Retouren-Wahnsinn: Was kann man gegen die vielen Rücksendungen tun?

20 Euro Kosten pro Paket

Endlich ist das Paket angekommen, doch die Schuhe sind zu groß, die Hose fiel kleiner aus als gedacht und auf dem Bild sah die Farbe des Kleides noch ganz anders aus – kein Problem: Kostenlose Retouren machen es uns möglich, die Ware ganz einfach zurückzusenden. Doch was bedeutet das für die Umwelt und für die Wirtschaft? Und lässt sich der Retouren-Wahnsinn überhaupt beenden – möglicherweise mithilfe von Künstlicher Intelligenz?

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Gerade wenn es auf Weihnachten zugeht, sind die Paket-Zusteller besonders am Schwitzen. Jahr für Jahr steigt zu dieser Zeit die Zahl an Bestellungen rapide an – und nach dem Fest wird davon jede Menge wieder zurückgeschickt. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Fehlgriffe bei der Geschenkauswahl, falsche Größen oder schlichtweg die Unzufriedenheit mit dem Produkt können dazu führen, dass zahlreiche Artikel den Weg zurück zum Händler finden. 

Auf die Spitze getrieben hat das Ganze die Corona-Pandemie, weil Läden geschlossen hatten und kontaktlose Käufe das A und O waren – und bequem obendrein! So gingen im Jahr 2021 laut der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg über 1,3 Milliarden Einzelartikel wieder zurück an den Handel.

Doch dieses Hin und Her kostet den Online-Handel tatsächlich Milliarden, obwohl das Rücksenden für die Kunden ja vermeintlich kostenlos ist. Ganz zu schweigen von den Folgen für die Umwelt: Wissenschaftlichen Studien zufolge entspricht der jährliche CO2-Ausstoß, der durch Retouren verursacht wird, dem von 400.000 Autos. Umfangreiche Recherchen des SWR-Investigativ-Formats Vollbild, der Zeit sowie des Recherche-Startups Flip zeigten etwa auf, dass beispielsweise der bekannte Mode-Händler Zalando seine Retouren bis zu 7.000 Kilometer quer durch ganz Europa schickt – nur um möglichst nah an potenziellen Kunden zu sein. Dabei liegt die Retouren-Quote bei dem Online-Händler bei stolzen 50 Prozent. Doch gleichzeitig wird eben auch kräftig bestellt.

Warum boomen das Online-Geschäft und damit die Retouren?
Denn das Online-Geschäft erlebt seit Jahren einen Boom. Das liegt zum einen an der bequemen Möglichkeit, rund um die Uhr einzukaufen, und zum anderen an der schier endlosen Produktauswahl, die das Internet bietet. Mit einem Mausklick ist es möglich, Produkte aus der ganzen Welt zu bestellen – und eben auch wieder zurückzuschicken. Dieser Komfort geht jedoch mit vermehrten Retouren einher, da Kunden das oftmals ausnutzen und direkt verschiedene Varianten und Größen bestellen und dann das Nicht-Passende zurückzugeben. Rund jedes vierte bestellte Paket wird hierzulande zurück an den Händler geschickt, Tendenz steigend: Den Forschern der Universität Bamberg zufolge waren es im Jahr 2018 noch circa 280 Millionen Pakete, während 2020 bereits 315 Millionen Pakete retourniert wurden. Hinzu kommt, dass speziell in Deutschland besonders großzügige Rückgabefristen herrschen als im Rest der EU. Darüber hinaus wird bei uns vergleichsweise mehr auf Rechnung bestellt, was eine Rücksendung leichter macht als bei einer Zustellung per Nachnahme, Abbuchung oder Vorauszahlung. Nicht zuletzt ist die Rücksendung in Deutschland meist kostenlos: Lediglich einer von zehn deutschen Online-Händlern verlangt nämlich Gebühren oder Kostenbeteiligungen, im europäischen Ausland ist es hingegen jeder zweite. Doch warum ist das so?

