Kino in Corona-Zeiten: Droht den Kinos bald ein Massensterben?

Licht an – Film aus

Zu 20 Prozent gefüllte Säle, fehlende Einnahmen mit fortlaufenden Kosten und ein stockender Filmnachschub. Es gibt viele Probleme, mit welchen Kinobetreiber derzeit zu kämpfen haben. Die Corona-Krise stellt nicht nur eine extreme finanzielle Belastung dar. Das Kino, wie wir es alle kennen, könnte sich gewiss nachhaltig verändern und für viele Betreiber langfristig sogar das endgültige Aus bedeuten. Doch nicht nur die Filmtheater sind von der Pandemie betroffen, auch der Filmmarkt wurde kräftig durcheinandergewirbelt.

Anfang April sollte ursprünglich der 25. Agententhriller „Keine Zeit zu sterben“ aus der beliebten James-Bond-Filmreihe international in die Kinos kommen. Aufgrund massiver Besucherzahlenrückgänge und der darauffolgenden Schließung der Filmtheater musste der Starttermin jedoch mehrfach nach hinten verschoben werden und nun soll der Film  laut aktuellem Stand im November dieses Jahres in die deutschen Kinos kommen. 

Drastische Einbußen bringen Existenznöte

Da die erste Jahreshälfte für Kinobetreiber sowie Filmstudios oftmals die umsatzstärkste Zeit darstellt, ist der Ausbruch der Corona-Pandemie mit einer Existenzbedrohung verbunden. Große Konzerne mit hohem Marktanteil wie beispielsweise Disney und Universal haben in dieser Krise zwar eine höhere Chance zu überleben, müssen aber dennoch massive Verluste einkalkulieren. Deutlich bedenklicher wird es aber für kleinere Studios, die bereits seit Jahren mit einem geringen Umsatz zu kämpfen haben. Laufende Kosten, die nicht mehr gedeckt werden können und mit Kurzarbeit oder sogar Entlassung der Mitarbeiter einhergehen, sind nur wenige Beispiele der massiven Auswirkungen. Auch die Zukunft der Filmtheater ist alles andere als sicher, da durch den Mindestabstand die reguläre Zuschauerkapazität der Säle nicht genutzt werden kann.

Hollywood im Ausnahmezustand

Zusätzlich konnten geplante Filme angesichts der anhaltenden Pandemie nicht gedreht werden. Manche Produzenten sind aufgrund der aktuellen Lage noch immer die Hände gebunden. Erst nach und nach können die Crews der Filmstudios wieder damit anfangen, die Produktion aufzunehmen, was lediglich auch nur unter strengen Maßnahmen möglich ist. Während solche Verzögerungen bei den Stars kaum eine finanzielle Belastung darstellt, ist eine derartige Situation für die Personen hinter der Kamera deutlich problematischer: Die Bezahlung einer Film-Crew orientiert sich immer an der jeweiligen Auftragslage, eine Festanstellung gibt es meistens nicht. Zudem muss für die Produktion von Filmen immer ein Studio angemietet werden, in welchem die unterschiedlichsten Sets entstehen sollen.

Auch die Starttermine der Filme, die eigentlich lange im Voraus festgelegt werden, sind davon betroffen. Würde nach Eröffnung der Kinos im Wochentakt ein neuer Blockbuster anlaufen, wäre der Gewinn in Hinsicht auf die große Konkurrenz schlichtweg zu gering. Dass international nicht alle Filmtheater gleichzeitig öffnen, ist ein weiterer Grund, den Starttermin der Filme zu verschieben. Ziel ist es nämlich, Blockbuster stets gleichzeitig auf dem ganzen Globus in die Kinos zu bringen. Dank des Internets wird hierbei international über den Film diskutiert und die Reichweite dadurch noch vergrößert – ein Kassenschlager entsteht. 

