verlangt von den Betroffenen nun wiederholt ihren Geschäftsbetrieb komplett einzustellen. Dabei stellt die Veranstaltungs- und Eventbranche den sechstgrößten Wirtschaftszweig innerhalb Deutschlands dar und erwirtschaftet rund 130 Mrd. Euro Umsatz. Nun aber stehen alle Räder still und unter den Betroffenen macht sich die Einsicht breit: „Wir waren die ersten, die betroffen waren, wir werden die letzten sein, die wieder herauskommen."

Stillstand finanzieren
Die Demonstration in Berlin regte im FDP-Bundestagsabgeordneten Thomae den Wunsch in der Allgäuer Heimat in Kontakt mit Betroffenen der Veranstaltungs- und Eventbranche zu treten. Gemeinsam mit den Kreisvorsitzenden der FDP-Oberallgäu Michael Käser und dem FDP-Kreisvorsitzenden Kempten Frank Häring organisierte Stephan Thomae jetzt eine Videokonferenz, zu der Betroffene der Branche eingeladen wurden. Der bekannte Pianist Andreas Schütz, der unlängst einen Brandbrief an Ministerpräsident Söder schrieb, der Clubbesitzer des bekannten „Parktheaters" Kempten Johannes Palmer, die Betreiber des Colosseum Center Familie Dietel-Sing als auch die langjährige technische Leiterin der Allgäuer Festwoche Marianne Lechner sprachen über ihre Erfahrungen nach zwei Ausgangssperren und einem wenig erträglichen Sommergeschäft. Dabei stellte Thomae voran, dass nach seiner Auffassung derzeit eher „der Stillstand finanziert würde, als dass langfristig tragfähige Lösungen erprobt würden.". Die Spätfolgen dieses wiederkehrenden Herunterfahrens von Teilen der Wirtschaft aber, so der FDP-Politiker, seien noch in Jahren spürbar. So verdeutliche die Erhöhung des Bundeshaushalts 2021 um 139 Mrd. Euro auf 489 Mrd. Euro die Misere. Immer mehr Geld fließt in einen Stillstand ohne Exitstrategie.

Betroffene kommen zu Wort
Dass die Misere nicht nur den Staatshaushalt belastet, sondern die Betroffenen vor allem ganz persönlich trifft, machten die Gäste mit ihren Einlassungen am Abend deutlich. Der Pianist Andreas Schütz kritisiert die vielen unterschiedlichen Hilfsprogramme für Soloselbstständige, die immer wieder mit unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen, Einschränkungen und Ausnahmen aufwarten. So bekam der Musiker, der im vergangenen Jahr durch China tourte, bisher keine finanziellen Hilfen vom Bund oder Land. „Die Vergaben der Hilfsgelder funktionieren ein wenig nach dem Prinzip „Russisch Roulette", mutmaßt daher ein frustrierter Künstler, der in diesem Jahr 90% Umsatzeinbußen zu verkraften hat. Auch die Familie Dietel-Sing, die in Kempten das Colosseum Center mit sieben Kinos betreibt, fühlt sich vom Staat im Stich gelassen und ist über die zweite Ausgangssperre innerhalb eines Jahres mehr als verärgert. Dabei hat die Familie Dietel-Sing wie die meisten Betroffenen in teure Hygienemaßnahmen zum Schutz der Besucher investiert und es vermocht, dass über die Sommermonate nachweislich nicht ein einziger Fall einer Corona-Infektion im eigenen Haus bekannt wurde. Ob sie die in Aussicht gestellte Novemberhilfe von 75% des Umsatzes vom November 2019 in voller Höhe zugeschrieben bekommen, halten die Kinobetreiber für eher unwahrscheinlich. Dabei hatte sich Matthias Sing, Sohn von Geschäftsführerin Andrea Dietel-Sing und studierter Jurist, sich zu Beginn der zweiten Ausgansgssperre juristisch gewehrt. Sing reichte beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Popularklage im Eilantrag ein, die aber gleichsam wie die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vorerst abgelehnt wurde. Mutter und Sohn Dietel-Sing stören sich zudem daran, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, dass Kinosäle oder ähnliche Veranstaltungsorte per se als Keimzellen von Infektionsherden dargestellt würden. Selbst nach Beendigung der Pandemie rechnen beide daher damit, dass dieses Narrativ in den Köpfen der Menschen bleibt und viele vom Besuch eines an sich sicheren Ortes wie dem eines Kinos abhalten werden.

