Tollwood: Mehr als ein Festival – Ein Raum für Kultur, Genuss und Haltung
Wo Fairness, Vielfalt und Musik aufeinandertreffen
Komm wie du bist – geh verändert. Das ist kein offizieller Claim, aber vielleicht die treffendste Beschreibung für das, was Besucher des Tollwood Sommerfestivals erleben – einem Festival, das längst mehr ist als ein Kultur- oder Musikevent. Es ist ein Ort, der Haltung atmet, Genuss neu definiert und Kunst als Alltagsmoment zurück ins Leben bringt. Wer noch nicht da war, sollte dringend über eine kleine Reise nachdenken. München mag für manche vielleicht ein Ausflugsziel mit Latte-Art-Image sein – aber das Tollwood im Olympiapark Süd ist anders. Und dieses „anders“ lohnt sich. Sogar – oder gerade – wenn man aus dem Allgäu, Augsburg oder Ulm anreist.
Schon beim Ankommen spürt man: Das hier ist kein lautes Volksfest. Kein Konsumzirkus mit Dauerbeschallung. Das Tollwood ist ein bewusst kuratierter Raum. Ein Marktplatz der Ideen mit über 200 Ständen, an denen fair gehandelte Kunstwerke aus aller Welt verkauft werden – von filigranem Schmuck über handgefertigte Taschen bis hin zu Design-Keramik. Es duftet nach Gewürzen, nach Erde, nach frisch Gebackenem. Aus Lautsprechern tönt keine Werbung, sondern Musik – oft live, oft ungewöhnlich, immer handverlesen.
Zentraler Bestandteil: das kulinarische Angebot, das fast schon eine eigene Bühne verdient. An über 50 Essensständen bekommt man internationale Bio-Küche – vegan, vegetarisch, fleischhaltig, aber immer in bester Qualität. Was besonders auffällt: Hier wird Essen nicht als Pflichtprogramm abgearbeitet, sondern als kulturelle Geste zelebriert. Es gibt syrische Spezialitäten ebenso wie peruanisches Streetfood, klassisch bayerische Bio-Kost und moderne Food-Fusion-Konzepte. Wer will, bleibt den ganzen Tag – Frühstück mit Chai und Bananenbrot, Abendessen mit ayurvedischer Linsensuppe und danach ein Minz-Lassi. Oder ein handgezapftes Münchner Bio-Bier. Übrigens: alle Getränkebecher sind wiederverwendbar. Nachhaltigkeit ist hier nicht Motto, sondern Maßstab.
Doch was dieses Festival so besonders macht, ist seine Haltung. Tollwood meint es ernst – mit Themen wie Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und kultureller Vielfalt. Das merkt man an den unzähligen Mitmach-Aktionen, den Infoständen von NGOs, den Kunstinstallationen, die zum Nachdenken oder Lächeln bringen. Inmitten des Trubels findet sich zum Beispiel eine überdimensionale Skulptur aus Holz, in die Besucher persönliche Mutbotschaften ritzen dürfen. Direkt daneben sitzt eine Künstlerin und bestickt ausrangierte Stoffe mit poetischen Sätzen. Es gibt Performances auf offenen Bühnen, Akrobatik ohne Ticket, Erzähltheater im Vorbeigehen – und das alles für alle: fast 90 % des Programms ist kostenfrei.
Besonders charmant ist das Amphitheater, eine Art urbanes Wohnzimmer unter freiem Himmel. Hier treffen sich Alt und Jung zum Rudelsingen, zu kleinen Konzerten, zu politischen Diskussionen oder einfach zum Innehalten. Kinder bemalen den Boden mit Kreide, Erwachsene diskutieren über Bio-Landwirtschaft oder lauschen einem Jazztrio, das sich spontan auf einer Seitenbühne formiert. Kein Drill, kein Dauer-Gedudel. Sondern Raum. Und Zeit. Und Begegnung.
Dass sich das Tollwood nicht nur auf die schönen Dinge konzentriert, zeigt auch das diesjährige Motto: „Mut und Machen“. Es geht um die Kraft zivilgesellschaftlichen Engagements, um neue Allianzen und den Mut, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Workshops, Talks und interaktive Formate helfen dabei, aus Konsumenten Beteiligte zu machen. Kein pädagogischer Zeigefinger, sondern kreative Einladung.
Und dann ist da natürlich noch das musikalische Line-Up, das ganz bewusst nicht auf kurzlebige Streaming-Stars setzt, sondern auf Künstler mit Seele, Haltung und Klangtiefe. In der Musik-Arena, einem atmosphärischen Zelt mit Platz für rund 6.000 Gäste, spielten in diesem Sommer schon Iggy Pop, BAP oder Roxette. Ein Programm, das Generationen verbindet und musikalische Ecken öffnet.
Gestern Abend, am 10. Juli, sorgten Element of Crime für einen besonders leisen und zugleich intensiven Moment in dieser lauten Welt. Mit Songs aus ihrer aktuellen Tour „Unscharf mit Katze“ entführten sie das Publikum in eine melancholisch-poetische Klanglandschaft. Frontmann Sven Regener erzählte, sang, atmete Geschichten – und die Menschen lauschten andächtig. Ein Konzert, das mehr war als Unterhaltung. Es war ein Moment der Verbundenheit, wie ihn eben nur das Tollwood in dieser Form möglich macht.
Wer also denkt, ein Festival müsse laut, eng und hektisch sein, sollte das Tollwood erleben. Und wer aus dem Umland kommt, wird vielleicht merken: Diese anderthalb Stunden Fahrt lohnen sich nicht nur. Sie wirken nach. Vielleicht sogar lange. Denn das Tollwood will nicht einfach gefallen – es will etwas verändern. Und das macht es auf die schönste Weise: mit Genuss, mit Tiefe und mit einer großen Portion Lebensfreude.