Auch mussten die Filmstudios auf die Corona-Pandemie reagieren und die Starttermine ihrer Neuerscheinungen verschieben. So zum Beispiel auch „Wonder Woman: 1984“, der ursprünglich Anfang Juni in die Kinos kommen sollte und laut aktuellem Stand am 1. Oktober bei uns anlaufen soll. Blockbuster wie „Fast & Furious 9“ „Top Gun Maverick“ und „A Quiet Place 2“ wurden aufgrund der noch immer geschlossenen US-Kinos sogar auf 2021 verschoben. 

Sind Streaming-Dienste die Krisengewinner?

Um den Verlust aufzufangen, gehen Studios wie etwa Walt Disney, deren Verlust von April bis Ende Juni 4,7 Milliarden Dollar betrug, jetzt sogar ungewöhnliche Wege: Sie veröffentlichen ihren 200 Millionen Dollar teure Realverfilmung „Mulan“ in den meisten Ländern auf der eigenen Streaming-Plattform Disney+ für knapp 30 Dollar. So sollen die Fans, wenn schon nicht im Kino, zumindest auf den heimischen Bildschirmen erreicht werden. Ob pure Verzweiflung oder brillanter Schachzug, wenn dieser Test der Distributionsmöglichkeit finanziell erfolgreich verlaufen sollte, wird die Filmabteilung des Mäuse-Konzerns ihren weiteren Kurs bezüglich Filmveröffentlichungen zu ihren eigenen Gunsten möglicherweise überdenken. Auch das Filmstudio Universal hatte während des Shutdowns ihren fürs Kino geplanten Film „Trolls World Tour“ für 20 Dollar zum Streamen zur Verfügung gestellt. Mit einem Einspielergebnis von rund 100 Millionen Dollar in nur drei Wochen lief dieser Test sichtlich erfolgreich. So erfolgreich, dass das Filmstudio und die Kinokette AMC, zu welcher die UCI-Kinos hierzulande gehören, ein revolutionäres Abkommen beschlossen haben. So dürfen in den USA Filme aus dem Hause Universal bereits 17 Tage – statt den üblichen vier Monaten – nach Kinostart im Premium-Angebot online gelistet und für einen Betrag von umgerechnet rund 15 bis 20 Euro als Stream angeboten werden. Details für Europa sollen nach Stand August in den kommenden Wochen bekanntgegeben werden.

Bereits vor der Corona-Krise stand die Kinobranche aufgrund des Hypes um Streaming-Dienste wie etwa Netflix und Sky unter Druck. Doch gerade in der aktuellen Krisenzeit erlebten Streaming-Anbieter einen ungeahnten Boom, mit rasant steigenden Nutzerzahlen auf allen Plattformen hinweg.

Kreativität ist gefragt

Aufgrund der aktuellen Geschehnissen erlebten demgegenüber Autokinos ein ungeahntes Revival. Während für wahre Kinoliebhaber in den vergangenen Jahren vor allem der Retro-Charme und die deutlich größere Leinwand die Hauptgründe für einen Besuch im Autokino waren, eröffneten sich jetzt völlig neue Vorteile. Strenge Hygienevorschriften konnten zur Freude der Veranstalter und deren Kinobetreiber optimal eingehalten werden. Auch im Hochsommer und sogar bis in den Herbst setzen einige Organisatoren in Zusammenarbeit mit den Kinos auf das Konzept der Freiluftkinos – und das mit vollem Erfolg. 

Ob sich die Art des Streaming-Filmgenusses aber letztlich auch für neue Blockbuster tatsächlich durchsetzen und das Erlebnis eines Kinobesuchs verdrängen kann, bleibt abzuwarten. Denn das Gefühl ist trotz neuester Technologien für richtige Filmfans einfach nicht dasselbe. Derartig kreative Ansätze wie etwa Auto- und Freiluftkinos könnten Filmtheaterbetreiber nicht nur antreiben, das Kino – wie wir es alle kennen und lieben – zu erhalten. 

