Wirtschaftsmacher Interview mit Martin Osterberger-Seitz
"Kultur ist kein abstraktes Konzept, sondern gelebter Alltag"
Die Seitz-Gruppe mit Hauptsitz in Kempten zählt zu den größten Mobilitätspartnern im süddeutschen Raum und vertreibt jährlich rund 18.000 Fahrzeuge der Marken des Volkswagen-Konzerns. Martin Osterberger-Seitz steht bereits seit einigen Jahren als Geschäftsführer an der Spitze des Familienunternehmens mit rund 1.300 Mitarbeitenden. Im Interview spricht er über die Herausforderungen beim Einstieg in die Führung, über Unternehmenskultur in Zeiten von Homeoffice und über die Chancen der Elektromobilität. Für ihn steht fest: Wer heute erfolgreich sein will, muss Wandel nicht nur zulassen – sondern vorleben.
Martin Osterberger-Seitz: „Der Einstieg in die Geschäftsführung eines Familienunternehmens ist immer ein sehr sensibles Thema – insbesondere, wenn man familiär verbunden ist, wie in meinem Fall. Die Belegschaft kennt meist den bisherigen Geschäftsführer über Jahrzehnte, gewachsene Strukturen und persönliche Bindungen prägen den Alltag. Als Schwiegersohn wird man da naturgemäß erstmal sehr kritisch beäugt. Das ist menschlich – und auch völlig nachvollziehbar. Für mich war es deshalb besonders wichtig, Vertrauen aufzubauen. Und das geht nur über Leistung, Präsenz und ein echtes Verständnis für das Unternehmen und seine Kultur. Ich musste mich ganz bewusst in diese Rolle hinein entwickeln. Die ersten zwei bis drei Jahre waren geprägt von intensiver Kommunikation, Zuhören, viel persönlichem Austausch – und natürlich auch von Entscheidungen, die zeigen, wofür man steht.“
Sie sprechen oft von Veränderungsbereitschaft. Warum ist dieses Thema für Sie so zentral?
"Wir leben in einer Zeit, in der sich Märkte, Technologien und Kundenbedürfnisse rasant verändern. Was heute noch aktuell ist, kann morgen schon überholt sein. Deshalb ist es aus meiner Sicht die wichtigste Eigenschaft eines modernen Unternehmens – und auch seiner Führung –, offen für Veränderung zu sein und diese aktiv mitzugestalten. Ich finde es spannend, dass diese Haltung oft mit Unsicherheit verwechselt wird. Dabei ist Veränderung nichts Bedrohliches – im Gegenteil: Sie ist eine riesige Chance. Wer sich ständig weiterentwickelt, bleibt wettbewerbsfähig und attraktiv – sowohl für Kundinnen und Kunden als auch für Mitarbeitende. Für mich bedeutet Veränderungsbereitschaft auch: mutig zu sein, Fehler zuzulassen und daraus zu lernen.“
Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich in Ihrer neuen Rolle als „angekommen“ gefühlt haben?
„Das ist natürlich ein Prozess. Ich würde sagen, nach etwa eineinhalb bis zwei Jahren habe ich gespürt, dass ich nicht mehr nur als „der Neue“ gesehen werde, sondern als Teil der Unternehmens-DNA. Aber man darf nicht dem Irrglauben verfallen, dass es irgendwann eine Art Endpunkt gibt. Als CEO musst du dich ständig reflektieren. Es geht darum, die Richtung vorzugeben, das Unternehmen zukunftsfähig auszurichten und gleichzeitig eine Kultur zu schaffen, in der Menschen gerne arbeiten. Das gelingt nur mit Empathie, klaren Werten und einem offenen Ohr für die Realität an der Basis.“
Wie definieren Sie Unternehmenskultur in der Praxis – und wie halten Sie diese über alle Standorte hinweg lebendig?
„Kultur ist kein abstraktes Konzept, sondern gelebter Alltag. Und der entsteht eher nur schwer im Homeoffice sondern vielmehr im persönlichen Miteinander, im Dialog, in der Art, wie man miteinander umgeht. Ich bin überzeugt: Unternehmenskultur lässt sich nicht per E-Mail versenden. Wir haben rund 1.300 Mitarbeitende an verschiedenen Standorten – da ist es natürlich herausfordernd, eine einheitliche „Seitz-DNA“ zu leben. Deshalb lege ich großen Wert auf den engen Austausch mit unserem Führungsteam. Persönliche Workshops, regelmäßige Treffen und ehrliche Gespräche sind entscheidend. Auch bei neuen Standorten setzen wir auf eine klare Strategie: Innerhalb der ersten zwei bis drei Jahre muss die Seitz-Kultur spürbar ankommen. Das gelingt nicht immer gleich schnell – aber wir merken, dass sich unser Werteverständnis mit der Zeit ganz automatisch überträgt.“
Wo sehen Sie die Seitz-Gruppe in den kommenden Jahren – was sind Ihre konkreten strategischen Ziele?
