“Pride Ulm.Neu-Ulm e.V.” organisiert erstmalig den Christopher Street Day: Vorstand Alpay Artun im Interview
Unter dem Motto "selbst & bestimmt"
Am 14. September findet der „größte und bunteste“ Christopher Street Day für Ulm und Neu-Ulm statt. Die Rechte der queeren Community sind im Rahmen des Demonstrations- und Aktionstages wieder das zentralste Thema. Neben einer großen Parade mit Musik, Fahrzeugen und Kostümen steht noch einiges mehr auf dem Programm. Darüber sowie über weiteres sprach unsere Redaktionsleitung Jana Dahnke mit Alpay Artun, einem der Vorstände von “Pride Ulm.Neu-Ulm e.V.”.
Alpay Artun: Wir erhalten unglaublich viel Unterstützung von Personen, Organisationen und Unternehmen aus dem queeren, aber auch aus dem nicht-queeren Umfeld. Viele, die sich beispielsweise in ihrer Organisation um die Belange queerer Menschen kümmern, kommen aktiv auf uns zu und vernetzen sich. Drag Queens aus der Umgebung treffen zusammen. Vereine möchten Mitglied werden. Große Unternehmen fragen uns, wie sie uns beim CSD unterstützen können. Das ist wirklich toll und motiviert uns.
Worin liegen die größten Schwierigkeiten beim Organisieren?
Dadurch, dass wir den CSD erstmalig organisieren – vor allem in dieser Größe - haben wir viele Herausforderungen vor uns. Ständig entdecken wir Kleinigkeiten, an die noch gedacht werden muss. Formulare und Anträge müssen zeitnah raus. Da fehlt uns einfach die Routine. Klassisches Fundraising – also Spenden und Sponsorings – muss in kürzester Zeit stattfinden, was entsprechend auch bedeutet, dass viele Organisationen und Unternehmen aufgrund eines ausgeschöpften Budgets erst nächstes Jahr einsteigen können. In finanzieller Hinsicht leiden wir daher noch unter latenten Kopfschmerzen.
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ulm und Neu-Ulm?
Auf beiden Seiten der Donau spüren wir großes Wohlwollen uns und dem CSD gegenüber. Das ist schon mal die beste Grundlage. Natürlich wäre es schön, wenn Anmeldungen und Anträge nicht doppelt gestellt werden müssten, aber das ist eben die Kehrseite einer Doppelstadt. Dafür fühlen wir uns von beiden Verwaltungen sehr gut unterstützt. Sie verstehen, dass dies auch für uns neu ist und wir mit doppelter Bürokratie zu tun haben.
In Augsburg und München hat der CSD zum Beispiel schon erfolgreich stattgefunden. Rechnet auch Ihr mit so zahlreichen Teilnehmern und wie bereitet ihr Euch darauf vor?
Wir würden uns nicht anmaßen, uns mit den ganz großen CSDs in München oder den mittelgroßen in Augsburg zu vergleichen. Aber es ist klar, dass wir künftig viele Gäste und Teilnehmende dabeihaben wollen und mittelfristig der CSD zum zweitgrößten Fest des Jahres nach dem Schwörmontag werden soll.
Was unterscheidet den CSD in Ulm/Neu-Ulm von dem in anderen Städten?
Es gibt nur ganz wenige Christopher Street Days in Deutschland, deren Demo-Parade über Landesgrenzen hinweg verläuft. Wir wollen Menschen aus Bayern und Baden-Württemberg bei uns zusammenbringen und auch vor der höchsten Kirche der Welt feiern und demonstrieren. Eine schönere Symbolik für Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz findet man sonst nirgendwo, das gibt es nur in Ulm und Neu-Ulm!
Wie stemmt Ihr die Vorbereitungen?
Damit das alles klappt, stecken wir mit einer Hand voll engagierter Menschen viel Zeit und Herzblut rein. Wir verteilen Aufgaben, arbeiten parallel an mehreren Baustellen und feilen nebenher daran, unsere Arbeitsweise zu optimieren. Nicht immer ist es einfach, aber wir lernen schnell und unsere Motivation treibt uns an.
Was ist Deiner Meinung nach die zentrale Botschaft der Veranstaltung?
