Was steckt hinter dem Hype um die Schnäppchen-App Temu?
Shoppen wie ein Milliardär
Zugegeben: Es klingt ganz schön verlockend. Einfach zu einem Bruchteil von deutschen Preisen einkaufen – und zwar in sämtlichen Kategorien. Ob Kleidung, Haushalt oder Technik… die kostenlose App Temu verspricht für jeden User etwas Passendes, zu einem unschlagbaren Preis. Aber wer steckt eigentlich hinter Temu und welche Erfahrungen haben Nutzer bisher gemacht? Wir nehmen den Anbieter näher unter die Lupe und schauen uns auch die Schattenseiten der chinesischen Plattform an.
Bild: stock.adobe
Wer in sozialen Netzwerken wie TikTok und Instagram unterwegs ist, kam im letzten Jahr meist nicht an Werbung für die App Temu vorbei. Der chinesische Online-Schnäppchen-Shop ist erst seit Frühjahr 2023 auf dem deutschen Markt aktiv, hat aber bereits für reichlich Gesprächsstoff gesorgt und jede Menge Kunden angelockt.
„Shoppen wie ein Milliardär“ lautet das Motto der App, hinter der der E-Commerce-Gigant Pinduoduo steht. Angst vor einem Fake-Shop braucht man dahingehend also erstmal nicht zu haben. Schaut man sich aber an, wie Temu grundlegend funktioniert, muss man schnell ein „Aber“ dahinter stellen.
Denn Temu fungiert wie viele bereits bekannte Plattformen: Alibaba, Wish, Aliexpress – um nur einige zu nennen. Es handelt sich um einen Online-Shop, über den diverse Verkäufer ihre Waren zum Kauf anbieten dürfen. Temu stellt also nichts selbst her, sondern vermittelt einfach nur als digitaler Marktplatz zwischen Käufern und Verkäufern. Letztere stammen in der Regel aus China. Kurz gesagt bedeutet das: Auch wenn Temu ein echtes, verlässliches Unternehmen ist, gilt das nicht automatisch für alle Shops, die über Temu verkaufen.
Große Auswahl und günstige Preise locken Kunden an
Verkauft wird nahezu alles in der kostenlosen App, die schnell die Download-Charts der deutschen und amerikanischen App Stores und Google Play Stores emporgeklettert ist. Von Smartwatches, Handys und Kopfhörern über Kleidung bis hin zu Küchen-Utensilien und Beauty-Produkten. Und das zu extrem niedrigen Preisen, mit denen deutsche Hersteller schlichtweg nicht mithalten können. Ähnlich wie beim Fast Fashion Konkurrenten Shein gibt es auch bei Temu zusätzlich zu den ohnehin schon günstigen Preisen noch jede Menge Rabatt-Aktionen: Von Gratis-Artikeln über 90 Prozent Rabatt-Aktionen bis hin zu speziellen Coupons, wenn man das Marketing-Einverständnis für Mail oder Handynummer gibt.
Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele User nicht widerstehen können und sich die „einmaligen“ Angebote sichern wollen, welche aber immer wieder aufs Neue aktiviert werden. Ein weiterer Pluspunkt, der zum Bestellen bei Temu verleitet: Die Bandbreite an Produkten ist oft wesentlich größer als in gängigen deutschen Online-Shops.
Wieso sind die Produkte so günstig?
Nicht ganz unberechtigt bei all diesen Dumping-Preisen und der immensen Angebotsvielfalt ist die Frage, wie Temu es eigentlich schafft, so viele Produkte so günstig anzubieten. Das liegt zum einen daran, dass es keine Zwischenhändler gibt. Wie bereits erwähnt, vermittelt Temu als Marktplatz direkt zwischen Verkäufer und Käufer. Dementsprechend benötigt das Unternehmen kein eigenes Warenlager und es gibt auch keine langen Lieferketten zwischen Produzenten und Endverbrauchern. Bereits das spart sehr viel Geld ein.
