Geplante Freizeitanlage am Grünten entzweit das Allgäu

„Der große Streit"

Wer von Norden kommend über die A7 und die B19 ins Oberallgäu fährt, kann einen markanten Gipfel der Allgäuer Berge nicht übersehen. Kurz vor Sonthofen erhebt sich zu Füßen der Gemeinden Rettenberg, Kranzegg und Burgberg der 1.738 Meter hohe Grünten empor. Aufgrund seiner einzigartigen Lage erhielt der Bergrücken den Beinamen: „Wächter des Allgäus". Auf den nordwestlichen Berghängen war bis vor zwei Jahren ein Skigebiet mit sieben Skiliften in Betrieb. In 1.477 Meter Höhe befindet sich die Grüntenhütte, die derzeit noch vom Hüttenwirt Norbert Zeberle und seinem Team bewirtschaftet wird. Im Herbst 2017 mußte die Betreiberfirma der Skiliftanlagen, die Grüntenlifte Betriebs GmbH der Familie Prinzing, Antrag auf Konkurs stellen. Durch das Amtsgericht Kempten wurde im November 2018 der Sanierungsexperte Zistler von der Pluta Rechtsanwalt GmbH zum Insolvenzverwalter der Grüntenlifte Betriebs GmbH bestellt. Im Jahr 2018 veräußerte die Familie Prinzing gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter Florian Zistler die Grüntenlifte an die BergWelt GmbH & Co. KG der Familie Hagenauer aus Immenstadt. Die Kaufverträge hierzu wurden Anfang Mai 2019 von allen Beteiligten unterschrieben.

Die Bergwelt GmbH & Co. KG der Familie Hagenauer will nun unter dem Namen „Grünten BergWelt" dieses nordwestliche Areal als ganzjähriges Natur- und Freizeiterlebnis für Besucher anbieten. In Immenstadt betreibt die Familie seit vielen Jahren die Alpsee Bergwelt mit vielen Freizeiteinrichtungen. Insgesamt möchte die Unternehmerfamilie aus Immenstadt rund 30 Millionen Euro investieren. Drei neue Liftanlagen sollen anstelle der sieben alten enstehen, darunter auch ein „Winter-Kinderland" mit Skischulgelände. Eine neue Grünten-Gondelbahn mit 10er Kabinen soll die Besucher von der Talstation über die Mittelstation auf einer Länge von 2.300 Metern zur Grüntenhütte befördern. Für den Skibetrieb soll eine neue Sechser-Sesselbahn gebaut werden. Für mehr Schneesicherheit soll die Modernisierung der bestehenden Beschneiungsanlage sorgen. Ebenso ist geplant eine Naturrodelbahn und eine „Walderlebnisbahn" (sog. Rollglider) zu errichten, um die geplante „Grünten BergWelt" attrativ zu machen. Mit dem Kaufvertrag verpflichtete sich der neue Eigentümer zudem ein neues Wegesystem am Grünten zu etablieren und die vielen Trampelpfade zurückzubauen. Ein wesentlicher Bestandteil der Neugestaltung der Freizeitanlagen wird der Umbau der bestehenden Grüntenhütte sein. Hier soll eine neue Gastronomie im Allgäuer Stil entstehen, die im Innenbereich Platz für 120 und im Aussenbereich Platz für 350 Gäste bietet.

Über dieses Vorhaben ist seit geraumer Zeit im Allgäu ein großer Streit entbrannt. Insbesondere Umweltschützer und Naturfreunde äußern große Bedenken, ob das geplante Vorhaben der Familie Hagenauer Aspekte des Naturschutzes vor Ort tatsächlich genügend berücksichtigt. TRENDYone bat nun die Bürgerinitiative der Unterstützer „Zukunft Grünten" und die Bürgerinitiative der Gegenseite „Rettet den Grünten" um eine Stellungnahme zum geplanten Vorhaben am Grünten. Die bei uns eingegangen Stellungnahmen hier nun im ungekürzten Wortlaut:

Die Befürworter:

Zukunft Grünten – Wir für den Berg

Wer sind wir?

