Julian Warner: „Wir machen das zusammen“
Das Brechtfestival endete am 2.3.mit einem zweitägigen Tanzmarathon
- 10 Tage Festival, über 400 Mitwirkende, 15 beteiligte Communities
- Brecht-Klassiker, Literatur, Uraufführungen und neu entwickelte Formate
- Festivalleiter Julian Warner übergibt Staffelstab an Sahar Rahimi und Mark Schröppel, seine Nachfolger
„Every Augsburger is a star“... sang Festivalleiter Julian Warner zum Abschluss des Brechtfestivals beim 48 Stunden-Tanzmarathon – nicht nur als Ansporn für die vielen Beteiligten, sondern auch als Schlussakkord der letzten drei Brechtfestival-Ausgaben, für die er verantwortlich war. Drei Jahre, in denen er und sein Team sich intensiv der Stadt und ihren Communities zugewandt haben. Ihre Expertise wurde Teil des Festivalprogramms. Die Augsburgerinnen und Augsburger traten an die Stelle von Bertolt Brecht.
„Über 400 Mitwirkende aus unterschiedlichsten Teilen der Augsburger Stadtgesellschaft mit Tänzen von Afro-Amapiano bis Zvarzlama sind dem Aufruf des Brechtfestivals gefolgt und haben in Brechts Kraftklub gezeigt, wie Kultur in finsteren Zeiten Spaltung überwinden und Gemeinsamkeiten sichtbar machen kann.“, erklärt Jürgen K. Enninger, Referent für Kultur, Welterbe und Sport der Stadt Augsburg.
Brechtfestival Auftakt: Wo „Kleine Leute“ wie Stars gefeiert werden
Die Wrestling-Show „Kampf um die Stadt“ begeisterte als handfestes Lehrstück über den brutalen, entfesselten Mietmarkt. Brechtexpertinnen, Theaterbegeisterte und Wrestling-Fans tobten gemeinsam in der berstend vollen Arena in Brechts Kraftklub, als die Figur „Kleine Leute“ erst von „der Vermieterin“ und anderen Widrigkeiten in die Mangel genommen wurde - und sich dann behauptete.
Zum weiteren Programm gehörten die wissenschaftliche Konferenz „Brecht ohne Garantien“, internationale Produktionen, eine Performance im Schwimmbad, ein Kreativwettbewerb für Schülerinnen und Schüler, ein Podcast über Brechts ersten Sohn Frank, ein Science-Fiction-Abend im S-Planetarium und ein experimentelles politisches Format, bei dem Wasserlebewesen dafür votierten, einen Sitz im Augsburger Stadtrat zu bekommen. Der Kooperationspartner Staatstheater Augsburg trug die Klassiker „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“ bei und feierte vielbeachtete Uraufführungen von Dorothea Schroeder, Merve Kayikci und Dietmar Dath. Bei der Brechtnacht zeigte die Hamburger Band Die Sterne, dass sie weder an politischer Brisanz noch an Tanzflächentauglichkeit verloren hat. Fire! Orchestra, eine Kooperation von Star-Saxofonist Mats Gustafsson aus Schweden mit der lokalen und überregionalen Szene machte die Gemeinschaft stiftende Kraft der Musik erlebbar.
Der Tanzmarathon – eine Mischung aus Show, Konzert, Theater und totaler körperlicher Verausgabung – setzte lokale Gruppen wie Afro Passion, die Alevitische Gemeinde und das alevitische Kulturzentrum und Cem Haus, den Assyrischen Mesopotamien Verein, Roller Skate Augsburg, Tango El Besito, den Hep Cat Club, die Katholische Kroatische Mission, den griechisch-makedonischen Verein, die Salsa Gruppe Copa Caribe, Grup Zena, Kapelle Massanari, die Jüdische Gemeinde Augsburg und den vietnamesisch-deutschen Verein in Schwaben ins Licht.
Lustvoll und anarchisch: Puppentheater zeigt gesellschaftliche Widersprüche auf
48 Stunden performten die Langstrecken-Protagonistinnen und Protagonisten (fast durchgängig) auf der Tanzfläche. Um sie herum inszenierten Julian Warner und Veronika Maurer mit der Figurentheatergruppe Das Helmi, Schauspieler Damian Rebgetz und der Band „Hochzeitskapelle“ mit Dreigroschen-Hits und Brecht’schen Methoden drei ausladende Shows, in denen kapitalistische Widersprüche lustvoll und anarchisch reflektiert wurden.
Von den acht Tanzenden, die am Freitagabend in den Marathon gestartet sind, schafften es vier bis zum Schluss: Suzanne Fischer, Vijay Karthik Srivatsan, Beste Duman und Nicole Asmus tanzen 48 Stunden mit nur wenig Stunden Pausen. Nicole Asmus absolvierte acht Augsburger Volkstänze mit Bravour, erhielt in der B-Note die höchste Punktzahl und konnte sich somit den Sieg beim Tanzmarathon „Die 48 Stunden von Augsburg“ und das Preisgeld von 5000 Euro sichern. Der Abend in Brechts Kraftklub endet mit einer euphorischen und bewegenden Preisverleihung und Siegesfeier des Finalisten und der Finalistinnen mit anschließendem Dank an Julian Warner und sein Team, wobei immer wieder die Bedeutung und Kraft der Zusammenkunft von Menschen in allen ihren Unterschieden und der Mut, Unbekanntes zu wagen spürbar wurde.
Jürgen K. Enninger: Werte unserer Demokratie wurden lebendig
Kulturreferent Jürgen K. Enninger würdigt in seiner Rede Julian Warners Arbeit mit den Worten „Dein Motto als Festivalkurator war: Alle bringen Erfahrungen, Talente, Potential und Wünsche mit – der eine im Boxclub, der nächste im Trachtenverein und der übernächste als Brecht-Fan. Du hast die Menschen in der Brechtstadt clever und kontrastreich zusammengebracht, hast Community und Gemeinschaft erlebbar gemacht und so die Werte unserer Demokratie lebendig werden lassen. Du hast uns bewiesen, wie verschiedenste kulturelle Ausdrucksformen eine Stadtgesellschaft mitreißen und verändern können.“
Julian Warner reflektiert seine Zeit mit Brecht: „Ich hoffe, dass ich den Augsburgerinnen und Augsburgern zeigen konnte, dass das Brechtfestival ihr Festival ist. Wir machen das zusammen – das war immer mein Anspruch. Und ich habe mich immer gefreut, wenn jemand gekommen ist und gesagt hat: „Brecht sagt mir nichts, aber Festival klingt spannend.“ Das habe ich immer als eine Einladung verstanden, egal ob das in Lechhausen oder in der Ulmer Straße war. Ich würde mich freuen, wenn dieser Spirit weiterlebt, wie auch immer, wenn die Augsburgerinnen und Augsburger neugierig sind auf die Neuen und vielleicht mit der Haltung an sie herantreten: Hey, was hecken wir jetzt zusammen aus? Ich denke, die Dinge müssen sich ändern, damit sie gleichbleiben. Und nächstes Jahr komme ich als Besucher zum Brechtfestival!“
Das nächste Brechtfestival findet Ende Februar bis Anfang März 2026 statt. Die Künstlerische Leitung haben dann bis 2028 Regisseurin, Autorin und Performancekünstlerin Sahar Rahimi und Regisseur, Performer und Musiker Mark Schröppel inne.