Hinzu kommt, dass in der Regel alle kleinen Pakete, die via Luftpost versandt werden und deren Wert 150 Euro nicht übersteigt, keine Zollgebühren bezahlt werden müssen. Hier profitiert China aktuell noch vom Weltpostvertrag, der ihnen extrem günstigen weltweiten Versand ermöglicht. Zwar ist China mittlerweile nicht mehr als Entwicklungsland dort aufgeführt, dennoch scheinen die Porto-Kosten noch nicht so stark angestiegen zu sein, als dass Shops wie Temu diese an Endkäufer weiterberechnen müssten.
Mit Spielen und Rabatten zum Erfolg
Aber günstige Produkte sind nicht allein für den Erfolg von Temu verantwortlich. Vielmehr ist es die Kombination aus verschiedenen psychologischen Kauftricks. Kleine Minispiele wie Rabatt-Trommeln und Lose oder aber Rabatt-Coupons (für sich, aber auch zum Verschenken) animieren immer wieder zum Bestellen. Außerdem tragen Sie auch dazu bei, Freunde und Familie für den Hype zu begeistern, da man ihnen die Coupons weiterleiten kann. Im Prinzip verfolgt Temu also das Schneeball-Prinzip: Einen Kunden so sehr zu begeistern, dass er andere ebenfalls dafür begeistert, die wiederum neue Kunden begeistern. Ein geniales wie effektives System.
Ganz schön brenzlig: Risiken durch Nutzung von Temu
*Anmerkung der Redaktion: Temu hat auf unseren Artikel mit einer Stellungnahme zu einzelnen Punkten reagiert. Diese haben wir nun nachträglich in den Artikel eingefügt und deutlich gekennzeichnet.#1: Die Sicherheit
Gerade bei technischen Geräten, die aus China stammen, ist erhöhte Vorsicht geboten. Denn oft fehlen wichtige Prüfsiegel wie etwa das CE-Zeichen oder sie sind sogar gefälscht. Davor warnt auch die Verbraucherzentrale eindringlich. Die Produkte können deshalb eine Gefahr für die menschliche Sicherheit, die Gesundheit oder den Umweltschutz darstellen, weil beispielsweise giftige Stoffe oder unzureichend verarbeitetes Material verwendet werden.
Reaktion von Temu: "Bei Temu bieten Drittverkäufer ihre Waren. Temu stellt die Produkte nicht selbst her. Sobald Produkte unter Verdacht stehen, gefälscht oder sogar gefährlich zu sein, leitet Temu eine sofortige Überprüfung der Produkte ein und nimmt sie im Zweifelsfall von der Plattform. Temu arbeitet aktiv mit seinen Verkäufern zusammen, um zu bestätigen, dass die Waren alle erforderlichen Kriterien erfüllen. Temu hat sich verpflichtet, die Gesetze und Vorschriften aller Länder und Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, einzuhalten. Als Marktplatzbetreiber erwartet Temu daher auch von den Händlern, dass sie sich strikt an alle relevanten Gesetze und Vorschriften halten."
#2: Die Schadenshaftung
Nehmen wir mal an, Sie bestellen ein elektronisches Gerät bei Temu. Ganz egal, ob es sich dabei um einen Staubsauger, einen Fön oder einen Rasierer handelt. Weil Sie so begeistert vom Produkt sind, leihen Sie es einem Freund aus. Beim Laden bei ihm zuhause fängt das Gerät Feuer. Ein komplettes Zimmer wird dabei durch Feuer und Rauch beschädigt.
Jetzt wird es ernst: Durch Ihren Kauf bei Temu wurden Sie zum Importeur der Ware, da Sie das Produkt direkt vom Hersteller aus China erworben haben. Und für Schäden durch „Ware aus dem Ausland jenseits der EU, steht der Importeur dafür gerade.“, schreibt die Stiftung Warentest dazu. Es ist also möglich, dass Sie im Zweifelsfall selbst für entstandene Schäden durch das Gerät haften müssen.
#3: Die Nachhaltigkeit
Ständige Produktion neuer Waren, weltweite Lieferungen und Rücksendungen belasten die Umwelt sehr stark – das dürfte keine große Überraschung sein. Hinzu kommt, dass die einige Produkte (nicht alle) aufgrund ihrer schlechten Qualität nicht gerade langlebig sind und somit zeitnah wieder ersetzt werden müssen. Nachhaltigkeit sieht definitiv anders aus.
