Die erstaunliche Entwicklung des Internet-Riesen Amazon

Amazon – Fluch oder Segen?

Weihnachten ist vorbei und damit auch die Zeit der stressigen Geschenksuche und der überfüllten Einkaufscenter – doch in der heutigen Zeit können Präsente aller Art auch noch wenige Tage vor dem Fest bequem im Internet bestellt werden. Erste Anlaufstelle dürfte bei vielen erneut Amazon gewesen sein. Na, fühlen Sie sich auch ertappt? Schließlich bietet die Plattform nicht nur Artikel aus den verschiedensten Bereichen, sondern punktet auch mit extrem schnellen Lieferzeiten, die im Notfall Gold wert sein können. Trotzdem gibt es immer wieder kritische Stimmen zu Amazon und speziell dessen Einfluss auf den Einzelhandel, daher haben wir den Online-Versandhändler einmal genauer unter die Lupe genommen.

Zunächst eine brandaktuelle Meldung aus dem noch jungen Jahr 2019: Amazon ist erstmals zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt aufgestiegen. Die Aktie des US-Konzerns legte am 7. Januar um 3,44 Prozent zu, Amazons Börsenwert erhöhte sich auf 797 Milliarden Dollar. Das Unternehmen überflügelte damit den bisherigen Spitzenreiter Microsoft.

Interessante Dokumentation auf ARTE

Als hätte ARTE diese neuerliche Entwicklung bereits geahnt, hat der deutsch-französische Kultursender Anfang Dezember 2018 eine Dokumentation mit dem Namen „Der unaufhaltsame Aufstieg von Amazon – Wie Amazon die Welt verändert“ ausgestrahlt. Der 90-minütige Beitrag des britischen Dokumentarfilmers David Carr-Brown beleuchtet unter anderem Geschichte und Hintergründe des Internetgiganten, zeigt mögliche Kritik sowie Gefahren hinter der Entwicklung und stellt Gründer Jeff Bezos genauer vor. Neben dem Mann hinter dem Unternehmen kommen zudem weitere Wegbereiter, Experten verschiedenster Bereiche, Arbeitsrechtler sowie Kunden und Mitarbeiter ausführlich zu Wort.

Irrsinnige Summen und eine hohe Zufriedenheit

Laut Statista.com belief sich der Umsatz von Amazon im Jahr 2017 weltweit auf knapp 178 Milliarden US-Dollar, der Gewinn des Unternehmens lag dabei bei rund 3,03 Milliarden US-Dollar. Mit einem Markenwert von rund 207,6 Milliarden US-Dollar lag Amazon im Millward-Brown-Ranking 2018 der 100 wertvollsten Marken auf dem dritten Platz, in einem Ranking der umsatzstärksten Online-Versandhändler in Deutschland belegte Amazon im Jahr 2017 sogar den ersten Platz. 
Eine weitere Umfrage von Statista belegt außerdem eine hohe Kunden-Zufriedenheit: So waren lediglich fünf Prozent der Befragten eher bzw. sehr unzufrieden mit dem Amazon-Kundenservice, während der Rest überwiegend, sehr oder eher zufrieden war. Zu den Kunden generell zählt dabei auch ein Großteil der Deutschen: Ebenfalls im Jahr 2017 gaben laut Statista 91 Prozent an, schon mehrfach bei Amazon eingekauft zu haben – diese Zahl dürfte seitdem noch weiter angestiegen sein.

Ein Anfang als kleiner Bücherversand

Der steile Aufstieg des Unternehmens innerhalb von nur gut 20 Jahren begann in den frühen 90er Jahren, als der Informatiker Jeffrey P. Bezos zusammen mit dem Investoren David E. Shaw, in dessen Finanzunternehmen er damals arbeitete, die Idee eines elektronischen Büchergeschäfts hatte. 1994 machte sich Bezos alleine an die Arbeit, entwickelte die Pläne weiter, gab seinen sicheren Job in New York auf und zog an die Westküste. Dort gründete er in einer Garage im Raum Seattle schließlich amazon.com als Online-Buchhandlung. 

Bereits im zweiten Monat erzielte das Unternehmen einen Wochenumsatz von über 20.000 US-Dollar – und das, obwohl sich die Plattform erst im Oktober 1995 der breiten Öffentlichkeit öffnete. Zwei Jahre später betrug der Umsatz dann 147,8 Millionen US-Dollar, 1998 eröffneten schließlich die ersten internationalen Webseiten und es erfolgten die ersten Übernahmen. Dazu gehörte unter anderem 1998 Telebook Inc., der Betreiber des zu dieser Zeit größten Buchshops in Deutschland, was somit den Eintritt auf den deutschen Markt bedeutete. 

Dienste und Produkte von Amazon

Neben den vielen Übernahmen bringt Amazon seitdem immer wieder neue Dienste, Services und Produkte auf den Markt – den Anfang machte der Marketplace, der es Händlern und Privatpersonen ermöglicht, auf Amazon eigene Ware zu vertreiben. Diese profitieren von der enormen Reichweite des Marktplatzes, hierfür erhält Amazon jeweils eine Provision pro Verkauf. Es folgten 2007 Amazon Prime, Amazon Music und Amazon Pay, mittlerweile gibt es weitere Dienste wie Amazon Video oder Amazon Fresh. 

