FDP Oberallgäu im Gespräch mit der Allgäuer Tourismusbranche

«Klartext!»

Bereits vor der Anfang Mai verkündeten Öffnungsperspektive durch die Bayerische Staatsregierung, bemühte sich das Allgäu eine Art Corona-Modellregion nach Tübinger Vorbild zu werden. Bei mehr Impfungen und mehr Tests und unter der Einhaltung aller Hygieneschutzmaßnahmen sollte Tourismus im Allgäu wieder möglich werden. Das tut auch bitter Not, denn vielen in der Branche steht das Wasser bis zum Hals. Bereits Ende Februar demonstrierten viele kleine Privatvermieter unter dem Motto „Allgäuer Gastgeber in Not" vor dem Landratsamt in Sonthofen. Seitens der Staatsregierung wurde viel versprochen, geschehen ist nichts. Deshalb wollte die FDP Oberallgäu/Kempten unter ihren Kreisvorsitzenden Michael Käser und Frank Häring in einer Online-Diskussion mit Betroffenen Möglichkeiten ergründen, wie ein Weg aus dem Lockdown aussehen kann. Dabei wurden die Liberalen von der Staatsregierung mit der nun verkündeten Öffnungsperspektive überrascht. Ab dem 21. Mai soll in Kreisen und kreisfreien Städten mit stabilen Zahlen unter 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen Hotels, Fereinwohnungen und Campingplätze wieder öffnen können. Ins Allgäu dürfen Geimpfte und Genese reisen und auch Ungeimpfte dürfen beherbergt werden, diese müssen allerdings in den jeweils vorgeschriebenen Zeitfenstern die notwendigen Tests vorlegen. Daher verlegte man den Fokus der Online-Diskussion auf die Frage wie die Öffnungsperspektive von den Betroffenen eingeschätzt wird und blickte gleichzeitig zurück auf acht Monate voller Ohnmacht und Perspektivlosigkeit.

Maßlose Enttäuschung über Regierungspolitik · Brachte angekündigte Demo einen Sinneswandel? · Froh über Öffnungsperspektive, aber Warten auf Details

Hochkarätige Gäste

Die FDP konnte für ihre Veranstaltung hochkarätige Gäste gewinnen. U.a. sprachen Bernhard Joachim, Geschäftsführer Allgäu GmbH; Klaus King, Bürgermeister der Gemeinde Oberstdorf; Michael Fäßler, Inhaber und Geschäftsführer Sonnenalp Resort; Michael Heel, Hotelier, Gastronom und Kreisvorsitzender DEHOGA Kempten; Armin Hollweck, Hotelier und DEHOGA-Kreisvorsitzender Oberallgäu, Jürnjakob Reisigl, Gründer und Geschäftsführer Explorer Hotels; Angelika Soyer, 1. Vorsitzende „Mir Allgäuer - Ferien auf dem Bauernhof e.V." und der Stellv. Fraktionsvorsitzende der FDP im Deutschen Bundestag Stephan Thomae.

Modellregion Allgäu

Bernhard Joachim, Geschäftsführer der Allgäu GmbH, hatte bereits Anfang des Jahres die Idee ins Spiel gebracht, das Allgäu als Modellregion zu etablieren und somit Tourismus wieder möglich zu machen. „Wir sind eine gut vernetzte Region und konnten immer auf die Sorgsamkeit unserer Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe vertrauen. Zudem konnten wir als Ausrichter der Nordischen Ski-WM im Februar wichtige Erkenntnisse im Bereich der Corona-Eindämmung gewinnen." Um so mehr enttäuscht zeigte sich Joachim, dass zwar viele Gespräche geführt wurden, es allerdings niemals zu nennenswerten Verbesserungen für die Branche gekommen ist. „Durch die allgegenwärtige Inzidenzstrategie wurden alle Bemühungen für Öffnungen eingegrenzt.", so Joachim. Gewünscht hätte sich der Tourismusexperte, dass die Verantwortlichen den Blick auch einmal ins Kleinwalsertal oder in die Modellregion Vorarlberg geworfen hätten.

Keine Reaktion

Auch der Bürgermeister der Gemeinde Oberstdorf Klaus King zeigte sich enttäuscht von den Verantwortlichen der Politik und unterstellte, dass man zur aktuellen Entscheidung Pro Öffnungsperspektive wohl erst durch eine konkret bevorstehende Demonstration der Betroffenen bewegt wurde. So berichtet King, dass für Anfang Mai eine Demonstration in München angemeldet wurde, bei der 500 Fahrzeuge, besetzt mit Bürgermeistern aus fünf betroffenen Tourismusregionen, den Verkehr auf dem Mittleren Ring zum Erliegen bringen sollten. Zudem war eine Abschlussveranstaltung unter der Bavaria geplant. Klaus King berichtet davon, dass im Zeitraum von Dezember bis Februar mehrere Schreiben an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, den Bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, die Bundesminister Jens Spahn, Olaf Scholz und Peter Altmaier verfasst wurden, in denen auf die Not der Branche hingewiesen wurde. Reaktion: Keine.

