Wie rassistisch ist Deutschland?
Diskriminierung zählt zum bitteren Alltag vieler
Nicht erst seit dem Tod von George Floyd ist Rassismus ein Thema. Der gewaltsame Mord an dem Afroamerikaner durch einen Polizeibeamten am 25. Mai 2020 erschütterte Menschen auf der ganzen Welt. So wird auch hierzulande stärker denn je über Rassismus debattiert. Proteste gegen Polizeigewalt und Demonstrationen gegen Diskriminierung aufgrund von Herkunft sind die Folge. Im Jahr 2019 lebten in Deutschland rund 11,2 Millionen Ausländer*innen, die im Alltag bedauerlicherweise immer wieder mit Benachteiligungen konfrontiert werden. Wir haben Personen mit und ohne Migrationshintergrund befragt und ihre positiven sowie negativen Begegnungen mit Mitmenschen einer anderen Abstammung in Erfahrung gebracht.
Sayeh Farahpour, Regio Augsburg Wirtschaft GmbH
"Vor 35 Jahren bin ich als Kriegsflüchtling von Persien nach Deutschland gekommen. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater damals von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde völlig grundlos angeschrien wurde. Das war für mich im Alter von 14 Jahren unfassbar schwer. Ich hatte die Begegnungen meinem Vater gegenüber noch nie zuvor so respektlos erlebt. Ich war in Mering auf der Schule und gehörte zu den wenigen Ausländern. Die Schüler waren damals sehr gehässig zu mir. Aber auch beruflich ist man mir nicht immer entgegengekommen… Wenn etwas während meiner ersten Ausbildung als Zahnarzthelferin schiefgegangen oder verlorengegangen ist, „war ich das“. Ich möchte aber betonen, dass es heute viel besser geworden ist! Ich bin sehr dankbar, hier zu sein und aber auch als aktiver Mensch in Augsburg etwas zurückgeben zu dürfen."Alexander Kaya, Neu-Ulmer Zeitung
"Als ich meine 12 Monate Wehrdienst in Donauwörth absolvierte, beschimpfte mich mal ein Offizier mit den Worten: Ich solle dahin gehen, wo ich herkomme. Mein Vater stammte aus der Türkei, meine Mutter ist deutsch. Ich bin in Augsburg geboren und schon immer deutscher Staatsbürger. Ich war in Donauwörth Kompaniesprecher der Mannschaften und wollte nach diesem Vorfall meine Funktion niederlegen. Der Kompaniechef konnte mich jedoch beschwichtigen, weil mein Rücktritt wohl zu hohe Wellen geschlagen hätte. Und dieses Fass sollte besser geschlossen bleiben, hieß es. Es gilt immer: Helfe dem Schwächeren und dem „Opfer“. Wenn es kein Wegsehen mehr gäbe, würden diese Diskriminierungen schlagartig aufhören, da nämlich der Angreifer zum Opfer würde. Und keiner ist gerne in der Opferrolle. Aber Achtung: Niemals Gewalt anwenden oder gar provozieren. Das Opfer und sich selbst aus der Gefahrenzone bringen und wenn möglich unbemerkt die Polizei verständigen."Tim Bertele, Vorstandsmitglied EHC Königsbrunn
"Bislang haben wir beim EHC Königsbrunn noch keine Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Dies liegt aber auch im Allgemeinen daran, dass Eishockey-Fans sehr friedlich, sportlich und weltoffen sind. Im Gegensatz zum Fußball sind mir hier auch bundesweit keine Fälle bekannt. Wir beim EHC Königsbrunn versuchen seit Jahren Ausländer zu integrieren. So stammt unser Mannschaftsarzt Dr. Taljeh vom Krankenhaus Bobingen aus Syrien. Dazu haben wir bereits mehrfach Flüchtlinge als Ordner bei unseren Spielen angeworben und eingesetzt. Wir können hier nur Positives berichten und würden es jeder Zeit wieder tun."Haris Papapostolou, Geschäftsführer The Winehouse
"Man könnte die Frage mit ja beantworten. Und zwar am „schlimmsten“ war es für mich als gebürtigen Griechen (obwohl ich hier schon seit 34 Jahren lebe und die deutsche Staatsbürgerschaft habe) als die Euro Finanzkrise war und Griechenland oder die Griechen als die „Pleitegriechen“ dargestellt wurden. Ich habe sehr oft Sprüche gehört: "Ihr nehmt unser Geld weg. Ihr seid faul und verprasst das Geld und jetzt sollen wir einspringen und euch helfen." Das kam sehr oft vor, sogar von meinen eigenen Kunden. Zwar meinten das viele ironisch, aber das hat mich schon getroffen.An sich kann man helfen indem man sich mit den Beleidigungen auseinandersetzt und die Personen, die einen beleidigen, mit Argumenten begegnet. Die Diskussion suchen und sich nicht wegducken. Das kommt sehr oft vor. Ob es im Bekanntenkreis ist oder wo anders: Nichts zu sagen, heißt oft Zustimmung über das geäußerte.