Parktheater Kempten
Auch beim Clubbesitzer Johannes Palmer überwiegt nach zwei Ausgangssprerren, einem mageren Sommergeschäft in seinem neu eingerichteten Biergarten und teuren Investitionen in Hygieneschutzmaßnahmen der Frust über die Gesamtsituation. Mit dem „Parktheater" betreibt Palmer einen der bekanntesten Clubs im Allgäu und ist zudem bei der Organisation von Festivals und dem Stadtfest Kempten auf höchster Ebene beteiligt. Wie auch andere aus der Allgäuer Veranstaltungs- und Eventbranche war er seit Jahren wirtschaftlich erfolgreich und hat Steuern und Abgaben ins Stadtsäkel gezahlt. Umso mehr frustiert es ihn, dass seine treuen Angestellten z.T. in Hartz 4 geschickt werden und aufgrund von Unsicherheit, Angst und Perspektivlosigkeit viele von der Branche Abschied nehmen und Jobs in anderen Wirtschaftszweigen suchen. So fürchtet Palmer, dass selbst wenn die Branche aus dem Lockdown entlassen wird, neue Probleme auftauchen werden: „Die guten Leute sind dann weg.", so Palmer.

„Das Leben verbieten"
Einen gesamtheitlichen Blick auf die Misere der Branche äußert die langjährige technische Leiterin der „Allgäuer Festwoche" und Architektin Marianne Lechner, die sich nicht nur angesichts der Corona-Krise zur Brandschutzexpertin und geprüften Meisterin für Veranstaltungstechnik weiterbilden liess. Aus regelmäßigem Austausch mit Betroffenen weiss Marianne Lechner, dass die meisten der Betroffenen aus Gastronomie und der Veranstaltungsbranche in teure Hygienekonzepte investiert haben, um nach der ersten Ausgangssperre zumindest im Sommer ihr Geschäft auf „Schleichfahrt" betreiben zu können. Da wirke die zweite Ausgansgsperre, die in englischer Sprache als „Lockdown Light" verkauft wurde, für die Betroffenen als schlechter Witz. Vielen steht nach dieser Zeit das Wasser ohnehin bis zum Halse und die versprochenen Novemberhilfen und Überbrückungshilfen fliessen nur langsam. „Bei nur einem Viertel der Besucher bei Veranstaltungen, aber doppelter Belastung, kann sich jeder vorstellen, dass hier nicht rentabel gearbeitet werden kann.", so Marianne Lechner. Darüber hinaus befürchtet Lechner, dass es zu einem dauerhaften Klima der Angst kommen wird, dass es in der Gesellschaft keinen Platz mehr für Freude, Genuss und positive Zerstreuung geben wird. „Wir verbieten das Leben.", so das Fazit der Expertin für Veranstaltungstechnik.

Stephan Thomae sowie die beiden FDP-Kreisvorsitzenden Michael Käser und Frank Häring versprachen die Eindrücke des Abends in ihre tägliche politische Arbeit aufzunehmen und sich nach ihren Möglichkeiten für Verbesserungen für die Betroffenen einzusetzen. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae erwähnte am Ende noch eine schöne Anekdote um den ehemaligen britischen Premierminister Winston Churchill, der während seiner Amtzeit im 2. Weltkrieg auf die Frage, warum er nicht alles Geld in die Rüstung stecke, statt in die Kultur, geantwortet habe: „Wofür kämpfen wir denn dann?"