Bauch über Herz: Kolumne über Familie und andere Abenteuer

Alles hat seine Zeit.

Es heißt, den richteigenen Zeitpunkt für Kinder gibt es nicht. Vielleicht ist das so, vielleicht auch nicht. Klar ist, wir werden immer älter, aber werden wir dadurch auch automatisch immer jünger? Auch wenn viele sagen, sie fühlen sich viel jünger als in ihrem Ausweis steht – und im Vergleich zu früheren Generationen sind wir heute sicher auch mit 40 oder 50 noch aktiver als damals – heißt das aber dann auch automatisch, dass wir länger jung sind, oder machen wir uns was vor?

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Bild: Dora Rauch
Es gibt viele Dinge, die haben einfach kein Verfallsdatum mehr. Ich finde zum Beispiel das Heiraten gehört dazu. Das kann man mit 20 oder 35 oder 60 oder eben mit 20, dann wieder mit 35 und dann nochmal mit 60. Jeder, wie er und sie glücklich sind – vielleicht ist der Mensch nicht für „auf immer und ewig“ gemacht? Die Wissenschaft diskutiert und neue Beziehungs- und Lebensmodelle kristallisieren sich heraus.
 
Auch eine berufliche Veränderung oder überhaupt das Leben nochmal umkrempeln. Was zumindest meinen Eltern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hätte, schließe ich für mich keinesfalls aus. Mal schauen, was kommt. Man kann es probieren und wenn es nicht klappt – naja, hat man was zu erzählen.
 
Die Zeiten haben sich geändert oder die Menschen habe sich geändert oder die Zeit hat die Menschen geändert? Wie auch immer. Ich denke, es ist alles etwas entspannter geworden, gerade was zahlen auf Papieren und Ausweisen angeht und ich denke, das ist auch gut so.
 
Nur eine Sache, die hat zumindest für uns Frauen ein Verfallsdatum, auch wenn es uns nicht gefällt. Hier arbeitet die Wissenschaft ebenfalls an Lösungen und Möglichkeiten, das unvermeidliche hinauszuschieben.
 
Kleine Mädchen werden mit exakt dieser Anzahl an Eizellen geboren, die sie im Laufe Ihres Lebens zur Verfügung haben und wenn weg, naja dann weg. Es werden keine neuen gebildet, es wachsen Keine neuen nach.
 
Wir können dank guter Ernährung und einem gesunden ausgewogenen Lebenswandel länger frisch aussehen. Darum sind die Zellen aber nicht unbedingt frischer oder teilungsfreudiger oder eben jünger.
 
Ok, ich bin mir sicher, das ist jetzt nix Neues und ich möchte auch keine schlechte Laune verbreiten oder social kritisch hier Finger auf Wunden legen. Vielmehr ist mir aufgefallen, dass man es der Gesellschaft, was das Alter zum Kinderkriegen und den Zeitpunkt angeht, echt schwer recht machen kann. Es ist im Grunde alles erlaubt und doch irgendwie alles falsch.
 
Was ich damit meine? Naja, früher ging der Trend in Richtung Heiraten mit Anfang 20, dann Kinder und Karriere wenn es noch geht, vielleicht danach oder eben nicht. Natürlich gab es Ausreiser, aber so hat es die Gesellschaft schon gerne gesehen.
 
Heute höre ich von vielen werdenden Mamas mit MITTE zwanzig, die im Berufsleben stehen und verheiratet sind, also vermeidlich alles richtig gemacht haben. Sie werden angeschaut wie Aliens oder verantwortungslose Teenager. Hinter vorgehaltener Hand wird getuschelt: „Das war doch nicht geplant, oder?“ Gerade eine Generation „50 Plus“ mahnt gerne: „Mädchen, Du verbaust Dir Dein Leben! Willst Du nicht vorher die Welt sehen? Wenn ich damals eine Wahl gehabt hätte... Ok, das Leben kann fies sein, wir haben es verstanden und lernen natürlich aus der Vergangenheit.
 
