Kemptener Hochschuldozent Ingmar Niemann zur Landtagswahl

«Viele Verlierer, ein Gewinner»

TRENDYone sprach mit dem bekannten Hochschuldozenten Ingmar Niemann, der u.a. auch an Hochschule Kempten lehrt, über das Ergebnis der Bayerischen Landtagswahl 2023. Nachfolgend seine Anaylse:

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Der Universitäts- und Hochschuldozent Ingmar Niemann analysiert für TRENDYone die Landtagswahl 2023.Bild: pixabay/spielberg
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Der Universitäts- und Hochschuldozent Ingmar Niemann analysiert für TRENDYone die Landtagswahl 2023.Bild: Jörg Spielberg
TRENDYone: Herr Niemann, Sie haben in der vergangenen Woche Ihre Analyse der Landtagswahl vom vergangenen Sonntag im Haus International in Kempten vorgestellt. Sagen Sie uns, wer hat aus Ihrer Sicht die Wahl gewonnen?

Niemann: Mal abgesehen von den prozentualen Gewinnen haben aus meiner Sicht die Freien Wähler die Wahl eindeutig gewonnen. Nicht nur, dass sie zweitstärkste Kraft geworden sind, sie sind als Koalitionspartner gesetzt, sie haben der CSU zwei Direktmandate abgenommen, und sie sind in vielen Wahlkreisen – vor allem in den Bezirken Ober- und Niederbayern sehr stark aufgestellt, mit Kandidaten, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrades leicht 20 % und mehr erzielen können. Beste Beispiele dafür sind der Fernsehrichter Alexander Hold aus Kempten und der FW-Fraktionsvorsitzende Florian Streibl aus Oberammergau (Wahlkreis Bad Tölz / Garmisch-Partenkirchen). Die Freien Wähler haben also vor allem im ländlichen Raum stark dazugewonnen!

TRENDYone: Als Wahlsieger gilt aber allgemein die AfD. Sehen Sie das anders?

Niemann: Ja in Prozenten ausgedrückt stimmt das. Die Partei scheint auch inzwischen in den westlichen Bundesländern angekommen zu sein. Dennoch ist sie keine Alternative für Bayern: Sie hat keine Koalitionsoption, sie ist und bleibt aufgrund der „Brandmauer“ der demokratischen Parteien eine Protestpartei und liegt in Bayern deutlich unter Bundestrend. Allerdings wird sie im neugewählten Landtag Oppositionsführerin sein, mit mehr Rechten ausgestattet, zum Beispiel dem Recht als erstes auf die Regierung antworten zu dürfen. Auch mehr Ausschüsse sowie eine(n) stellvertretende(n) Landtagspräsident(in) stehen ihr zu, sofern die Landtagsabgeordneten(-innen) dies per Wahl bestätigen.

TRENDYone: Und die Ampelparteien sind die Verlierer der Wahl?

Niemann: Ja sicher auch, aber das ist keine Überraschung. 6,6 % Verlust der drei Ampelparteien zusammengenommen, zeigt deutlich, was die Bevölkerung Bayerns von der Bundesregierung hält: 53 % denken, dass die Bundesregierung nicht hält, was sie verspricht. 54 % denken, dass sie nicht genug tut für die Wirtschaft, 83 % bewerten die Zusammenarbeit der Regierung in den letzten zwei Jahren als schlecht und 80 % wünschen sich eine andere Asyl- und Migrationspolitik (alle Zahlen von Infratest dimap). Kein Wunder, dass es hier eine ordentliche „Watschn“ vom Wähler gegeben hat!

TRENDYone: Für die FDP ist diese Reaktion des Wählers aber vernichtend!

Niemann: Da sind die Liberalen selbst Schuld daran. Sie haben kein „Alleinstellungsmerkmal“ in den letzten fünf Jahren entwickelt. Folglich fehlte Ihnen im Wahlkampf ein Thema, mit dem sie der Wähler verbinden konnte. Zudem werden sie als Mehrheitsbeschaffer nicht gebraucht. Das leisten derzeit die Freien Wähler, und der Spitzenkandidat der FDP war farblos und inhaltlich doch recht oberflächlich. Themen, die die Menschen im Wahlkampf bewegten, waren sicher keine FDP-Themen! Und zur - von ihnen gewünschten - Verkleinerung des Landtages haben sie jetzt letztlich selbst beigetragen. Bei über 40% Verlust an Wählern ist auch nicht abzusehen, wie eine „Wiederauferstehung“ aussehen könnte. Rückkehr in den Landtag in der Zukunft ist also mehr als ungewiss!

TRENDYone: Und das Erscheinungsbild in der Ampel-Koalition hat der FDP dann den Rest gegeben?