Reaktion von Temu: "In Bezug auf die Nachhaltigkeit steht Temu als junges Unternehmen noch ganz am Anfang: Dennoch hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Trees for the Future bereits über vier Millionen Bäume in ganz Afrika gepflanzt. Außerdem kann Temu durch sein Geschäftsmodell die Beteiligung zahlreicher Zwischenhändler reduzieren. Vom Beginn der Produktion bis zur Auslieferung an den Verbraucher:innen minimiert der Ansatz die Anzahl der Transporte eines Artikels und vermeidet unnötige Transporte. Dies trägt erheblich zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen bei."
#4: Die Arbeitsbedingungen
Günstige Produkte bedeuten leider oft auch nicht gerade gute Arbeitsbedingungen im Herstellerland. Und so ist scheint es auch bei Temu und Konkurrent Shein zu sein: In einem Report eines Kongress-Ausschusses wird beiden Unternehmen vorgeworden, dass Sie nichts unternehmen, um Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu verhindern.
Reaktion von Temu: "Die vollständige Einhaltung von Regeln und Vorschriften ist seit der Gründung von Temu ungebrochen und bildet die Grundlage für alle Geschäftsaktivitäten. Bevor Händler Produkte bei Temu verkaufen dürfen, müssen sie eine Vereinbarung unterzeichnen. Mit diesem Dokument verpflichten sie sich, ihre Geschäfte gesetzeskonform zu führen und sich strikt an die gesetzlichen Normen und Vorschriften ihrer jeweiligen Märkte zu halten. Der Verhaltenskodex für Dritte schreibt vor, dass jeder, der mit Temu Geschäfte macht, alle gesetzlichen Standards und Compliance-Anforderungen strikt einhalten muss. Der Einsatz von Zwangs-, Straf- oder Kinderarbeit ist streng verboten. Die Beschäftigung aller Händler und Lieferanten muss streng freiwillig sein. Sie müssen die Vereinigungsfreiheit und das Recht der Arbeitnehmer auf Kollektivverhandlungen respektieren. Temus Händler, Lieferanten und andere Dritte müssen ihre Mitarbeiter und Auftragnehmer pünktlich bezahlen und alle geltenden lokalen Lohn- und Arbeitszeitgesetze einhalten."
#5: Die persönlichen Daten
Temu gibt offen zu, an den personenbezogenen Daten der Nutzer Interesse zu haben und diese entsprechend für kommerzielle Zwecke zu nutzen. Im Idealfall gewährt man der App so wenig Datenzugriff wie nur möglich.
Reaktion von Temu: "Temu legt großen Wert auf den Schutz der Privatsphäre und ist transparent in Bezug auf seine Datenpraktiken. Das Unternehmen sammelt Informationen mit einem klaren und eindeutigen Ziel: die Bereitstellung und kontinuierliche Verbesserung der Produkte und Dienstleistungen für die Nutzer:innen. Die von Temu gesammelten Daten entsprechen der gängigen Branchenpraxis. Jede einzelne Datenkategorie, die Temu sammelt, ist notwendig, um das Einkaufserlebnis der Kunden und Kundinnen zu verbessern. Mehr Informationen zum Datenschutz finden Sie im Anhang."
#6: Reklamation
Gerade bei kleineren Produkten mit niedrigem Warenwert ist die Reklamation bei Temu in der Regel einfach und unkompliziert. Das bestätigen auch zahlreiche Bewertungen auf Portalen wie Trustpilot. Oft darf man das Produkt behalten und erhält sein Geld zurück. Allerdings gibt es auch fast genauso viele negative Rezensionen, die über mangelnde Reaktion durch Temu bezüglich Retouren klagen, in der Regel bei hochpreisigen Produkten.
#7: Rechtliche Schwierigkeiten
Schwierig wird es auch, wenn Dinge bestellt werden, die in Deutschland verboten sind. Beispielsweise Produkte mit verbotenen Symbolen oder auch schlichtweg Plagiate (beispielweise unrechtmäßige Kopien und Fälschungen von Objekten anderer Künstler). Temu arbeitet zwar stetig daran, dass solche Fälschungen und verbotenen Produkte entfernt werden, aber bei der Vielzahl an Shops kann das natürlich nicht dauerhaft garantiert werden.
