Modebranche räumt mit Winterware auf
Warum Millionen Kleidungsstücke nun doch gespendet werden
Pullis, Jacken, Mützen, Boots und Stiefel: Die Lager des Modehandels sind mit liegen gebliebener Winterware überfüllter denn je. Gleichzeitig ist die Frühjahrs- und Sommerkollektion 2021 bei den meisten inzwischen eingetroffen – doch wohin mit der Ware aus der Vorsaison? Nun reagierte Finanzminister Scholz auf die Forderungen und erleichterte es Modegeschäften, ihre Waren zu spenden.
Kein Bedarf an Wintermode
Laut Schätzungen des Textilverbandes stapeln sich derzeit unzählige Kleidungsstücke und Schuhe in den deutschen Lagern. Bekannte Ketten wie H&M bekommen teilweise wöchentlich neue Ware, die sich so immer weiter ansammelt. Schätzungen der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) zufolge haben sich im stationären Handel bereits bis Ende Januar 2021 alleine in Deutschland etwa 500 Millionen unverkaufte Modeartikel angehäuft. Zwar dürfen die Geschäfte mittlerweile (Stand: März 2021) je nach örtlicher 7-Tages-Inzidenz komplett oder zumindest mit vorheriger Terminvergabe öffnen, doch die hier erzielten Umsätze und Verkäufe wiegen den monatelangen Stillstand nicht auf. Auch der an sich boomende Onlinehandel kann die Ladenschließungen nicht kompensieren. Ein weiterer Grund für das Überangebot: Die Produktionszeit in Asien beträgt für gewöhnlich mehrere Monate. Das bedeutet, dass die Marken eigentlich auf einen kurzen Zeithorizont kaum reagieren können.Als Folge daraus gibt es Warenüberschüsse in einem nie gekannten Ausmaß. Hinzu kommt, dass der Winter nun endgültig vorbei ist: Kunden werden kaum mehr nach warmen Winterjacken oder gefütterten Boots suchen – Shirts, Kleider und Co. sind jetzt gefragt. Die Garderobe muss ja schließlich frühlingstauglich gemacht werden. Bei manchen Kunden sinkt durch Homeoffice und Co. auch das Bedürfnis nach neuer Kleidung, weggefallene Events tun ihr Übriges.
Kurios: Spenden ist teurer als entsorgen
Da die Liquidität der Modebranche aufgrund der Corona-Krise derart angeschlagen ist, blieb daher nur eine Möglichkeit: Die Kleidung musste entsorgt werden. Bisher war es wesentlich billiger, überschüssige Textilien zu vernichten, als diese zu spenden. Auf eine Sachspende werden noramlerweise nämlich 19 Prozent Umsatzsteuer erhoben – für den Modehandel wäre eine Spende demnach ein Draufzahlgeschäft gewesen. Wird beispielsweise eine Tonne Pullis verbrannt, so belaufen sich die Kosten auf etwa 100 Euro. Würde diese Menge jedoch gespendet werden, müsste mit deutlich höheren Beträgen kalkuliert werden, selbst wenn von einem äußerst niedrigen Warenpreis ausgegangen wird.Bei einer Jeans zum Verkaufspreis von 50 Euro vielen bei einer Spende bisher für das Unternehmen Kosten von mehr als vier Euro an. Wurde die Neuware jedoch entsorgt, lagen laut einer Umfrage der Universität Bamberg die Entsorgungskosten bei weniger als einem Euro pro Stück.
Umweltorganisation ist besorgt
Vor allem Greenpeace zeigte sich deshalb mehr als alarmiert: Schließlich hätten bekannte Labels auch in der Vergangenheit schon damit Schlagzeilen gemacht, unverkaufte Kleidung einfach zu verbrennen. Im besten Fall wurden die Stücke bisher geschreddert, was immerhin noch eine „stoffliche Verwertung“ ermögliche. Das Entsorgen neuer Ware war schon lange vor Corona ein heftig diskutiertes Thema: Jährlich sind es bis zu 230 Millionen Textilien, die schlussendlich vernichtet werden müssen.Finanzminister Olaf Scholz reagiert auf Forderungen
Die Grünen nahmen darufhin insbesondere Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ins Visier und forderten eine neue Verwaltungsanweisung im Rahmen des nächsten Corona-Steuerhilfegesetzes. Nun wurde der Entwurf der Finanzverwaltung für eine sogenannte Billigkeitsregelung zugelassen. Damit verzichtet die Bundesrepublik Deutschland auf die Umsatzsteuer auf Saisonware. Die Steuerbefreiung ist vorerst bis Ende 2021 vorgesehen – ähnliches existiert beispielsweise schon für den Lebensmitteleinzelhandel. So können Supermärkte und Discounter Sachspenden ohne Steuernachteil etwa an die Tafeln abgeben, bei denen Bedürftige unter anderem mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Mode gilt demnach also ab sofort ebenfalls als „verderbliche Ware“.|Text: Vera Mergle