Ansonsten wenn es eine Tätlichkeit ist, sollte man eingreifen. Klar muss man die Lage abwägen aber demjenigen beistehen."
Ilir Seferi, Geschäftsführer Haunstetterhof
"Rassismus gibt es so lange und erst jetzt gibt es Handlungen auf der Straße - doch besser spät als nie. Bekanntlich bin im Kosovo geboren und im ehemaligen Jugoslawien aufgewachsen. Dort waren wir Albaner „Menschen zweiter Klasse“.Menschenrechte wurden dort massiv verletzt. Wir hatten das „Geburtsrecht“ eher als Geburtspech betrachtet, weil bis 1999 die Weltgemeinschaft nur zugeschaut hat.
Als ich nach Deutschland gekommen bin, wurde auch ich nicht anerkannt, durfte nicht arbeiten und das war sehr diskreditiert für mich, da ich trotzdem einen Job gefunden hatte.
Es gibt nichts Schlimmeres für die Menschen, als nicht anerkannt zu werden.
Das waren meine persönlichen Erlebnisse, wie ich mich als „Mensch zweiter Klasse“ gefühlt habe. Die menschliche Würde ist eine der wichtigsten Werte des Menschen. Alle Menschen atmen Sauerstoff, alle knien vor Gott, alle bestehen aus Blut und Knochen.
Sich einzusetzen für eine gute Tat gegen Rassismus ist eine menschliche Verpflichtung, wenn ich jemandem helfen kann. Der gemeinsame Nenner ist die gegenseitige menschliche Anerkennung.
Sprache kann Herzen weich machen. Wenn ich Zeuge einer rassistischen motivierten Handlung werde, würde ich mit dem Täter sprechen und ihm mitteilen, dass wir alle, ausnahmslos, gleich sind.
Auch Corona hat uns gezeigt, dass wir alle gleich sind. Alle mussten wir unter Quarantäne, egal welche Farbe wir tragen, welche Nationalität wir haben, egal ob reich oder arm, dünn oder dick!"
Peter Schwab, Polizeibeamter und Stadtrat
"Diese aktuelle Schein-Debatte (Schein, weil es hier keinen Anlass dafür gibt und die deutsche Polizei nicht mal ansatzweise mit der US Police vergleichbar ist… im Guten wie im Schlechten) ist dermaßen vollgepumpt mit teils immer schon dagewesenen Abneigung gegen die Uniform und auch politischen Zielen. Gerade als überall in Deutschland die Berichte über immer mehr verletzte Polizeibeamte und Angriffe auf Rassismuskeule perfekt um eine geforderte Verschärfung der Gesetze und Befugnisse der Polizei abzuwehren.Rassismus gab und wird es leider immer überall geben. Und um rassistisch zu sein, muss ich nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Ausgerechnet in Zeiten, in denen die Polizei nach Aufhebung rechtlicher Hindernisse so viele Polizeibeamten mit Migrationshintergrund hat wie noch nie, wird ihr durch diese immer wiederkehrende Anti-Polizei-Rhetorik Rassismus vorgeworfen.
Und zur Bestandsaufnahme gehört auch die hässliche Tatsache: Es gibt vermutlich keine andere Polizei auf der Welt, die sich so viel gefallen lassen muss, mit gleichzeitig weniger Befugnissen, um Respektlosigkeit und auch Angriffe wirksam abzuwehren."
Burak Coban, Fußballspieler SSV Ulm
"Da gibt es eine kleine Geschichte dazu: Ich wurde eingeparkt. Ich sprach die Person darauf an und es entwickelte sich eine Diskussion zwischen uns. Dabei habe ich deutlich meine Meinung gesagt, worauf der Person nichts Besseres einfiel als Dinge zu sagen wie „geh zurück in dein Land“ und „ob ich das dort genauso machen würde“, obwohl der Fehler ja bei dieser Person lag.Wenn jemand Zeuge ist, wie eine Person rassistisch beleidigt wird, sollte man meiner Meinung nach sofort eingreifen und die Person darauf aufmerksam machen, dass sowas nicht geht. Ich zum Beispiel bin gebürtiger Deutscher und bin auch hier aufgewachsen. Das gehört sich einfach nicht, das ist für mich Mobbing. Jeder hat das Recht hier in Frieden zu leben und ich finde, man sollte sich in solchen Situationen sofort einmischen."