Niemann: Unterstützung aus Berlin gab es sicher keine, eher blies den Liberalen der Wind aus Norden ins Gesicht. Als bürgerliche Partei in einer linken Regierung zu sitzen, ist schon an sich ein Spannungsproblem. Selten, dass man hier auf gleicher Wellenlänge arbeitet. Und als Steigbügelhalter einer rot-grünen Regierung wahrgenommen zu werden, reicht nicht zum politischen Überleben. In einer Ampelkoalition kann die FDP nur verlieren, wie auch die Wahlen in den letzten 2 Jahren gezeigt haben.

TRENDYone: Die Grünen haben ihr zweitbestes Ergebnis gefeiert. Doch gar nicht so schlecht, oder?

Niemann: Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass ihre Traumumfragewerte von 25 % längst Vergangenheit sind und sie sichtbare Kompetenz beim Wähler nur noch bei Klima- und Umweltfragen haben. Die bayernweiten Verluste sind massiv, in ostbayerischen Wahlkreisen schaffen sie derzeit nur noch um die 5 %. Und selbst in ihrer Hochburg München errangen sie jetzt nur vier Direktmandate, das sind zwei weniger als bei der Wahl 2018. Alles in allem keine guten Zahlen, aber irgendwie feiern lässt sich ja jedes Wahlergebnis.

TRENDYone: Aber doch erheblich besser als die SPD!

Niemann: Nun, die bayerische SPD befindet sich am Rand der Irrelevanz, wie dies auch schon einige Journalisten formulierten. Nie war sie schlechter als heute. Es fehlt an überzeugendem Spitzenpersonal, inhaltlich klar fokussierten Themen, einer Sozialpolitik, die der ältesten sozialpolitisch orientierten Partei gerecht wird, schlicht, es fehlt ihr an den Grundlagen einer erfolgreichen Politik. Das schlechteste Nachkriegsergebnis mit wenig Perspektive auf Verbesserung!

TRENDYone: Über die CSU haben wir noch gar nicht gesprochen. Mit 37 % haben die Christsozialen ein stabiles Ergebnis eingefahren.

Niemann: Stabil schlecht müsste man sagen. Was unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen möglich gewesen wäre, zeigt das Wahlergebnis der CDU in Hessen. Ein Gewinn von 7,6 % gegenüber einem Verlust von 0,2 % in Bayern und damit das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1950. Dabei ist nicht das Ergebnis das Problem, sondern der Trend: Die CSU hat in den letzten fünf Jahren in wesentlichen Kompetenzfeldern massiv verloren. So zum Beispiel in der Kriminalitätsbekämpfung minus 18 auf 49 %, Wirtschaft minus 19 auf 44 %, Bildung minus 3 auf 34 % und ländlicher Raum minus 8 auf 30 % (Daten: Infratest dimap). Zugelegt haben auf diesen, für den Wahlkampf ganz erheblichen und entscheidenden Kompetenzfeldern, fast ausschließlich die Freien Wähler. Im Kompetenzfeld ländlicher Raum sind sie mit 28 %, wie oben schon erwähnt, fast gleichauf mit der CSU (30 %). Das erklärt auch ihren großen Erfolg in der Fläche.
Aber auch der Ministerpräsident war, entgegen der weitläufigen Meinung in der CSU, kein Wahlkampfzugpferd. Immerhin 56 % der Wähler denken, dass es Markus Söder mehr um sich geht als um die Bürger im Land (Infratest dimap). Und nur 61 % denken, er ist ein guter Ministerpräsident, was sehr wenig für einen amtierenden Landesvater ist. Und kein Wähler versteht, dass der ehemaliger „Hardliner“ in der Migrationspolitik erst vor kurzem Frau Merkel den Bayerischen Verdienstorden verliehen hat. Trotz geäußerter Differenzen und Dissonanten passt das nicht zusammen.

TRENDYone: Das klingt nicht gut.

Niemann: Es kommt noch schlimmer. Nach dem neuen Bundeswahlgesetz braucht die CSU, um in den Bundestag zu kommen, mindestens 5 % der Wählerstimmen (Zweitstimme). In Bayern allein gibt es insgesamt 15 % der deutschlandweit Wahlberechtigten. Die CSU muss folglich etwa 1/3 der Wähler in Bayern für sich gewinnen, um die Hürde zu schaffen. Bei der letzten Bundestagswahl hatte sie 31,7 % der Stimmen in Bayern, was damals 5,2 % der Stimmen auf Bundesebene entsprach. Schon kleinere Verluste bei der nächsten Bundestagswahl könnten hier die Bedeutungslosigkeit in Berlin und im Bund bedeuten.
Dagegen könnte es den Freien Wählern, die bei der nächsten Bundestagswahl wohl in allen Bundesländern antreten werden, gelingen, die 5 % Hürde zu überwinden. Derzeit stehen sie in den Umfragen bei 4 %, also nicht weit davon entfernt. Das Schreckensszenarion für die CSU lautet daher: Aiwanger im Bundestag, die CSU draußen. Das wäre dann das Ende des Alleinstellungsmerkmals: CSU=Bayern, das Ende der eigenen Identität. Für die CSU wird es gefährlich eng!

TRENDYone: Herr Niemann, wir danken Ihnen für das Gespräch.