Özhan Ay, Theaterleiter des CinemaxX Augsburg

„Gemeinsam mit unserem Mutterunternehmen Vue International haben wir ein Sicherheits- und Hygienekonzept entwickelt. Mit unseren Multiplexkinos verfügen wir über großzügige Foyers und Säle, die nun mit Leitsystemen und Abstandmarkierungen ausgestattet sind. Die Saalauslastungen wurden reduziert und Plätze sind geblockt, für den geforderten Abstand. Auch technisch sind wir mit E-Tickets und kontaktlosen Bezahlmethoden bestens aufgestellt. 

Die Besucher mit den Maßnahmen vertraut zu machen, ist für uns essenziell. Wir informieren über unsere Website, soziale Medien und natürlich auch vor Ort mit umfassender Beschilderung. Während der langen Wochen der Isolation hat sich bei den Menschen ein enormes Vergnügungs-Bedürfnis aufgestaut. Sie haben die Kinoatmosphäre, die große Leinwand, die gemeinsame Unternehmung und natürlich auch das Popcorn vermisst. 

Wichtig ist vor allem auch, dass alle Filmstudios an ihren großen Projekten festgehalten haben und die Produktionen lediglich unterbrechen mussten. Wir liegen mit unseren Besucherzahlen über unseren Erwartungen. Wir konzentrieren uns als Unternehmen auf das, was wir beeinflussen können. Unser Blick geht ausschließlich nach vorn“.


Carolin Schlaudecker, Theaterleiterin CineStar Augsburg

„Nachdem die CineStar-Gruppe ihr Hygienekonzept und die Abstandsregelungen zunächst in drei Häusern getestet hatte, um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten, haben sie dieses Konzept jetzt unter Berücksichtigung der individuellen Vorgaben der Bundesländer sukzessive auch an ihren anderen Standorten ausgerollt.

Damit sich Gäste und Mitarbeiter im Kino absolut wohl und sicher fühlen können, sieht der Kinobesuch bei CineStar zahlreiche Sicherheits- und Hygienemaßnahmen vor. So sind Tickets und Popcorn-Menüs vorzugsweise online zu kaufen, ein Mindestabstand von 1,5 Metern bei Platzvergabe wird im Buchungssystem berücksichtigt, Vorstellungen starten zeitlich versetzt, Foyer und die Sanitäranlagen wurden mit einem Abstands- und Wegeleitsystem versehen, Erhöhung der Reinigungsintervalle der Sanitäranlagen wurde erhöht und die Ticketkontrolle erfolgt kontaktlos.

Die Gewährleistung sämtlicher Sicherheits- und Hygienemaßnahmen hat für uns selbstverständlich oberste Priorität. Auch wenn es organisatorisch und wirtschaftlich durchaus eine Herausforderung ist, die Auflagen umzusetzen, sind wir erleichtert, dass wir unseren Gästen trotzdem ein vielseitiges Programm mit tollen Filmen zeigen können“. 



Sebastian Kremer, Leiter Öffentlichkeitsarbeit des Filmpalast Kaufering

„Die Schließung hat uns und alle anderen Kinobetreiber natürlich kalt erwischt. Unsere Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt, bzw. die Aushilfskräfte freigestellt. Wir arbeiten momentan mit Abstand, möglichst wenig Kontakt und viel Desinfektion. Unsere Kinos unterliegt der Versammlungsstättenverordnungen, weshalb wir besonders strenge Auflagen an Klima und Lüftungsanlagen haben. Der Schutz unserer Gäste liegt natürlich an oberster Stelle. So wurden u.a. unsere Kassen mit Plexiglas-Trennwänden ausgestattet. 

Extrem wichtig wäre für uns, dass der Mindestabstand von aktuell 1,5m verringert wird, um eine wirtschaftlich sinnvolle Auslastung zu ermöglichen. Aktuell steht die Kinobranche vor einem Minus, welches durch pandemiebedingte Zusatzkosten, dem langen Ausfall und der unterdurchschnittlichen Besucherzahl schnell auf 250 Millionen Euro zusteuern kann. 

