SIDO reißt Neu-Ulm ab – ein Open-Air für die Rap-Geschichtsbücher

18.000 Fans, ein stolzer Vater und die größte Solo-Show seiner Karriere

Der Wiley Sportpark in Neu-Ulm war am Abend des Sonntags, 6. Juli nicht nur ein Ort für Musik, sondern ein Schauplatz für ein seltenes, fast magisches Gefühl: Wenn ein Künstler, seine Fans und ein Sommerabend perfekt ineinandergreifen. Bereits Stunden vor dem offiziellen Einlass bildete sich eine beeindruckende Menschenschlange, die sich über das Gelände schlängelte wie ein ungeduldiger Strom – voller Vorfreude, laut, bunt, friedlich. Die Stimmung: elektrisiert. Gespräche über Setlists, Lieblingssongs, Selfies in Fan-Shirts, und vor allem ein Ziel: einen Platz so nah wie möglich an der Bühne zu ergattern, um SIDO so direkt wie nur irgend möglich zu erleben.

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Bild: Nina Königs
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Dass dieser Abend ein besonderer sein würde, war von Anfang an klar. 18.000 Menschen – restlos ausverkauft. Kein Ticket war mehr zu bekommen. Dafür gab’s ein kleines Stück Konzertgeschichte obendrauf: SIDO spielte in Neu-Ulm seine bisher größte Solo-Show überhaupt. Allgäu Concerts würdigte das noch während des Abends mit einem offiziellen „Sold Out Award“, den er stolz entgegennahm. Und man konnte es sehen – dieses Funkeln in seinen Augen, das mehr sagte als Worte: dass er, 25 Jahre nach seinen ersten Schritten im deutschen Rap-Underground, immer noch da steht, wo er hingehört – ganz oben.

Aber bevor er ins Rampenlicht trat, betrat Estikay die Bühne. Lässig, wie man ihn kennt, mit einem Grinsen und Beats, die sofort in die Beine gingen. Kein typischer Support-Act, der nebenherläuft, sondern ein Act, der den Platz füllt. Der mit „Rolle mit Hip-Hop“ und anderen Tracks eine sonnige Leichtigkeit brachte, die perfekt zur Festivalatmosphäre passte. Viele kannten ihn, einige lernten ihn an diesem Abend neu kennen – aber egal wie: er gewann. Mit Flow, mit Charme, mit einem Sound, der ideal in den Sommerabend passte.

Als es schließlich dunkel wurde und die Menge sich verdichtete, trat er auf die Bühne: SIDO. Kein großes Brimborium, keine künstlich hochgezogene Spannung. Einfach ein Künstler, der nach Hause kommt – so fühlte es sich an. Die ersten Takte hallten durch das Gelände und sofort war klar: das hier wird kein normales Konzert. Das wird ein Erlebnis. Ein Soundtrack zu vielen Leben. Seine Setlist? Ein Abriss durch 25 Jahre Musik, Szene, Wandel und Haltung. „Mein Block“ rappte die Menge lauter als er selbst, „Fuffies im Club“ explodierte wie ein Festivalhit, der nie alt wird. Und dann waren da die leisen Momente – „Herz“, „Augen auf“, „Hey Du“. Songs, die unter die Haut gehen. Die emotionalen Punchlines. Die biografischen Zeilen. Jeder Song war wie ein Kapitel einer Geschichte, die nicht nur SIDO erzählt hat – sondern auch das Publikum mitgeschrieben hat.

Über 40 Songs, keine Müdigkeit, keine Durchhänger – stattdessen Energie, Ausdauer, Präsenz. SIDO zeigte sich von seiner reflektierten Seite, aber auch als Entertainer, als Typ von nebenan, als Vater. Und das wurde besonders spürbar, als sein eigener Sohn plötzlich am Schlagzeug saß. Ein Moment, der vielen die Kehle zuschnürte. Kein Pathos, keine große Ansage. Einfach ein stolzer Vater, der einen seiner größten Bühnenmomente mit seinem Kind teilt. Und man sah es ihm an, wie viel ihm das bedeutete. Dieses Leuchten in seinem Gesicht war vielleicht der ehrlichste Moment des Abends.

Abseits der Musik stimmte auch das Drumherum. Die Veranstalter hatten ganze Arbeit geleistet – trotz Menschenmassen gab es keine überlangen Warteschlangen, weder an den Getränkeständen noch bei den zahlreichen Foodtrucks, die für jeden Geschmack etwas boten. Von Burger bis vegan, von Bier bis Bio-Eistee – wer Hunger oder Durst hatte, kam schnell und gut versorgt wieder zurück vor die Bühne. Toiletten und Sicherheitsdienste waren sichtbar und präsent, aber nie aufdringlich – alles lief ruhig und kontrolliert, was angesichts der Größenordnung nicht selbstverständlich ist.

Ein ganz besonderes Detail am Rande wurde schon vor Beginn des Konzerts zum Fan-Magnet: die seltenen, von SIDO persönlich signierten Mixtapes, die exklusiv verkauft wurden. Wer eines ergatterte, hielt nicht nur Musik, sondern ein Stück Erinnerung in Händen.

Das Wiley Open Air selbst zeigt sich einmal mehr als perfekte Kulisse für solche Konzerte: weiträumig, gut durchdacht, mit Festivalfeeling, aber ohne Stress. Es ist diese Mischung aus professioneller Organisation und entspannter Stimmung, die den Abend zu dem machte, was er war: ein Hochglanzmoment mit Bodenhaftung. Die Menschen lachten, tanzten, sprangen, hielten sich an den Händen, sangen – viele bis zur Heiserkeit.

Als gegen Ende des Konzerts der Himmel langsam in Schwarz getaucht wurde und SIDO in einer ruhigen Ansprache nochmal all jenen dankte, die ihn seit 25 Jahren begleiten da war der Moment da, in dem Musik mehr ist als nur Klang. Da war sie spürbar, diese Verbindung, die ein Künstler zu seinem Publikum haben kann, wenn beides echt ist.

Als die letzten Töne verklangen, verließen 18.000 Menschen den Sportpark nicht einfach nur – sie trugen etwas mit sich. Ein Gefühl, eine Erinnerung, ein Lied, das in den Ohren blieb. Vielleicht war es „Astronaut“, vielleicht „Liebe“ oder doch „Schlechtes Vorbild“. Ganz egal. Es war ein Abend, an dem jeder seinen Song fand.