Wir sind Bürger aus dem Gemeindegebiet Rettenberg, die hier wohnen und arbeiten. Wir sind keine „Retter" des Grünten (der muss von niemand „gerettet werden"). Wir sind keine Weltverbesserer und keine Waldvernichter. Wir haben kein Interesse an juristischen Spitzfindigkeiten und Auseinandersetzungen im Dorf. Wir plädieren weder für Massentourismus, Rummelplatz auf dem Grünten noch für Verkehrschaos.

Was wollen wir?

Wir wollen dem gesamten Allgäu, aber vor allem den Gemeindebürgern zeigen, dass es in Rettenberg und dem Oberallgäu inzwischen sehr viele Befürworter und nicht nur (laute) Gegner des Projektes gibt. Wir möchten gerne, dass Einheimische und unsere Urlaubsgäste im Winter am Grünten wieder Skifahren und auch im Sommer zur Grüntenhütte mit dem Lift fahren können. Deshalb unterstützen wir die einheimische Familie Hagenauer, die dieses Projekt umsetzen und finanzieren will!

Wir wollen das Projekt aber auch, weil:
• wir eine attraktive, zukunftsfähige Infrastruktur am Grünten wollen! Das hat aber rein gar nichts mit einem ‚Ausverkauf der Heimat‘ (wie uns oft unterstellt wird) zu tun.
• wir die Alpwirtschaft und kleinbäuerliche Struktur in unserer Region unterstützen wollen. Diese Struktur braucht aber auch einen funktionierenden Tourismus (siehe Ferien auf dem Bauernhof). Wir brauchen weder industrielle   Landwirtschaft noch Massentourismus.
• dadurch eine dringend notwendige Besucherlenkung am Grünten für die nächsten Jahrzehnte gesichert ist. Andere Bergbahnen im Allgäu beweisen, dass so ein „gelenkter Tourismus" prima funktioniert
• wir verstehen, dass es nicht jedermanns Sache ist, sich mit anderen Skifahrern oder Wanderern in definierten Infrastrukturen zu bewegen, jedoch ist dies für die Natur ein großer Gewinn. Der Grünten bietet außerdem noch genügend andere Möglichkeiten, um individuell das gesuchte Bergerlebnis zu erfahren.

Das Allgäu ist eine Tourismusregion (das wird wohl niemand leugnen) und von diesem Tourismus leben wir alle hier in unterschiedlichem Ausmaß. Die einen mehr, die anderen weniger. Tourismus ist sicher nicht alles – aber ohne Tourismus ist alles nichts! Und wir hätten diese schöne Tourismusentwicklung nicht ohne Königschlösser, ohne Fellhorn- und Nebelhornbahnen, ohne Wonnemar, ohne Rad- und Wanderwegerschließung oder ohne Alpsee Bergwelt. Dazu waren in jedem Einzelfall Eingriffe in die ‚ursprüngliche‘ Natur notwendig, aber deswegen verläuft der ganze Tourismus im Allgäu in geregelten Bahnen und selbst Orte wie Hohenschwangau haben die Verkehrsprobleme der Besucherströme gut geregelt. Jede touristische Destination lebt von attraktiven Ausflugszielen!

Das Grünten-Projekt wird zwischenzeitlich von vielen Rettenberger Bürgern und allgäuweiten Institutionen nachweislich unterstützt:

• Einstimmiger Beschluss des Gemeinderates Rettenberg
• IHK Allgäu
• Allgäu GmbH
• Tourismusverband Alpsee-Grünten
• zahlreiche Sportlern und Verbänden (z.B. ASV)

Wir haben jetzt die historische Chance, dass eine einheimische Familie, die auch in der Gemeinde wohnt, am Grünten so ein Zukunftsprojekt für Sommer und Winter verwirklichen will.
Mehr Infos unter www.zukunft-gruenten.de

Die Gegner:

Bürgerinitiative „Rettet den Grünten":

Die Grünten BergWelt würde in einem Landschaftsschutzgebiet gebaut werden. Laut dem Landkreis Oberallgäu ist es in diesem verboten, Veränderungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Landschaft zu verunstalten, die Natur zu schädigen oder den Naturgenuss zu beeinträchtigen. Unseres Erachtens verstößt der Bau von Rollglideranlage, Sessellift und 10er-Kabinenbahn sowie Erweiterung des Parkplatzes ((deutliche) Parkplatzflächenerweiterung, zu sehen in der Werbebröschüre von Fam Hagenauer) massiv gegen diese Richtlinien.