Konkurrenz im Lebensmittelgeschäft

Mit letzterem macht der Internetgigant nun auch den lokalen Supermarkt-Filialen Konkurrenz, da es sich dabei um einen Lieferdienst für Lebensmittel handelt. Mit Amazon Go bietet das Unternehmen zudem einen Supermarkt ohne Kassenbereich, das erste Geschäft wurde Ende 2016 in Seattle eröffnet – laut Bloomberg will Amazon bis 2021 etwa 3.000 weitere Filialen eröffnen.
Zu den eigenen Technikprodukten zählen das mittlerweile nicht mehr erhältliche Smartphone Amazon Fire Phone, die Amazon Kindle Fire Tablets, die eBook-Reader Amazon Kindle, die intelligenten Lautsprecher Echo mit Spracherkennung als virtueller Assistent sowie die Set-Top-Box und den HDMI-Stick Fire TV für Smart-TV-Funktionen wie Streaming. Seit 2009 verkauft Amazon zusätzlich weitere Produkte wie Notebooktaschen oder Computer-Kabel unter seiner Hausmarke AmazonBasics.

Jeff Bezos – das frühe Genie?

Derzeit ist Amazon-Gründer Jeff Bezos mal wieder in aller Munde – jedoch nicht, weil er mit einem geschätzten Vermögen von aktuell rund 137 Milliarden US-Dollar (laut Forbes) der reichste Mensch der Welt ist oder weil er bereits als Kind einen Alarm konstruiert hat, um seine Geschwister aus seinem Zimmer zu verscheuchen. Nein, der so erfolgreiche Unternehmer musste am 9. Januar die Trennung von seiner Ehefrau MacKenzie bekannt geben. Das Paar hatte sich 1992 an der Wall Street kennengelernt und 1993 geheiratet. Gattin MacKenzie ist heute als Schriftstellerin tätig ist, war jedoch damals als eine der ersten Mitarbeiterinnen mit in Bezos‘ Unternehmen mit eingestiegen. Das Paar hat vier Kinder und will nach eigenen Angaben ein gemeinsames Leben in Freundschaft fortführen – Pech in der Liebe, Glück im Spiel also?

Jeder Wunsch wird erfüllt

Fakt ist: Bestellen über Amazon hat enorme Vorteile, speziell für Kunden mit einem Prime-Account. Artikel aller Art sind stetig und in vielen Ausführungen verfügbar, Einkauf sowie Lieferung erfolgen unkompliziert und schnell, selbst die speziellsten Wünsche können erfüllt werden – und das bequem von zuhause aus. Eine viel beschäftigte Mutter in der ARTE-Doku berichtet beispielsweise begeistert davon, wie viel Zeit und Nerven sie sich beim Suchen eines passenden Meerjungfrauen-Kostüms für ihre Tochter dank Amazon gespart habe. Die Plattform macht sogar eigene Vorschläge, was den Kunden noch gefallen könnte – letzteres wird jedoch mittlerweile nicht ausnahmslos positiv gesehen.

Vielzahl an kritischen Punkten

Schließlich kennt Amazon seine Kunden auch deshalb so gut, weil das Unternehmen alle Schritte genau analysiert und damit eine Menge nicht unbedeutender Daten sammelt. Kritisiert werden außerdem teilweise sehr fragwürdige Arbeitsbedingungen samt schlechter Bezahlung und ständiger Unsicherheit. Dies zeigt sich auch in der bereits erwähnten Dokumentation, die beispielsweise Lieferfahrer oder Arbeiter in den riesigen Warenzentren zu Wort kommen lässt. Diese agieren im Ausland nämlich häufig ohne Gesundheits- und Arbeitslosenschutz oder großartige Rechte, werden jedoch extrem überwacht und unter Druck gesetzt. Auch Themen wie die geschickte Steuervermeidung, ein mangelnder Verbraucherschutz bei Alexa oder der ständige Tarifstreit mit der Gewerkschaft ver.di in Deutschland werfen ein ungutes Licht auf den Konzern.

Folgen für den Einzelhandel

Doch was bedeutet dies alles eigentlich für die Einzelhändler? Die Tendenz hin zum Online-Shopping zieht teilweise erhebliche Nachteile für den stationären Handel mit sich, da immer weniger Personen vor Ort in den Geschäften einkaufen oder sich nur dort beraten lassen, um dann vom Laptop aus die oftmals preiswerteren Produkte zu bestellen. Schließlich bietet Amazon beispielsweise viel mehr Auswahl, alle verfügbaren Größen und die Lieferung direkt nach Hause. Generell hat die Entwicklung von Amazon zu einer Verschiebung der Kräfte auf dem Markt geführt – die Macht liegt nun unter anderem mehr beim Kunden.

Andererseits können Einzelhändler auch von Amazon profitieren, indem sie ihre Produkte dort anbieten und damit einem größeren Publikum präsentieren. Jedoch besteht die Gefahr, dass die Plattform aufgrund der ihr bekannten Daten die Händler wiederum einfach unterbietet. Zusätzlich können Verkäufer, die ihre Waren zugleich auf anderen Portalen günstiger anbieten, teilweise unter Druck gesetzt werden, falls sie auf Amazon trotz der dort (ebenfalls kritisch zu sehenden) höheren Gebühren nicht den gleichen Endpreis anbieten.

Manche Kunden setzen mittlerweile aber auch bewusst auf den Kauf vor Ort, wo sie kompetente sowie direkte Beratung vorfinden und die Produkte direkt ansehen, testen oder anprobieren können. Wir haben daher bei Einzelhändlern in der Region nachgefragt, wie sie die Entwicklung von Amazon beurteilen und ob sie einen negativen Einfluss auf ihr eigenes Geschäft erkennen können. | Text: Vera Mergle