Der Blick über den Tellerrand

Michael Fäßler ist Inhaber und Geschäftsführer des Sonnenalp Resorts, einem der Top-Hotels Deutschlands. Die Politik der Verantwortlichen während der Corona-Krise brachte den Hotelier und Kommunalpolitiker dazu, seine 40 Jahre währende Mitgliedschaft in der CSU zu kündigen. Nun zeigt sich der Unternehmer froh, dass es endlich eine Öffnungsperspektive gibt, erwartet aber von der Politik mehr Information darüber, unter welchen Bedingungen geöffnet werden kann. Dabei ist die Sonnenalp mit eigener Teststation und vielen Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr gut aufgestellt. „Wir brauchen allerdings zwei Wochen Zeit um unseren Hotelbetrieb wieder hochzufahren.", so der Hotelier. Nach acht Monaten der Perspektivlosigkeit, der Entmündigung und wirtschaftlicher Einbußen, gerade auch für die Beschäftigten, freut sich Michael Fäßler auf ein vorsichtiges Zurücktasten in die Normalität. Von den Medien und der Politik erwartet der Geschäftsmann, dass man endlich wieder aus dem Panik-Modus herausfindet und empfiehlt einen Blick ins Ausland. Dort wurde laut Fäßler, trotz höherer Inzidenzen und weniger guten Gesundheitssystemen, mutiger gehandelt und somit viele wirtschaftliche und gesellschaftliche Kollateralschäden vermieden.

Was passiert, wenn…

Auch Jürnjakob Reisigl, Gründer und Geschäftsführer der Explorer Hotels, ist eher skeptisch, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. „Heute öffnen wir genauso konzept- und planlos, wie wir zweimal genauso konzept- und planlos haben schliessen müssen.", so Reisigl. Die verkündete Öffnungsperspektive empfindet der erfolgreiche Tourismuspionier in punkto Nachhaltigkeit als „aus der Hose entschieden und verkündet." Große Sorge bereitet Jürnjakob Reisigl was passiert, wenn Gäste während ihres Aufenthaltes positiv getestet werden. Er befürchtet ein neuerliches Auflammen des Infektionsgeschehens, gefolgt von weiteren Lockdowns. Reisigl fordert deshalb, um eine evidenzbasierte Übersicht über das Infektionsgeschehen in Deutschland zu erhalten, die verpflichtende Testung aller Arbeitnehmer. „Ä g'scheit Wuat" hat auch die 1. Vorsitzende des Vereins „Mir Allgäuer - Urlaub auf dem Bauernhof e.V." Angelika Soyer gepackt. „Wie mit uns in der Krise umgegangen worden ist, ist wahrlich hanebüchen. Stellenweise ist man sich vorgekommen, als würde unsere Branche am Rande der Illegalität agieren und eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen." Angelika Soyer spricht das aus, was am Abend wohl die meisten empfinden. „Wir sind das Bauernopfer in der Pandemiebekämpfung." Das, so Angelika Soyer, hat bei ihr tiefe Wunden geschlagen und bringt die engagierte Kämpferin für Privatvermieter aktuell zu der Feststellung: „Ich verzeihe es der Politik nie."

Förderalismus statt Zentralismus

FDP-Politiker und Bundestagsabgeordneter Stephan Thomae hatte die etwas undankbare Aufgabe die Dinge aus der Sicht der Politik zu erklären. Mit Respekt vor denen, die in der Pflicht stehen, die gegenwärtig schwierigste Krise des Landes seit 1945 zu stemmen, zeigt Stephan Thomae abweichende Positionen zu einer Politik der „Notbremse" und fortdauernder Lockdowns. Thomae bleibt ein Freund des Förderalismus und möchte eher einen Wettstreit der Bundesländer bei Lösungen zur Krise und spricht sich für regional begrenzte Eingriffe in das Infektionsgeschehen aus. „Dafür ist der Inzidenzwert allein ein zu grobes Instrument", so Thomae. Angesprochen auf das „Tübinger Modell" muss Stephan Thomae die Teilnehmer:innen enttäuschen: „Es war nicht gewollt, dass Tübingen funktioniert, man wollte das Projekt scheitern lassen.", so die Einschätzung des Politikers. Klartext eben.

Die Veranstaltung ist sowohl auf der Homepage der FDP-Oberallgäu als auch bei YouTube zu sehen: