Im Berufungsprozess um tödlichen Appetitzügler Mediator fordert Anklage harte Strafe

1417693e1934459dd12a0e109000bc161800a8d0
Mediator-ProzessBild: AFP/Archiv / Benoit PEYRUCQ

Das Diabetes-Medikament Mediator wurde drei Jahrzehnte lang trotz schlimmer Nebenwirkungen und Todesfälle in Frankreich als Schlankmacher verkauft - nun hat die Staatsanwaltschaft im Berufungsprozess erneut die Verurteilung des Pharmaunternehmens Servier gefordert. Servier solle fast 200 Millionen Euro zahlen - bis zu 182 Millionen Euro Gewinn aus dem Medikament sollten beschlagnahmt sowie 13,5 Millionen Euro Strafe gezahlt werden, forderte die Staatswanwaltschaft am Mittwoch in Paris.

Das Medikament wird für Hunderte von Todesfällen verantwortlich gemacht. In erster Instanz war Servier 2021 zu 2,7 Millionen Euro Strafe verurteilt worden. Die Richter befanden das Pharmaunternehmen der "schweren Täuschung" und "fahrlässigen Tötung" für schuldig. Servier war jedoch vom Vorwurf des Betrugs und des Erschleichens der Marktzulassung freigesprochen worden. Deswegen gingen die Zivilparteien in die Berufung.

Die Staatsanwaltschaft forderte das Gericht auf, die Verurteilung des 2014 gestorbenen Unternehmensgründers Jacques Servier und seines Vertrauten Jean-Philippe Seta wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung zu bestätigen. Sie forderte außerdem, sie um den erschwerenden Umstand des Betrugs und der "vorsätzlichen Verletzung einer besonderen Vorsichts- oder Sicherheitspflicht" zu ergänzen.

Die ungewöhnliche Höhe der geforderten Strafe von fast 200 Millionen Euro begründete Staatsanwalt Jean-Philippe Rivaud am Mittwoch mit der "Schwere des Tatbestands". Er bezeichnete die zuvor verhängten Geldbußen als "lächerlich" angesichts der angerichteten Schäden.

Die Staatsanwälte zitierten in ihren zweitägigen Plädoyers eine interne Nachricht aus dem Jahr 1969, aus der hervorging, dass "Menschen, die sich um ihre Figur sorgen" die "interessanteste Zielgruppe" seien. "Es ist glasklar, dass nicht Diabetes, sondern Übergewicht behandelt werden sollte", betonte Staatsanwalt Rivaud. Servier habe sich bemüht, das Medikament auf dem Markt zu halten, obwohl es bereits 1995 Hinweise auf starke Nebenwirkungen gab, erläuterte er.

Die Anwälte des Unternehmens hatten vor Gericht betont, dass die französische Medikamentenaufsicht erst nach 2007 auf die Gefährlichkeit des Medikaments aufmerksam gemacht habe.

Nach dem Prinzip der Vorsicht sei Servier jedoch verpflichtet gewesen, bereits den ersten Hinweisen nachzugehen und nicht auf die "verschlafene" Medikamentenbehörde zu warten, betonte die Staatsanwaltschaft. Die Mediator-Patienten seien "von Servier zu rein kommerziellen Zwecken instrumentalisiert" worden.

Das Diabetes-Medikament war etwa fünf Millionen Menschen verschrieben worden. Viele nutzten es zum Abnehmen. Es wurde erst 2009 vom Markt genommen, obwohl es schon Mitte der 1990er Jahre Anzeichen für schwere Nebenwirkungen wie Herzrhythmusstörungen gab. Die Zahl der Todesfälle wird auf mehrere Hundert geschätzt.

Servier gab an, vor 2009 nichts von den Risiken gewusst zu haben. In den USA, Spanien und Italien hatten die Behörden Mediator bereits Jahre zuvor verboten.

Der frühere Vize-Konzernchef Seta war in erster Instanz zu vier Jahren Haft auf Bewährung und zur Zahlung von 90.600 Euro verurteilt worden. Die Anklage hatte fünf Jahre Haft und 200.000 Euro Strafe gefordert. Die französische Arzneimittelbehörde ANSM musste 303.000 Euro zahlen, weil sie das Mittel zu spät vom Markt nahm.

Für den Berufungsprozess hatten sich etwa 7.500 Zivilparteien gemeldet, die die Verhandlung per Webradio verfolgen konnten. Der Prozess fand im dem Pariser Gerichtssaal statt, der für Terrorprozesse eingerichtet worden war. In der kommenden Woche werden die Plädoyers der Verteidigung erwartet. Das Urteil soll am 20. Dezember verkündet werden.

Die Justiz befasst sich noch mit etwa 5000 weiteren Fällen, in denen dem Unternehmen fahrlässige Tötung oder Verletzung vorgeworfen werden. Weitere Gerichtsverfahren sind demnach wahrscheinlich.