Wir wollen den Finger in die Wunde legen und das Scheinwerferlicht dorthin lenken, wo unsere Gesellschaft und Demokratie noch krankt. Daher thematisieren wir dieses Jahr mit unserem Motto “selbst & bestimmt” die Diskriminierung von trans* Menschen – Die werden nämlich besonders oft Opfer von Gewalttaten und können nicht überall frei und sicher leben. Gefüttert werden solche Taten mit Ressentiments, die auch auf faktenfernen Geschichten basieren. Man denke da nur an unsägliche Diskussionen über “Männer in Frauensaunas” oder im Hochleistungssport. Das sind alles Nebelkerzen, die von echten Problemen ablenken. Ernste Probleme ergaben sich beispielsweise, wenn eine Person amtlich den Geschlechtseintrag ändern lassen wollte. Dann nämlich musste sich die Person extrem intime Fragen über Sexualpraktiken gefallen lassen, die keinen Menschen etwas angehen. Dazu waren zwei (!) psychologische Gutachten notwendig, die auch noch aus eigener Tasche bezahlt werden mussten. Diese Schikane und entwürdigende Praxis ist glücklicherweise mit dem Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung ein Relikt der Vergangenheit. Unser Motto ist daher auch eine Würdigung und Feier dieses Gesetzes.
Was liegt Euch beim diesjährigen Christopher Street Day besonders am Herzen?
Uns ist mit diesem Ereignis wichtig, dass wir für künftige CSDs den neuen Ton setzen. Wir feiern Erfolge und demonstrieren gegen noch bestehende Ungerechtigkeiten. Relevant ist für uns, die Botschaft an queere Menschen zu senden, dass sie vollkommen okay sind, so wie sie sind. Ein CSD ist ein Safe Space für alle, aber natürlich auch für Queere.
Was erwartet uns im Rahmen des diesjährigen Events?
Was es viel öfter in unseren Städten geben sollte, bieten wir in unserem Abendprogramm: Natürlich gibt es eine Drag Show mit Drag Queens aus der Umgebung! In unserem vielfältigen Programm haben wir außerdem eine Tanzperformance und weitere musikalische Auftritte, wegen derer wir noch in Gesprächen sind. Außerdem werden wir Tessa Ganserer, einer der beiden ersten trans* Bundestagsabgeordneten bei uns als Gast haben. Wir werden das Programm noch ein wenig ergänzen und auf unserer Website veröffentlichen.
Wie hat sich Eurer Meinung nach diese besondere Veranstaltung ganz allgemein im Laufe der Jahre verändert?
Dass der “Christopher Street Day” immer häufiger bei uns “Pride” genannt wird, zeigt ganz gut, welche Entwicklung die Veranstaltung gemacht hat. Wo früher einzig der Protest im Vordergrund stand, werden queere Menschen direkt ermutigt, sich nicht zu verstecken oder zu verstellen, sondern stolz zu sein, wie sie sind. Darüber hinaus sehen wir, dass es einen großen gesellschaftlichen Konsens über die Vielfalt im Land gibt und viele Organisationen und Unternehmen aus dem nicht-queeren Spektrum aktiv CSDs unterstützen. Das war früher anders.
Worauf freut ihr Euch persönlich im Rahmen des CSD am meisten?
Definitiv darauf, wenn unser CSD ganz nach Plan verläuft. Wenn wir allen ein rauschendes Fest und einen lauten Protest bieten konnten und wir stolz zurückblicken können auf das, was wir gewuppt haben.
Eueren Verein “Pride Ulm.Neu-Ulm e.V.” gibt es seit Anfang des Jahres. Konntet Ihr allgemein schon viel bewirken?
Ganz besonders froh sind wir darüber, dass wir nun endlich die anfängliche Bürokratie hinter uns lassen können. Der Verein ist nun eingetragen im Vereinsregister, das Bankkonto ist eröffnet und die Gemeinnützigkeit anerkannt. Wir können endlich operativ arbeiten und freuen uns zum Beispiel darüber, dass die Stadt Neu-Ulm auf unseren Impuls hin erstmalig die Regenbogenfahne am Rathausplatz gehisst hat. Eine Woche nach unserem CSD veranstalten wir gemeinsam mit dem cocomo eine Drag-Show in der Kulturnacht. Viele weitere Vernetzungs- und Aufklärungsangebote arbeiten wir derzeit aus.