Ich sehe die Herausforderung darin, mit der unterschiedlichen Vorgehensweise auf Landesebene umzugehen. Wichtig wäre eine einheitliche Regelung, welche spezifische Gegebenheiten der Kinos berücksichtigt. Eine solche einheitliche Linie gäbe den Kinos die dringend benötigte Planungssicherheit. Solange es diese Regelung nicht gibt, wird das Geschäft sich nur langsam wieder entwickeln können“.


Familie Rusch, Inhaber Cineplex Kinos in der Region 

„Aktuell ist unsere große PopUp-Leinwand noch bis zum 06.09. auf der schönen Liegewiese im Gartenhallenbad Stadtbergen beim Freiluftkino im Einsatz, wo wir deutlich mehr Kapazität haben, als Indoor. Wir haben für alle Standorte ein umfangreiches Hygiene- und Lüftungskonzept entwickelt. In diesem Rahmen wurde unsere Ticketsoftware so programmiert, dass zwischen den gebuchten Plätzen automatisch 3 freie Plätze und zusätzlich jede 2. Reihe komplett frei bleiben. Im Foyer wurden Einbahnstraßen definiert und unsere Lüftungsanlagen sind auf 100% Frischluft programmiert und tauschen die Luft regelmäßig aus. 

Durch die aktuell geltenden Mindestabstände, waren wir gezwungen unsere Sitzplatzkapazität auf ca. ein Viertel zu reduzieren. Ein Saal mit 200 Plätzen ist dadurch oft schon mit 40-50 Gästen ausverkauft, die Kosten bleiben jedoch fast unverändert. Unter diesen Umständen kann man langfristig nicht wirtschaftlich arbeiten. 

Viele Kinobetreiber stehen vor großen wirtschaftlichen Problemen und mussten bereits sehr viele Rücklagen aufbrauchen, die eigentlich für Investitionen in die Kinos gedacht waren. Auch wir haben bereits geplante kostenintensive Umbaumaßnahmen noch einmal verschoben und bis auf Weiteres zurückgestellt.“

Roman Sailer, Kinobetreiber des Dietrich Theaters Neu-Ulm

„Durch die behördliche Schließung bedingt mussten wir ab März die meisten unserer Mitarbeiter in (anteilige) Kurzarbeit schicken. Um weiter Kino anbieten zu können hatten wir zuerst das Autokino Ulm und anschließend das Beachclub & Open Air Kino auf dem Volksfestplatz Ulm in Betrieb genommen. Neben unseren Kunden und Stammkunden hat das auch unsere Mitarbeiter sehr gefreut, da sie wenigsten wieder teilweise aus der Kurzarbeit zurückkommen konnten.

An den Kinokassen und Theken mussten Spuckschutzscheiben installiert werden, außerdem haben wir weitere Desinfektionsspender installiert. Alle Mitarbeiter sind außerdem auf unser umfassendes Schutz- und Hygienekonzept geschult worden. Die größten Veränderungen sind die aktuell vorgeschriebene Besucherdatenerfassung an der Kinokasse und die Sitzplatzbuchung. Im gesamten Kino gilt die Maskenpflicht, jedoch darf diese am Sitzplatz abgenommen werden. 

Die verschobenen Filme sind für die Kinos das größere Problem. Mittlerweile ist es aber dringend nötig das nicht nur die Kinos ihre Verantwortung für das Kultur- und Freizeitangebot in Deutschland wahrnehmen, sondern auch die Filmverleiher. Ohne dass die Filmverleiher jetzt ihre Verantwortung wahrnehmen und es politisch weitere Hilfen für Kinos gibt, wird es in Deutschland ein Kinosterben geben.

In Frankreich haben Politik, öffentlich-rechtliche Medienanstalten, Filmverleiher und Kinos gemeinsam einen erfolgreichen Restart hingelegt. So dass auch neue Filme wirtschaftlich ins Kino gebracht werden können“.