„Unser Hauptziel ist, die Seitz-Gruppe nachhaltig zukunftsfähig aufzustellen. Wir wollen in unserer Region der Mobilitätsanbieter Nummer 1 bleiben und weiter wachsen – sowohl in der Fläche als auch in der Tiefe. Das heißt konkret: Wir wollen unsere Prozesse weiter professionalisieren, Digitalisierung und KI intelligent nutzen und unser Vertriebspotenzial voll ausschöpfen. Heute vermarkten wir rund 18.000 Fahrzeuge pro Jahr. Mittelfristig ist unser Ziel, die 30.000er-Marke zu erreichen. Das ist ambitioniert – aber notwendig, um im deutschen Automarkt langfristig relevant zu bleiben. Wachstum heißt für uns aber nicht nur mehr Fahrzeuge verkaufen, sondern vor allem besser zu werden: effizienter, kundenorientierter, innovativer.“
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz dabei?
„Eine sehr zentrale. KI kann Prozesse automatisieren, Daten sinnvoll auswerten und Mitarbeiter entlasten. Aber – und das ist mir wichtig – KI ersetzt keine Menschen. Sie soll unterstützen, nicht kontrollieren. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Chancen der KI aktiv zu prüfen und dort einzusetzen, wo sie echten Mehrwert bietet. Viele reden über KI, aber nur wenige setzen sie bisher sinnvoll ein. Genau hier wollen wir Vorreiter sein.“
Wie verändert sich das Kundenverhalten im stationären Autohandel?
„Es hat sich massiv verändert. Vor einigen Jahren kam ein Kunde fünf- bis siebenmal ins Autohaus, bevor er ein Fahrzeug kaufte. Heute kann dieser Prozess manchmal komplett digital ablaufen. Manche Kunden betreten das Autohaus erst zur Auslieferung – oder gar nicht, wenn sie z. B. zur Werksabholung fahren. Gleichzeitig sehen wir aber auch eine Gegenbewegung: Der persönliche Kontakt, das Beratungsgespräch, die Probefahrt – all das gewinnt wieder an Bedeutung. Es gibt zwei Kundengruppen: Die digitalen Käufer, die wissen, was sie wollen – und die, die persönliche Beratung suchen. Wir müssen beide bedienen können – mit digitalen Lösungen und menschlicher Kompetenz.“
Welches Potenzial sehen Sie in der Elektromobilität – und wie begegnen Sie den aktuellen Diskussionen?
„Ich bin überzeugt, dass Elektromobilität die Zukunft ist – zumindest im Pkw-Bereich. Der Wirkungsgrad ist unschlagbar, die Technik hat enorme Fortschritte gemacht und die Kundenzufriedenheit ist hoch. Wir merken das im Alltag: Wer einmal ein gutes E-Auto gefahren ist, will oft nicht mehr zurück. Aber: Die Einführung darf nicht über Verbote laufen. Menschen müssen den Mehrwert selbst spüren. Wenn Ladeinfrastruktur, Preis-Leistung und Alltagstauglichkeit stimmen, kommt der Wandel von allein. Und genau da müssen Politik und Wirtschaft gemeinsam ansetzen.“
Sie haben viele Marken im Portfolio – welches Auto fahren Sie persönlich am liebsten?
„Obwohl der SUV-Anteil ja in Deutschland sehr hoch ist, bin ich selbst eher der Limousinen-Typ. Gerade wegen meiner Familie fahre ich meist Viertürer – einfach, weil sie praktisch sind. Besonders schätze ich sportliche Modelle, beispielsweise aus der Audi RS-Reihe. Ein Fahrzeug, das ich persönlich als besonders gelungen empfinde, ist der Porsche Panamera. Für mich vereint er Komfort, Dynamik und Design auf eine sehr elegante Weise. Und ja, ich war auch schon vollelektrisch unterwegs – unter anderem mit dem Taycan. Der Fahrspaß ist enorm, gerade im Allgäu. Aber auch ich denke mir bei längeren Fahrten manchmal noch: Wo lade ich, funktioniert die Säule, passt das zeitlich? Es ist ein Thema, das gerade bei Termindruck noch nicht zu 100 Prozent gelöst ist – aber wir sind auf einem guten Weg.“
Wie gelingt Ihnen persönlich der Ausgleich zum Unternehmertum?
„Ich bin ein sehr sportlicher Mensch. Laufen ist mein Anker – ich versuche jedes Jahr einen Marathon zu absolvieren, einfach um den Kopf frei zu bekommen und mich zu fokussieren. Sport hilft mir, den beruflichen Druck auszugleichen. Und natürlich ist mir meine Familie enorm wichtig. Ich verbringe viel Zeit mit meinen Kindern – das erdet mich und erinnert mich daran, worauf es im Leben wirklich ankommt.“
Was möchten Sie als Unternehmer an die nächste Generation weitergeben?
„Werte wie Dankbarkeit, Verantwortungsbewusstsein und Respekt. Unternehmertum ist kein Selbstzweck. Es bedeutet Verantwortung – für Mitarbeitende, Kunden, Gesellschaft. Ich wünsche mir, dass meine Kinder nicht nur die Vorteile erkennen, sondern auch die Verantwortung spüren, die damit einhergeht. Mir wäre es wichtig, dass sie – in welcher Form auch immer – ein aktiver Teil dieser unternehmerischen Haltung werden. Denn es gibt kaum etwas Schöneres, als etwas aufzubauen, das Bestand hat und Menschen Arbeit und Perspektive gibt.“