Social freezing: Geburt nach Zeitplan

Baby auf Eis

Seitdem im Jahr 1900 Frauen in Deutschland studieren dürfen, verändert sich die fast schon antike Rolle der klassischen Hausfrau und Mutter zu der einer selbstbewussten und unabhängigen Akademikerin, die ihren Weg in der Unternehmenswelt zielgerichtet verfolgt. Frauen haben ihr enormes Potenzial entdeckt und sind gewillt, dieses auch einzusetzen. Nur eines stört sie dabei: Ihre biologische Uhr. So selbstverwirklichend diese Emanzipation auch sein mag: Der tiefe Wunsch nach einer Familie bleibt. Die moderne Frau steht nun vor einer neuen Aufgabe: Den Wunsch nach einem Kind und die verdiente Karriere zu vereinen. Wird das Ticken durch social freezing leiser?

Was ist social freezing?

Entwickelt wurde die Methode der frostigen Konservierung ursprünglich für junge, krebskranke Patientinnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen mussten. Da es durch die Bestrahlung zur Unfruchtbarkeit kommen kann, wurden die Eizellen vor der Strahlungstherapie schockgefroren, um somit die Chancen auf ein genetisch eigenes Kind für die betroffenen Frauen zu erhöhen. In flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius ruht die potenzielle Chance auf ein spätes Kind behutsam im Eisschrank. 

Der Begriff „social freezing“ wird dadurch geprägt, dass das Einfrieren der Zellen ohne medizinische Notwendigkeit einhergeht. Gesunde Frauen, die sich aktuell ihren Kinderwunsch nicht erfüllen können oder möchten, haben somit größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits eines Alters von ca. 35 Jahren. Bei vielen Damen steht der Gedanke „erst Karriere, dann Kind“ im Vordergrund.

Woher kommt der Trend?

Ein Land veranstaltet bereits ganze „social freezing parties“. Natürlich: Die USA.
Bereits seit 2012 gilt die Eizell-Konservierung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht mehr als eine experimentelle Behandlung. In Kreisen karrierebewusster Akademiker ist das eisige Verfahren heutzutage nichts Ungewöhnliches und findet gesellschaftliche Akzeptanz, die skurrile Ausmaße annimmt:  In New York sind „egg freezing parties“ nach dem Vorbild von Tupperpartys im Trend, bei denen sich Frauen mit Häppchen und einem Glas Sekt über die Vor- und Nachteile der Behandlung informieren können.  In Silicon Valley gibt es sogar eine Ärztin, die sich „egg whisperer“ - zu Deutsch: Eiflüsterin – nennt und in entspannter Atmosphäre Frauen davon überzeugen möchte, für sehr viel Geld ihre Eizellen einfrieren zu lassen. 

Silicon Valley scheint ein „egg freezing“ - Mekka zu sein. Spätestens seit im Oktober 2014 die dort ansässigen Unternehmensgiganten Apple und Facebook ankündigten, die Kosten der Behandlung und die Lagerung der gefrorenen Eizellen für ihre Mitarbeiterinnen zu übernehmen, erfreut sich social freezing in Amerika äußerster Beliebtheit.


Wann ist social freezing sinnvoll?

Gegenfrage: Kann etwas sinnvoll sein, das in die Arbeit von Mutter Natur eingreift? Frauen haben die unantastbare und wundervolle Fähigkeit, ein Kind in unsere Welt zu bringen. Und das funktioniert am besten, wenn sie jung, aktiv und voller Kraft sind – sprich: Zwischen 20 und 30 Jahren. Diese Zeitspanne hat sich die Natur nicht aus einer Laune heraus ausgedacht.  Für karrierebewusste Frauen wird diese natürliche Fristsetzung zum Spießrutenlauf. Der Druck, den Frauen in unserer heutigen Gesellschaft aushalten müssen, ist enorm. Sie sollen liebevolle Mutter, erfolgreiche Karrierefrau, entzückende Gattin und fleißige Hausfrau in einem sein. Und dabei so fabelhaft aussehen, als machen sie das alles vor dem ersten Kaffee.  Starke und unabhängige Frauen, die hart für ihre Kompetenz arbeiten, haben das Recht darauf, in ihrer Arbeit aufzublühen und sich selbst zu verwirklichen. Der Haken: Das Ticken. Bei einer Frau von 30 Jahren ist jede zweite bis dritte Eizelle befruchtungsfähig, während es bei einer 40-Jährigen nur noch jede fünfte bis sechste ist. Hinzu kommt die stark abnehmende Qualität der Eizelle ab dem 30. Lebensjahr. Je länger die Frauen warten, desto unwahrscheinlicher wird es, eine eigene, gesunde Familie zu gründen. 