Darüber hinaus spricht das Projekt gezielt Tagestouristen an, da das Angebot sich an Menschen richtet, die das kurzweilige "Abenteuer" am Berg, der zur Eventkulisse verkommt. suchen. Die Folge ist eine enorme Zunahme des Verkehrs rund um den Grünten. Bereits jetzt kämpft eine Initiative aus Rettenberg seit Jahren um eine Umgehungsstraße. Dies verdeutlicht den bereits vorliegenden Verkehrsdruck und zeigt auf, dass das Thema "Verkehrswende" & "ÖPNV" oberste Priorität haben sollte.

Außerdem finden Menschen mit Handicap im Allgäu in direkter Umgebung zahlreiche Möglichkeiten, einen Berg hautnah zu erleben. Im Umkreis von 25 Kilometern gibt es z.B. 13 Kabinenbahnen. Am Grünten selbst könnte auch durch ein Sonderfahrrecht zur Grüntenhütte ein dementsprechendes Angebot geschaffen werden.
Des Weiteren führt das Projekt sämtliche Klimaziele ad absurdum. Der benötigte Strom für künstliche Beschneiung, Liftbetrieb oder Hüttenversorgung stellen eine massive Ressourcenverschwendung dar. In Zeiten von immer länger anhaltenden Trockenphasen sollte man wertvolles Wasser für wichtigere Dinge, wie etwa die Versorgung von Alpvieh, benutzen. Zudem wird massiv in die Natur eingegriffen - mehr als 400 Bäume müssen gefällt, Beschneiungsanlagen gebaut, Betonfundamente gegossen und Stahlstützen errichtet sowie tausende Drahtseile verspannt werden. Durch Pistenraupen, Verkehrsaufkommen und die ganzjährige intensive Nutzung am Grünten kommt es zu einer enormen Belästigung des Wilds. Von 30 Millionen Investitionssumme kommen ca. 1/3 vom Steuerzahler (Allgemein: Steuerzahler ist durch staatliche Subvention am Projekt beteiligt).

Auch im Bereich "Arbeitsmarkt" spricht nichts für das Projekt der Familie Hagenauer. Im Gastronomiebereich werden Fachkräfte gesucht, im Allgäu herrscht Vollbeschäftigung. Eine hohe Auslastung von lokalen Handwerksbetrieben ist bereits jetzt Fakt. Durch die Umsetzung des Projekts würden nur sehr wenige hochwertige Jobs geschaffen werden.
Abschließend bleibt zu sagen, dass das Allgäu immer höhere Rekordzahlen bei Übernachtungszahlen verzeichnet. Negative Folgen davon sind "Overtourism" und verstopfte Verkehrswege. Wir laufen Gefahr, die natürliche Schönheit unserer Region durch Projekte wie die Grünten BergWelt zu zerstören, wodurch die Attraktivität des Allgäus  für Urlauber deutlich sinken wird. Der Bewusstseinswandel vieler Menschen muss genutzt werden, um einen sanften Tourismus zu fördern, der allerdings diebereits zuvor erwähnte Verkehrswende dringend benötigt. Auch die Gemeinden rund um den Grünten verzeichnen trotz Schließung des Winterbetriebs in den letzten Jahren stetig steigende Besucherzahlen. Dies zeigt deutlich, dass eine BergWelt nicht benötigt wird und Berge ohne Eventstrukturen die Zukunft darstellen. Über 65.000 Unterschriften der FridaysforFuture-Petition sprechen eine deutliche Sprache!
Mehr Infos unter www.rettet-den-gruenten.de

Die Fotos der Aktion - Menschenkette „Rote Linie" am Grünten wurden uns freundlicherweise von T. Bäuerle zur Verfügung gestellt.