Frankreichs "Lügenpresse"-Diskussion

Die Proteste der "Gelbwesten", die sich am Wochenende zum ersten Mal jähren, haben Frankreich eine intensive "Lügenpresse"-Diskussion beschert. Das Vertrauen in die Medien ist auf 24 Prozent gesunken - das ist laut dem Reuters-Institut für Journalismusstudien in Oxford der niedrigste Wert in Europa. Eine Studie der Pariser Zeitung "La Croix" sieht das Vertrauen in die Medien auf dem tiefsten Stand seit 1987.

Und das, obwohl die "Gelbwesten"-Proteste eine "beispiellose" Berichterstattung nach sich gezogen haben, wie das französische Rundfunkinstitut INA in einer aktuellen Studie feststellt. Danach haben etwa die französischen Fernsehnachrichten fünf Monate lang 20 Prozent ihrer Themen der Bewegung gewidmet.

"Die Krise war für die französischen Medien dasselbe wie der Wahlsieg von Donald Trump für die US-Medien", sagt der Chef des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders Franceinfo, Vincent Giret. Er macht einen "ständigen Fluss von Fake News und beispiellose Gewalt gegen Journalisten" für die Vertrauenskrise verantwortlich.

Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen stellte in ihrem Jahresbericht über die Pressefreiheit 2019 fest: "In Frankreich wurden bei der Berichterstattung über die Proteste der 'Gelbwesten' mehrfach Medienschaffende angegriffen, zahlreiche TV-Teams wagten sich nur noch in Begleitung von Sicherheitsleuten zu den Demonstrationen."

Der Kommunikationsforscher Arnaud Mercier sieht dahinter ein tief sitzendes Misstrauen: "Die Bewegung der 'Gelbwesten' prangert das sogenannte Herrschaftswissen von Journalisten, Politikern und Experten gleichermaßen an", sagt der Professor von der Universität Paris.

In der Tat sind viele französische Hauptstadtjournalisten durch dieselben Elitehochschulen gegangen wie die meisten Politiker. In der Provinz sind die Redaktionen infolge der Anzeigenkrise dagegen ausgedünnt. Die außerhalb von Paris starke "Gelbwesten"-Bewegung wirft den Medien vor, "sie jahrelang ignoriert und unsichtbar gemacht zu haben", wie Forscher Mercier betont.

Die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter seien für sie "ein Raum der Gegen-Öffentlichkeit". Seine Analyse erinnert an die deutsche Pegida-Bewegung, die als Facebook-Gruppe begann. Auf demselben Netzwerk fragte die einflussreiche "Gelbwesten"-Gruppe "Frankreich in Wut" ihre Anhänger: "Glaubt Ihr, dass die Medien uns anlügen?" In nur 48 Stunden antworteten 15.000 Menschen mit "ja" - nur rund 350 waren nicht dieser Meinung.

Die "Gelbwesten" informieren sich aber nicht nur über Online-Netzwerke, wo Demonstrations-Aufrufe und Videos über Polizeigewalt Verbreitung finden. Sie wenden sich auch Medien zu, die sie als "frei" betrachten.

Davon profitieren junge Internetmedien wie "Brut", "Le Media" oder "Thinkerview", die ihre Inhalte zum Teil über YouTube verbreiten. Auch russische Staatsmedien wie der Fernsehsender RT (früher: Russia Today) und die Internetplattform Sputnik haben in Frankreich an Reichweite gewonnen. Sie präsentieren sich als Alternative zu etablierten Medien und zeichnen ein Frankreich, das von sozialen Unruhen, Kriminalität und Flüchtlingsströmen geprägt sei.

Eine Reihe von Traditionsmedien haben darauf reagiert: Der öffentlich-rechtliche Sender Radio France, die nordfranzösische Zeitungsgruppe "La Voix du Nord" und die Zeitschriften "L'Express" und "L'Obs" haben etwa eine "Bürgerbefragung" ins Leben gerufen. Damit wollen sie "das beschädigte Vertrauen wiederherstellen und gemeinsam am Journalismus von morgen" arbeiten.