Und die meisten Mädels mit Ende zwanzig denken wirklich nicht unbedingt ans Kinderkriegen – Auch, wenn sie in festen Partnerschaften leben und ihr Leben voll im Griff haben. Vielleicht fühlt sich der Zeitpunkt gerade einfach nicht passend an, oder Frau möchte das selbst verdiente Geld erstmal noch genießen.
 
Alles andere geht auch noch später, sagt ja sogar Tante Gerda und die erinnert sich doch sogar noch an den Fall der Berliner Mauer! Wenn das nicht die Weisheit des Alters ist, auf die man dringend hören sollte und zunächst ins Wellness fahren.
 
Und so vergeht die Zeit und wir sind Mitte dreißig und dann geht das Getuschel wieder los: „Kind, jetzt musst Du Dich aber ranhalten – mit Kindern! Wir (und Du) werden ja nicht jünger und wollen ja noch was vom Nachwuchs haben. Außerdem willst Du dann etwa in der Schule als die Oma gehalten werden?“
 
Also dann jetzt plötzlich schnell, schnell oder wie? Und schon stehen wir wieder unter Druck – dann ist da noch die Sache mit dem Gegenstück… Haben wir jetzt gerade den Richtigen dafür? Sonst wird Tante Gerda nämlich extra nervös und es tauchen auf Familienfeiern alte Sandkastenfreunde auf, die zufällig auch noch nicht verheiratet sind – zufällig natürlich!
 
Amazon prime und Expresslieferung sind hier leider ausgeschlossen – der Storch ist auch erstmal in den Süden verschwunden. Bringt nix, manche Dinge gehen nicht schneller, als sie gehen. Also müssen wir uns dann damit abfinden: Junge Muttis werden wir nicht mehr.
 
Als ich meine Tochter bekommen habe, war ich dreißig und weit und breit die Einzige mit Babybauch in meiner Umgebung! Ich hatte schon auch Freundinnen, die da schon „fertig“ waren, aber die meisten hatten einfach noch nicht angefangen.
 
Mit Baby habe ich dann natürlich neue Kontakte geknüpft, die auch mit „Baby an Bord“ unterwegs waren und nicht weiter darüber nachgedacht.
 
Erst heute, zehn Jahre später und wieder ziemlich rund, sehe ich den Unterschied. Erstens: Jetzt hat so ziemlich jeder noch was im Keller, was er liebend gerne verleihen möchte, aber sich auch noch nicht ganz trennen kann, vielleicht wollen wir ja später doch nochmal…?
 
Und ich fühle mich irgendwie alt – klar, jede Schwangerschaft ist anders und eigentlich halten sich die Wehwehchen in Grenzen. Bei der Ärztin höre ich oft den Satz „bei Ihnen kommen Faktoren zusammen, da müssen wir nochmal schauen.“ Der Faktor, den keiner ausspricht, heißt: Ich bin über 35 Jahre! Zur Übersetzung.
 
Es wird mit Statistiken um sich geworfen und mit Wahrscheinlichkeiten. Ich würde mich nicht als jemanden bezeichnen, der sich leicht verunsichern lässt und das bin ich auch nicht, im Gegenteil, ich bin in gewisser Weise sogar entspannter. Ach, das brauchen wir alles nicht und ach, da ist noch Zeit und ja, da sehen wir dann. Und auch wenn ich unterschreiben würde, dass unsere Biologie mehr für eine Schwangerschaft mit Ende 20, Anfang 30 als dann mit 40 ausgelegt ist…
 
Man ist gefestigter im Job, routinierter und die Immobilien zum Teil abbezahlt – der finanzielle Druck ist nicht mehr so groß und die innere Unsicherheit oder die Selbstzweifel auch nicht. Man hat schon einiges erlebt und hat im besten Fall seine innere Ruhe gefunden oder trauert zumindest keinen Partys mehr nach, die jetzt ohne einen stattfinden werden.
 
Auch wenn es nicht von der Hand weisen ist, dass ich bei der Schulabschluss-Feier fast die 60 knacke!!! Ist trotzdem alles auf seine Art entspannter und weniger hektisch, als damals mit dreißig.
 
Also stimmt es vielleicht: Ein Kind passt NIE, und IMMER!