Warum sind die Händler so kulant?
Ganz einfach: Die Händler haben erkannt, dass eine kundenfreundliche Rückgabeoption die Kundenzufriedenheit erhöht und langfristige Kundenbindungen fördert. Gerade weil es so viele Anbieter gibt, muss man sich von der Masse abheben. Und Kunden schätzen nun mal die Möglichkeit, unkompliziert und kostenfrei Produkte zurücksenden zu können. Diese großzügige Rückgabepolitik schafft Vertrauen und motiviert zum Kauf. Vor allem traditionelle Handelsunternehmen wie H&M, C&A oder IKEA sind darauf angewiesen, neben dem klassischen stationären Handel auch einen Online-Kanal anzubieten. Allerdings haben Käufer im Versandhandel vor dem Abschluss des Kaufvertrags natürlich keine Möglichkeit, sich über den tatsächlichen Zustand der Kaufsache zu informieren. Um das auszugleichen, gewähren die Anbieter besonders kundenfreundliche Regelungen für die Retouren.

So gibt es beispielsweise bei Zalando ein 100-tägiges Rückgaberecht, was deutlich über der gesetzlichen Mindestanforderung im Fernabsatzhandel von 14 Tagen liegt. Leider führt das genau zu dem Phänomen, dass Kleidung, Schuhe und Co. in mehreren Größen bestellt werden oder gar beispielsweise nur einmal getragen und dann wieder zurückgeschickt werden. Manche legen auch einfach wahllos zusätzliche Artikel in den Warenkorb, um den Mindestbestellwert zu erreichen. Denn das Zurücksenden ist für Kunden ja kostenlos – zumindest auf den ersten Blick.

Wie viel kostet eine Retoure?
Eine Retoure verursacht leider nicht nur CO2, sondern auch erhebliche Kosten. Durchschnittlich liegen diese pro Paket den Forschern der Universität Bamberg zufolge bei 19,51 €, davon entfällt etwa die Hälfte auf den Transport (9,85 €), der Rest sind Bearbeitungskosten. Der wichtigste Kostentreiber sind dabei die Porto- und Transportkosten (80,9 Prozent), der Wertverlust bei Artikeln, die sich nicht mehr als A-Ware verkaufen lassen (45,5 Prozent), die Sichtung und Beurteilung der Artikel (33,8 Prozent) und zuletzt die Retourenvereinnahmung beziehungsweise Identifikation der Artikel (30,9 Prozent). 2018 kamen dadurch Gesamtkosten von etwa 5,46 Milliarden Euro zustande – zum einen werden diese durch die Kunden in Form von höheren Marktpreisen getragen, zum anderen auch die Margen der E-Commerce-Händler belastet.

Was passiert mit den Retouren?
Die mitunter große Anzahl an zurückgesendeten Artikeln wirft die Frage auf, was mit den Retouren eigentlich geschieht. Oftmals werden sie einer genauen Prüfung unterzogen, um festzustellen, ob sie wiederverkäuflich sind. Bei beschädigten oder benutzten Artikeln müssen diese entsprechend aufgearbeitet oder entsorgt werden. Ein Teil der Retouren kann nach entsprechender Aufbereitung erneut angeboten werden. Insgesamt werden rund 79 Prozent der Retouren direkt wieder als sogenannte A-Ware, also neuwertige Ware verkauft, weitere 13 Prozent gehen als B-Ware (Ware zweiter Wahl) an gemeinnützige Organisationen oder Outlet-Center. C-Ware hingegen ist auch dafür nicht mehr gut genug: Falls sie nicht von Restpostenaufkäufern ins Ausland gebracht wird, wird hier das Material recycelt. Zum Schluss gibt es noch die D-Ware, die völlig unbrauchbar ist und vernichtet werden muss, was rund zwei Prozent der Produkte betrifft – 2018 waren das auch immer noch etwa 20 Millionen Artikel. 

