Wirtschaftsmacher Interview bei Rapunzel Naturkost

Im Gespräch im Seraphine Wilhelm

Heute sind wir im Gespräch mit Seraphine Wilhelm, eine der geschäftsführenden Gesellschafterinnen des Familienbetriebs Rapunzel Naturkost GmbH in Legau. Im Zuge des Generationenwechsels übernahm sie im Frühjahr, zur Leitung des Marketings, auch die Position als geschäftsführende Gesellschafterin. Sie hat fast die ganze 50-jährige Geschichte des Unternehmens miterlebt und gesehen, wie sich alles vom Biobauernhof in Oberbayern, über den ersten Naturkostladen in Augsburg bis zum Großunternehmen im Allgäu entwickelte. Rapunzel Naturkost ist heute mit rund 500 Mitarbeitenden, über 500 Produkten und mit mehr als 300 Mio Umsatz, einer der großen Player auf dem europäischen Bio-Markt. Tom Alt unterhielt sich mit der so locker gelöst wirkenden Frau, die so zielstrebig ihre Visionen umsetzt und bereits zu großen Teilen verwirklichte.

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Seraphine Wilhelm, geschäftsführende Gesellschafterin bei Rapunzel NaturkostBild: Rapunzel Naturkost GmbH
Tom Alt: Wie lange waren Sie vor Ihrem Eintritt in die Geschäftsführung bereits für das Unternehmen tätig?

Seraphine Wilhelm: Als Jugendliche habe ich meine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskauffrau bei Rapunzel im Vertrieb absolviert, vor etwa 30 Jahren. Mit 18 zog ich in die USA und arbeitete dort im Vertrieb für Rapunzel Pure Organics, unserer damaligen Tochtergesellschaft. Danach wollte ich die Arbeitswelt unabhängig von meiner Herkunft kennenlernen, führte einen Nachtclub in NYC und zog 2009 nach Berlin. Nach vielen Jahren in der Gastronomie in Berlin kehrte ich 2017 ins Allgäu zurück, um den Generationswechsel bei Rapunzel zu übernehmen.

War Ihr Weg vorprogrammiert und wollten Sie das immer so?

Diese Frage habe ich mir immer wieder gestellt. Auf einem Bauernhof aufzuwachsen, wo täglich LKW Ware liefern und abholen, und zusätzlich in einem kleinen Biomarkt groß zu werden, prägt einen von Kindesbeinen an. Ich musste in die Welt hinaus, um zu meinem Ursprung zurückzukehren. Es war nicht immer klar vorgezeichnet, aber die Verbindung zum Familienunternehmen war stets präsent.
Zielte Ihr Werdegang, Ihre Ausbildung/Studium auf Ihre heutige Tätigkeit ab?

Ja, mein Bachelor in Business in Liberal Arts in Boston und später ein Wochenend-MBA in Berlin haben mich gut auf meine heutige Rolle vorbereitet. Diese Ausbildungen haben mir das nötige Wissen und die Fähigkeiten vermittelt, um das Unternehmen erfolgreich zu führen.
Wann war Ihnen klar, dass da etwas Großes, Bedeutungsvolles entsteht und dauerhaftes Wachstumspotential hat?

