Kemptener Gastronomen zeigen ihre Not

„Leere Stühle" auch in Kempten

Kempten…Im gegenwärtigen Shutdown, der zur Eindämmung der Corona-Pandemie von der Politik beschlossen wurde, geht es für die Gastronomen um die nackte Existenz. Sie waren die ersten, die im Angesicht von Ausgangssperren und Kontaktverboten ihre gastronomischen Betriebe für Publikumsverkehr schliessen mussten und werden vermutlich die Letzten sein, die ihre Betriebe wieder aufsprerren dürfen. Unlängst wurden die Ausgangsbeschränkungen bis zum 14. Mai verlängert, ein genaues Datum, wann die Gastronomie wieder Gäste bewirten darf, gibt es de facto nicht.

Es tut sich was

Der Unmut wächst und die Branche verabredet sich zu Protestaktionen. Bundesweit aufmerksam gemacht, wurde auf die prekäre Situation der Betroffenen durch die Aktion „#LeereStühle". Am 27. April versammelten sich in Dresden Gastronomen, Hoteliers, Veranstalter und Dienstleister, um auf ihre Notsituation aufmerksam zu machen. Rund 1.000 Stühle wurden auf dem Neumarkt in Dresden aufgestellt und die Presse über die Forderungen der Branche informiert. Am vergangenen Wochende gab es u.a. ähnliche Aktionen in München, Augsburg und Ulm. Nun verabredeten sich über 70 Kemptener Gastronomen, Hoteliers und Dienstleister auf dem Rathausplatz, stellten in einem abgegrenzten Bereich 250 Stühle auf und verharrten vor Ort für rund eine Stunde lang zum stillen Protest. Mehr war seitens des Ordnungsamtes Kempten nicht genehmigt worden und Polizeistreifen sorgten dafür, dass sich ausserhalb des abgesteckten Bereichs keine Gruppen von Schaulustigen bildeten. Der unter der Regie des Bayerischen Hotel- und Gastättenverbandes organisierte Protest der Bertoffenen blieb ruhig und die eingeladenen Pressevertreter wurden über die prekäre Lage der Branche in Einzelgesprächen informiert. Zur Protestaktion erschienen neben vielen bekannten Gesichtern der lokalen Gastronomie und Hotellerie, u.a. auch der bekannte Starkoch Christian Henze und der Geschäftsführer der Familienbrauerei Meckatzer Löwenbräu KG Michael Weiß. Auch die Brauereien leiden unter Umsatzrückgängen, seit der Gerstensaft nicht mehr über den Tresen ausgeschenkt, sondern lediglich über den Einzelhandel verkauft werden darf.



Scheinlösungen

Mit dem Aufstellen leerer Stühle aus Restaurantbetrieben, Hotels, Bars und Cafés wollte die Kreisstelle des Bayerischen Hotel- und Geststättenverbandes mit seinen Mitgliedern ein Zeichen für die Branche setzen. Über 70 Gastronomen stellten rund 250 leere Stühle auf, um ihre Existensängste bildlich darzustellen. Nach 6 Wochen erzwungener Schließung droht nun die erste Pleitewelle. Diese wird sich nach Einschätzung vom Vorstand der Kreisstelle Kempten des BHG Michael Heel: „…noch erheblich ausdehnen, wenn weitere 4-6 Wochen die Betriebe nicht öffnen dürfen." Wie alle Betroffenen der Branche fragt Michael Heel die verantwortlichen Politiker: „Wer kann 3 Monate ohne Einnahmen überleben?" Als Hohn empfindet die Branche, dass den unverschuldet in Not geratenen Betrieben Darlehen angeboten werden, bei denen die Begünstigten nicht wissen, wie sie diese angesichts ihrer prekären Situation je zurückbezahlen werden können. Michael Heel kennt die angespannte Finanzlage vieler Branchenkollegen und sagt: „Selbst in guten Zeiten erwirtschaften Gastronomen nicht solche Rücklagen, die über eine derartig langanhaltende Krisenzeit hinweghelfen." Michael Heel und seine Kollegen fordern deshalb einen konkreten Fahrplan mit festen Öffnungsterminen, um überhaupt planen zu können. Selbstverständlich akzeptiere die Branche, dass beim Restart der Branche der Fokus auf der Gesundheit der Gäste und Mitarbeiter liegen muss. „Dies kann mit dem Infektionsschutzgesetz gut umgesetzt werden, in diesem Bereich sind wir Profis.", so der Vorstand der Kreisstelle des BHG Michael Heel. Übermäßigen Bürokratismus aber wünsche er sich hierbei nicht.

Luft zum Atmen

Eine besondere Forderung wird auch bei der Kundgebung der Gastronomievertreter Kemptens deutlich. Die Branche wünscht sich dauerhaft bei Speisen eine Senkung des MwSt-Satz auf 7%. Das würde Spielraum schaffen für Investionen und Rücklagen. Mit der nun in Kraft getretenen Zwischenlösung der Politik ist man nur bedingt glücklich. „Was bringt die Senkung auf 7%, wenn heuer wesentlich weniger Umsätze generiert werden und die Absenkung im nächsten Jahr bereits ab dem Juni obsolet wird?", fragt sich nicht nur Michael Heel. Die Branche fordert eine Dauerlösung, respektive eine unbefristete Absenkung. Zudem fordern die Gastronomen für ihre Mitarbeiter einer rückwirkende Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, da die derzeitige Regelung ganze Familien in die Armut abrutschen lässt. Da die Soforthilfen des Staates wohl leider nichts mehr sein werden, als der Tropfen auf den heißen Stein, plädieren die Wirte für einen Rettungsfonds für das gesamte Gewerbe. Alle Betroffenen sind realistisch genug zu wissen, dass die Prognosen düster sind. Trotzdem kämpfen alle vereint für ein größtmögliches Herüberretten von Teilen der bewährten Normaltät in die von Politikern und Journalisten in Talkrunden heraufbeschworene „Neue Normalität", die beängstigend an den „Neusprech" aus George Orwells dystopischen Roman „1984" erinnert.