Kolumne "See Mannsgarn" Möchten wir es wissen?

Schönwörterey

Moin ihr Rabauken, Leinen los zu „Seemannsgarn“ – Vol. 2!

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Bo van Dyck (Mama, Schriftstellerin, SlowLife-Coach)Bild: Bo van Dyck
Aktuell sitze ich um kurz vor 22 Uhr an meinem Schreibtisch (ja, ich habe einen, aber der ist normalerweise mit diversen Utensilien versehen, die das Arbeiten leicht erschweren: die Kindergarten-Geburtstags-Urkunde meines Sohnes aus dem Jahr 2022 in DINA 5 Format, Zopfgummis meiner Tochter, ein zerknüllter Zettel mit drei bunten Strichen drauf und drei weitere Mappen in DINA 5 Format. Was sich darin befindet weiß ich allerdings nicht. Zudem steht mein Schreibtisch mangels Platz in unserem Schlafzimmer. Irgendwo stirbt jetzt höchst wahrscheinlich ein Feng Shui Berater. Normalerweise arbeite ich eh in der Küche. Und noch einer. Worauf ich aber eigentlich hinaus möchte: Ich erwähnte, dass der Schriftsteller Henry David Thoreau 1845 der Meinung war, es würde zu schnell gelebt. Und dass er sich eine einfache Hütte an einem Waldsee baute und dort für zwei Jahre lebte, um die Kunst der Einfachheit und Ursprünglichkeit zu erfahren. Viele von uns sehnen sich in unserem mittlerweile undenkbar zügigen und digitalen Alltag nach dieser natürlichen Schlichtheit. Nur was passiert, wenn wir sie bekommen? Wir kommen mit all dem ruhelosem Gepäck in dieser sagenumwobenen Hütte an und dann? Was passiert mit uns, wenn wir all unsere Rollen, die wir in all den Jahren perfektioniert haben ablegen, um den Wesenskern von uns zu finden? Was passiert, wenn uns all die Aufgaben, die uns Sicherheit, Struktur und Rhythmus geben, genommen werden? Ich persönlich habe zunächst gepflegt und mit aller Inbrunst hyperventiliert. Die Frage ist die: Möchten wir das überhaupt? Möchten wir wissen, was wir aus tiefsten Herzen wollen? Beantworten wir diese Frage mit einem saftigen Ja, dann werden wir unsere Antworten bekommen. Ich habe mir vor zwei Jahren besagte Frage gestellt. Und Ja gesagt. Seitdem arbeite ich an und mit mir und habe den Anker gelichtet. Ich setzte die Segel und darf auch mal dahin treiben, wo ich eigentlich nichts zu suchen habe. Aber auch das ist etwas, was dazu gehört: Sich zu verlieren und neu zu orientieren ist Teil eines Lebens in Balance und Glückseligkeit. Wir wissen erst, was Wärme ist und wie gut sie sich anfühlt, wenn wir auch Kälte gespürt haben. Und: wir dürfen uns mal so richtig in Selbstmitleid suhlen und uns übelst matschig machen. Und dann ist es wieder gut - abputzen, Brust raus und gestärkt durch die Krise wie der Phönix aus der Asche.

Geht ihr an Bord?

Den Kurs bestimmt ihr selbst. Ich lebe seit meiner Entscheidung, den Kern meines neckischen Wesens herauszufinden weder in einer Waldhütte noch in einer Höhle in den südamerikanischen Anden. Ich lebe in unserem Einfamilienhaus. Mit schmutzigem Geschirr, Wäschebergen und einer Wildblumenwiese statt englischem Rasen. Die ganze Arbeit passiert in meinem Kopf. Darin bin ich der Kapitän. Niemand sonst. Ich bestimme. Ich gebe die Kommandos. Mit episch untermalten Trompetenchören kann ich berichten: Es ist großartig.

Nehmt das Steuerrad in die Hand. Es ist nur für Euch gemacht.  

Ahoi.

In unbändiger Zuversicht,
Bo