Was tun die Händler, um die Zahl der Retouren einzudämmen?
Um den Retourenwahnsinn einzudämmen, wäre es natürlich naheliegend, für die Rücksendungen Geld zu verlangen. Doch wie bereits erwähnt, hat die Kulanz der Händler ihre Gründe. Aber es geht auch anders, und zwar mithilfe von Tricks aus der Verhaltenspsychologie, was in einem Experiment einer Hamburger Unternehmensberatung verdeutlicht werden konnte. So wurden Kunden während ihres Bestell-Prozesses mit unterschiedlichen Nachhaltigkeits-Botschaften passend zu ihrem Einkaufsverhalten konfrontiert. Lag ein Artikel etwa in zwei Größen im Warenkorb, erschien beispielsweise ein Hinweis wie: „Viele Kunden finden direkt die richtige Größe mithilfe unserer Artikelbeschreibung und Größenberatung. Spar auch du die Rücksendungen und leiste einen wertvollen Beitrag für Umwelt und Klima.“.

Es zeigte sich: Allein durch diese Botschaft konnte die Retourenquote um 4,6 Prozent gesenkt werden, gleichzeitig stieg der Umsatz dadurch um 9,5 Prozent. Das Ganze hängt mit dem Prinzip der Sozialen Norm zusammen, das besagt, dass Menschen ihr Verhalten an Erwartungen von außen anpassen – wird also vermittelt, dass zahlreiche andere Kunden Retouren vermeiden, so motiviert das andere, dies auch zu tun. Ebenfalls erfolgreich war der Hinweis, wie viel Zeit die Kunden für eine Retoure aufwenden müssen. 

Des Weiteren setzen Händler verstärkt auf Maßnahmen zur Verbesserung der Produktbeschreibungen, um Kunden realistischere Erwartungen zu vermitteln. Denn wenn ein Käufer dank einer detaillierten Beschreibung inklusive Größentabelle genau weiß, aus welchem Material seine Wunsch-Hose besteht und wie diese ausfällt, wird er vermutlich seltener mehrere Größen bestellen, eher mit der Hose zufrieden sein und diese folglich nicht zurückschicken. Auch die Integration von Kundenbewertungen und Empfehlungen sind hier ein Ansatzpunkt, genauso wie beispielsweise Live-Chats, FAQs und ein guter E-Mail-Support.

Wie kann KI bei der Optimierung helfen?
Oftmals kommt bei der Optimierung des Kundenerlebnisses bereits auch Künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz: Mithilfe von KI können Händler zum Beispiel virtuelle Anproben anbieten sowie virtuelle Styling-Tools entwickeln, die ergänzende Produkte oder komplette Looks vorschlagen – hier lassen sich etwa mittels Machine Learning die Kaufhistorie und das Kundenverhalten analysieren. Gleichzeitig kann KI auch Muster in den Rücksendungen erkennen und feststellen, welche Produkte am häufigsten retourniert werden. Besonders fortschrittliche KI-Systeme sind sogar in der Lage, Vorhersagen über mögliche Retouren zu treffen und Unternehmen dabei unterstützen, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen.

Auch KI-gestützte Chatbots können rund um die Uhr auf Kundenanfragen reagieren und so verhindern, dass falsche Größen gekauft werden und zu Retouren führen. Gleiches gilt für die Verbesserung der Produktbeschreibungen, denn dank generativer KI können realistische Bilder und detaillierte Beschreibungen generiert werden, die wiederum ein besseres Produktverständnis vermitteln. Des Weiteren kann KI eingesetzt werden, um Produktbilder und -videos zu analysieren und Abweichungen zwischen dem angezeigten und dem tatsächlichen Produkt zu erkennen.

FAZIT:
Der Retouren-Wahnsinn ist ein Phänomen unserer Zeit, das eng mit dem Boom des Online-Handels verknüpft ist. Die großzügige Kulanz der Händler sowie die speziellen Umstände und Regelungen in Deutschland sind dabei weitere zentrale Faktoren. Trotzdem verursachen Retouren erhebliche Kosten für die Branche und damit indirekt auch für die Kunden – pro retourniertem Paket fallen im Durchschnitt rund 20 € an zusätzlichen Kosten an. Um dem entgegenzuwirken, setzen Händler auf gezielte Maßnahmen und zunehmend auch auf den Einsatz von KI. | Text: Vera Mergle