Wahlparti mit Überraschungen

Stadtjugendring Kempten lud zur „Wahlparti" ins Künstlerhaus Kempten

Stehen Wahlen an, veranstaltet der Stadtjugendring Kempten in Kooperation mit dem Bayerischen Jugendring und dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales traditionell eine „Wahlparti" im Künstlerhaus in Kempten. Anlässlich der anstehenden Landtagswahl Anfang Oktober wurden nun die Direktkandidaten von fünf Parteien des Wahlkreis 709 Kempten-Oberallgäu zu einer Podiumsdiskussion mit Jugendlichen eingeladen.

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Marina Gebauer (l.) moderierte die Podiumsdiskussion der fünf Direktkandidaten (2.v.l. n. r.) Alexander Hold, Joachim Konrad, Markus Reichart, Simon Schwendinger und Hans...Bild: Jörg Spielberg
Im bekannten Szenelokal fanden sich für die CSU Joachim Konrad (47), 1. Bürgermeister von Altusried; für die Freien Wähler Alexander Hold (61), Landtagsvizepräsident und Kemptener Stadtrat; für die Grünen Markus Reichart, 1. Bürgermeister Heimenkirch; für die SPD Hans-Jürgen Ulm (46), Bankkaufmann und für die FDP Simon Schweniger (34), Unternehmer aus Sulzberg ein. Begrüßt wurde das Quintett durch Marina Neugebauer, die durch den 2 1/2 stündigen Abend führte. Im Künstlerhaus selbst waren die Stuhlreihen vollständig mit jungem Publikum besetzt, einige Gäste mussten stehen. Besonderer Service am Abend, die Podiumsdiskussion wurde live gestreamt,. Zu Beginn der Veranstaltung lud Moderatorin Neugebauer die Gäste ein, über die Lautstärke ihres Applauses, die Themen zu ermitteln, zu denen dann im Anschluss Fragen an die Direktkandidaten gestellt werden durften. Da es im Publikum eine (hörbare) Mehrheit von Anhängern der Grünen und der FFF-Bewegung gab, war die anschliessende Auswahl der Themen ein wenig vorhersehbar. Die Jugendlichen stimmten aus einer Auswahl von 10 Themen für Mobilität, Bildung, Klima und Intergration/Flucht. Das Thema Wohnen fiel durch, möglicherweise leben viele der anwesenden Jugendlichen noch bei ihren Eltern und werden erst zukünftig erleben, dass eine eigene, bezahlbare Wohnung zu finden, schier unmöglich geworden ist.



Do the unexpected

Gab es Überraschungen? Der Tenor der Veranstaltung war versöhnlich, vielleicht an manchen Stellen ein wenig zu gefühlig. Unterschiedliche Haltungen der Parteien bei den Themen Integration, Mobilität und Bildung, die es ja gibt, wurden an manchen Stellen nicht in ausreichender Schärfe durch die Direktkandidaten abgebildet. Joachim Konrad, Direktkandidat der CSU, machte seinem Amtskollegen Markus Reichart von den Grünen, entgegen der Haltung seines Ministerpräsidenten, sogar das Angebot offen für Verhandlungen über eine schwarz-grüne Koalition im Freistaat zu sein. Bei einer anderen Äußerung überraschte er den Direktkandidaten Alexander Hold von den Freien Wählern, als er eingestand, nun doch nicht für eine Standardbreite von RQ 28 Meter beim Ausbau der B12 zu sein, sondern nun ebenfalls die schmälere Variante ohne Seitenstreifen, „wie beim Ausbau der B-19", favorisiere. Fakt ist, dass über den Regelquerschnitt nicht diskutiert werden kann, wie es auch das Staatliche Bauamt in Kempten auf Nachfrage erklärt. Der Bund verlangt zwingend eine Regelquerbreite von 28 Metern. Die von allen Diskussionsteilnehmern als Alternative angepriesene Variante einer vollständigen Elektrifizierung der Eisenbahntrasse Kempten-Buchloe ist vorerst Wunschdenken. Die kurvenreiche Strecke von Kempten nach Kaufbeuren zu elektrifizieren, ist nahezu unbezahlbar oder müsste mit massiven Eingriffen in die Natur ermöglicht werden. Zumal investiert die Deutsche Bahn dort, wo viele Menschen ohne Auto leben und nicht dort, wo wenige Menschen mit vielen Autos leben. Auch die Elektrifizierung der Teilstrecke Kempten-Oberstdorf, wie von einem Kandidaten gefordert, ist solange nicht möglich, solange im oberen Illertal Milchvieh gehalten wird und Wanderer unterwegs sind, Stichwort unbeschränkte Bahnübergänge. Ein Ausrufezeichen in punkto politischer Unkorrektheit setzte am Abend der FDP-Direktkandidat Simon Schwendinger. Auf die Frage, ob es nicht aus klimapolitischen Erwägungen nötig sei, privat wie beruflich bedingte Inlandsflüge zu verbieten, antwortete der selbstständige Unternehmer aus Sulzberg: „Nein." Es müsse diesbezüglich in einer freien Marktwirtschaft Wahlfreiheit geben. Kopfschütteln bei einigen Gästen im Publikum, Unterstützung aber durch Markus Reichart von den Grünen, der sich gegen Verbote ausspricht, sich aber vorstellen könnte, die Kosten dieser Mobilitätsvariante zukünftig spürbar zu erhöhen. Hans-Jürgen Ulm, Direktkandidat der SPD, möchte allerdings Inlandsflüge mit Privatjets komplett verbieten, würde aber für Hobbyflieger, die vom Flugplatz Durach einen Rundflug über die Berge starten, eine Ausnahme machen.