Fast Fashion Konkurrenz
Eine der wohl größten Konkurrenten von Temu ist die etablierte Fast Fashion Shopping-App Shein. Wie weit die beiden Online-Giganten für ihre Käufer gehen, zeigt die kürzlich eingereichte Klage von Temu gegen Shein wegen „gravierend wettbewerbswidrigem Verhalten“. In den letzten Monaten gab es immer wieder Streitigkeiten, für die sich jedoch bisher immer außergerichtlich Einigungen erzielen lassen konnten.
Nun sieht die Sache anders aus: Temu erhebt schwere Vorwürfe gegen Shein in den USA. Der Shop soll viele tausende Abmahnungen aufgrund von Urheberrechtsverletzungen gegen Temu ausgesprochen haben, nachdem Händler zu exklusiven Verträgen mit Shein verpflichtet wurden, bei denen die Rechte am geistigen Eigentum von den Händlern zu Shein übergegangen sind. Außerdem sollen Temu-Händler bedroht und teilweise verhaftet worden sein. Shein hat zu der Anklage bisher keine Stellung genommen.
Tipps und Tricks
Wer nun aber mit dem Gedanken spielt, Temu dennoch einmal auszuprobieren, dem möchten wir ein paar wichtige Hinweise mit an die Hand geben, damit das „Shoppen wie ein Milliardär“ nicht zum Reinfall wird.
1. Prüfen Sie, ob der Shop bereits viele Bestellungen hatte oder noch recht neu und leer wirkt. Neue Shops ohne viele Kunden sollten sie lieber meiden.
2. Checken Sie die Bewertungen der Produkte, die Sie kaufen möchten. Sind die Bewertungen vertrauenswürdig? Was sagen die Käufer? Haben bereits mehrere Personen schlechte Erfahrungen gemacht? Wenn ja, bestellen Sie lieber woanders.
3. Informieren Sie sich vor der Bestellung, ob eventuelle Steuern oder Zollgebühren auf Sie zukommen könnten.
4. Suchen Sie nach Größenangaben oder Maßen in den Bildern oder Beschreibungstexten. Produktbilder allein täuschen oft über die tatsächlichen Maße hinweg.
5. Zahlen Sie (wenn möglich) erst dann, wenn Sie die Ware auch erhalten haben (z. B. über die „in 30 Tagen zahlen“-Funktion von PayPal).
6. Planen Sie genug Zeit für den Versand ein: Die Shops auf Temu verschicken in der Regel sehr schnell. Dennoch dauert es mindestens 10 Tage, bis Sie mit Ihrem Einkauf rechnen können.
In Kürze
Bei Temu lassen sich definitiv viele Schnäppchen schlagen. Die Frage ist: Zu welchem Preis? Geringe Qualität, Gefahr für Mensch und Umwelt, schlechte Arbeitsbedingungen, defekte Lieferungen? Es gibt jede Menge zufriedener Kunden, doch gibt es eben auch viele negative Stimmen. Es gilt: Wer bestellen möchte, sollte kritisch hinterfragen, ob er oder sie das Produkt wirklich braucht, die Beschreibungen genau lesen und einen Blick auf die Rezensionen werfen. Dann steht vielleicht auch dem ein oder anderen (am besten nicht elektrischen) Schnäppchen nichts im Wege.
FAZIT:
Temu hat eine Vielzahl an Produkten im Angebot – zu unschlagbaren Preisen. Doch mit diesen gehen möglicherweise auch schlechte Arbeitsbedingungen, minderwertige Produkt-Qualität und Gefahren für Mensch und Umwelt einher. Wer bei Temu bestellen möchte, sollte sich vorab über die Verkäufer und die angebotenen Produkte informieren, beispielsweise mit Hilfe von Kundenbewertungen und am besten erst zahlen, wenn die Ware eingetroffen ist und kontrolliert wurde. |Text: Julia Höß