Das Bewusstsein, dass Rapunzel etwas Großes und Bedeutungsvolles ist, entwickelte sich schrittweise. Die wachsende Nachfrage nach Bio- Produkten und unser Engagement für Nachhaltigkeit zeigten mir, dass wir eine wichtige Rolle in der Lebensmittelbranche spielen und weiterhin enormes Wachstumspotenzial haben. Da Rapunzel für eine nachhaltige Welt und fairen Handel steht, waren die Vision und die Ziele der Firma immer schon besonders und erstrebenswert für mich. Ich habe immer schon bewundert, mit welcher Leidenschaft meine Eltern und sehr viele Mitarbeiter Rapunzel zu dem gemacht haben, was Rapunzel heute ist.
Sie waren verantwortlich für das „Erschaffen“ der Rapunzel Welt. Woher kam die Idee dazu? Wie lange dauerte es von der Planung bis zur Fertigstellung? Ist die Rapunzelwelt denn fertig?
Die Idee zur Rapunzel Welt entstand aus dem Wunsch heraus, unseren Kunden und Besuchern die Werte und die Geschichte unseres Unternehmens näherzubringen. Von der Planung bis zur Fertigstellung des Baus sind 3 Jahre vergangen. Mit dem Abschluss des Baus habe ich die Leitung meiner damaligen Assistentin Silvana Palazzo übergeben, die das Besucherzentrum jetzt federführend betreibt und belebt. Der Bau ist somit abgeschlossen, jedoch wirke ich noch durch die Leitung des Marketings und durch die Führung des Bio-Marktes weiterhin mit. Zusätzlich haben wir diesen Monat einen ganz neuen Kaffeeladen in der Rapunzel Welt eröffnet. Auch plane ich ganz aktuell ein neues Öl-Museum, das Teil des Besucherzentrums wird. Die Eröffnung ist für September geplant. Somit kommen doch immer neue Ideen hinzu, die unsere Kernsortimente unseren Besuchern näherbringen sollen.

Hat sich das Errichten der Rapunzel Welt auf die Breite des Sortiments von Rapunzel ausgewirkt?

Ja, die Rapunzel Welt hat uns inspiriert, unsere Produktion zu erweitern und innovative Produkte zu entwickeln, die unsere Philosophie und unser Engagement für Qualität und Nachhaltigkeit widerspiegeln. Die Kaffeeschaurösterei hatten wir mit dem Besucherzentrum ganz neu geplant. Seit Jahrzehnten hat Rapunzel direkt von Hand in Hand Partnern aus dem Ursprung importiert, aber noch nicht in-house geröstet. Somit haben wir die Produktionskette des Kaffees jetzt komplett ins Haus geholt, um unseren Qualitätsanspruch noch besser hervorzuheben.

Sie machen gerade große Schritte über den reinen Biohändler hinaus hinein in die Supermärkte. Bedeutet das notwendige Kapazitätserweiterungen?

Definitiv. Der Schritt in die Supermärkte war für uns ein großer Schritt. Rapunzel hat immer schon für die Zukunft gebaut, und somit mussten wir erst sicherstellen, dass wir die Produktionskapazitäten vor Ort geschaffen haben, um der Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln nachzukommen. Wir haben bewusst ausgewählte Supermärkte mit einem regionalen und Nachhaltigkeitsfokus gewählt, um sicherzustellen, dass unsere Produkte in einem Umfeld angeboten werden, das unsere Werte teilt. Das Ziel ist es, Bio-Produkte erhältlich zu machen und somit den biologischen Anbau weltweit zu fördern, sodass weniger Pestizide auf unserem Planeten eingesetzt werden.

Wo sehen Sie den Stellenwert von Bio-Lebensmitteln in zehn Jahren, in Deutschland / Europa?

Ich sehe Bio-Lebensmittel in zehn Jahren als festen Bestandteil des Mainstreams in Deutschland und Europa. Der wachsende Bewusstseinswandel hin zu nachhaltiger Ernährung und umweltfreundlichen Produkten wird den Bio-Sektor weiter stärken. Biologischer Anbau ist der einzige Weg, um unserem Planeten gerecht zu werden. Wir leben auf so einer schönen Erde; es wäre unverantwortlich, diese einfach nur auszubeuten. Deswegen sind Fruchtfolge und Prinzipien zum Erhalt eines gesunden Bodens unumgänglich. Bauern haben ein Recht darauf, fair entlohnt zu werden und sollten auch nicht Pestiziden ausgesetzt sein, die ungesund für Mensch, Tier und Natur sind. Bio-Lebensmittel werden nicht nur eine Option sein, sondern die bevorzugte Wahl für viele Verbraucher.