Mobilität und Bildung

Bei der Mobiltät spricht sich auch der Direktkandidat der Grünen für den Erhalt der bestehenden Verkehrsinfrastruktur aus, neue Straßen aber brauche man nicht. „Wir werden noch einige Zeit mit dem motorisierten Individualverkehr im Allgäu leben müssen.", so der 1. Bürgermeister aus Heimenkirch Markus Reichart. Auch für die anderen Kandidaten steht fest, in einem ländlichen Raum ist eine lückenlose Abdeckung der Mobilität durch den ÖPNV nicht machbar, respektive bezahlbar. Markus Reichart, der sich kürzlich auf einer Wahlkampf-Radltour durch das Allgäu befand, sprach den schleppenden Ausbau von Radwegen im ländlichen Raum an. Der Stolperstein ist es, Baurecht auf den betreffenden Grundstücken neben Kreis- und Landstraßen zu erwirken. Joachim Konrad hob aber hervor, dass der Freistaat hier aktuell sehr gute Fördermöglichkeiten bietet. Im Bereich der Bildung wurde sowohl vom Publikum, als auch von den Direktkandidaten ein gewisser Stillstand diagnostiziert. Derzeit fehle es an Lehrkräften, obwohl, wie es Freie Wähler Kandidat Alexander Hold erwähnt, noch nie so viele zusätzliche Lehrkräfte in den vergangenen Jahren eingestellt worden sind. „Die ursächlichen Fehler in der Bildungspolitik sind vor 10 Jahren gemacht worden.", so Hold. Trotz der Misere habe es der Freistaat zudem verstanden, 35.000 Kinder aus der Ukraine geräuschlos in das Schulsystem untergebracht zu haben. Applaus. Um das allgemeine Bildungsniveau zu erhöhen - ein vor Ort Faktencheck erbrachte, dass aktuell der Freistaat Sachsen die Nummer Eins in Sachen schulische Bildung darstellt, schlug FDP-Direktkandidat Simon Schwendiger vor, wieder verstärkt auf die MINT-Fächer zu setzen. „Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg verdankt es seinen Ingenieuren.", so Schwendinger. Joachim Konrad von den Christsozialen mahnte, ob es nicht für den einen oder anderen jungen Menschen besser wäre, einen Realschulabschluss statt Abitur anzustreben, um anschliessend auf dem Wege einer dualen Ausbildung eine erfolgreiche, berufliche Karriere zu gestalten.

Immigration und Flucht

Auch zu diesem Thema gab es viele Fragen aus dem Publikum. Die angesprochenen Kandidaten der CSU, FDP und Freie Wähler versuchten die Dinge hier vorab zu sortieren. Unterschieden werden müsse, ob es sich bei der Zuwanderung um das Stellen eines Asylantrags aufgrund politischer Verfolgung handelt oder eine ausländische Fachkraft sich gezielt auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewerben möchte. Für den ersten Fall, so Konrad und Hold unisono, müsse unterschieden werden, ob deren Asylantrag positiv oder negativ beschieden wird. Wer einen positiven Bescheid erhält, ist hernach berechtigt eine Stelle auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu besetzen. Da aber viele abgelehnte Asylbewerber nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können, da die diese die Rückführung nur gegen Abschluss eines gut bezahlten Rücknahmevertrages leisten, gibt es in Deutschland immer mehr Immigranten, die ohne Beschäftigung ein trauriges Dasein in Notunterkünften fristen. Hier möchte Alexander Hold Verbesserungen für die Betroffenen erweichen, damit diese über eine feste Arbeit besser in den deutschen Alltag integriert werden. „Die deutsche Sprache lernt man am besten auf der Arbeit.", so Hold. So mochte auch der FDP-Direktkandidat Simon Schwendiger eine Meinung aus dem Publikum widerlegen, die von einem versperrten Zugang zum Arbeitsmarkt auch in Kempten sprach. „Gemeinsam mit der Arbeitsagentur haben wir es in unserem Unternehmen in Sulzberg geschafft, überproportional viele Bewerber aus Drittstaaten anzustellen und diese in den Arbeitsmarkt zu integrieren." Joachim Konrad, 1. Bürgermeister aus Altusried mahnte die Anwesenden zu verstehen, dass eine jährliche Zahl von über 300.000 Flüchtlingen und Einwanderern die Kommunen schlicht und ergreifend überfordere. „Den Kommunen mangelt es hier an allem - Erstaufnahmeeinrichtungen, Wohnungen, Kita-Plätze und Betreuungoptionen fehlen.", so Konrad. Der CSU-Direktkandidat nutzte die Gelegenheit, um sich ausdrücklich bei allen Flüchtlingshelfern der letzten Jahre zu bedanken. „Ohne diese Menschen wäre eine Aufnahme einer solch hohen Zahl von Flüchtlingen nicht möglich gewesen."