Der reine Gedanke, den biologischen Druck von den Frauen zu nehmen, ist großartig! Nur die Umsetzung geht in die falsche Richtung. Anstatt die Familienplanung zu verschieben, sollte in Unternehmen an einer Vereinbarkeit von Karriere und Familie gearbeitet werden. Unternehmen sollten umdenken, sich neu strukturieren und die Arbeitsbedingungen attraktiver machen, damit karrierebewusste Frauen ihre Familienplanung nicht auf Eis legen müssen. 

Nichts ist ohne Risiko

Social freezing ist mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Für ein Masseneinfrieren von Eizellen und Vermarktungen auf Tupperparties ist diese Art der Konservierung nicht entwickelt worden. Es fehlt die langzeitige, wissenschaftliche Erforschung und niemand kann uns sagen, was es für Folgen für Kinder aus eingefrorenen Eizellen geben kann. Wir haben für Sie ein interessantes Beispiel dazu:

Die DES-Töchter

In den 1960er Jahren wurde Frauen Diethylstilbestrol, ein synthetischer Arzneistoff, verschrieben, um Fehlgeburten zu verhindern. Als die Töchter dieser Frauen in ein Alter kamen, in dem sie sich Kinder wünschten, hatten überdurchschnittlich viele mit Unfruchtbarkeit und seltenen Krebsarten zu kämpfen. „Manchmal dauert es eine Generation, bis man abschätzen kann, welche Auswirkungen Medikamente auf Nachkommen haben.“ Diese Erkenntnis stammt von Diane Tober, medizinische Anthropologin an der Universität San Francisco. Sie forscht zum Thema „social freezing“.

Die medizinischen Risiken für die Frau sind hingegen sehr gering. Allerdings muss sie sich vor der Entnahme der Eizellen einer Hormonbehandlung unterziehen. Früher kam es in seltenen Fällen zu Komplikationen bei dieser Behandlung oder der Entnahme der Eizellen, was heute aber in der Regel nicht mehr auftritt. Dennoch ist eine sichere Abschätzung der Risiken im Einzelfall nur nach einer intensiven Untersuchung eines Facharztes möglich.

Was ist zu beachten?

Die Eizellen mögen zwar die einer 25- Jährigen sein, aber der Körper der Frau ist der einer 45-Jährigen. Diabetes und Frühgeburten häufen sich, je älter eine Frau wird. Mutter Natur ist ein Phänomen und unfassbarer, als wir es je sein werden. Meinen Sie nicht, dass sich dieser ausgeklügelte Naturkomplex etwas dabei gedacht hat, der Fruchtbarkeit für Frauen ein Verfallsdatum zu geben? In der Natur hat alles einen Sinn.


Eine Rechnung, die nicht aufgeht:

Wird heute ein Mädchen geboren, wird es im Schnitt 83 Jahre alt, neugeborene Jungen 78 Jahre.
Wenn Frauen sich ohne medizinischen Grund dafür entscheiden, mit 45 Jahren Mutter zu werden (vorausgesetzt, die Befruchtung der eingefrorenen Eizellen klappt sofort!), dann ist ihr Kind bei ihrem Tod im ältesten Fall (!), laut Statistik, 38 Jahre alt. Diese Frauen werden nie ihre Enkel kennenlernen, wenn ihre eigenen Kinder genauso denken wie sie selbst. Und wir wissen: Omas und Opas sind die Besten!

Die Zeit kostet

Die Chance auf ein Kind im „gehobenen Alter“ ist teuer. Eine 35- bis 40-jährige Frau, die sich einmal hat Eizellen entnehmen lassen, bringt dennoch nur in 20 bis 30 Prozent der Fälle ein lebendes Kind zur Welt. Eine kostspielige Investition ohne Garantie auf Erfolg, denn social freezing ist keine Leistung der gesetzlichen und privaten Krankenkassen.
Die Firma „amedes“ in Hamburg kalkuliert je nach Medikamentenbedarf inklusive des Einfrierens und der Lagerung über sechs Monate ca. 3.500 – 4.000 Euro. Nach Ablauf der ersten sechs Monate kostet die Lagerung ca. 200 Euro für jedes weitere halbe Jahr.
Das Kinderwunschzentrum an der Oper in München liegt ähnlich bei rund 3.500 Euro inklusive Eizellentnahme und Medikamenten. Hier kommt die Eisschrankgebühr von 20 Euro pro Monat noch hinzu.

Wichtig: Dieses sind nur die Kosten für die Behandlung an sich und die Lagerung. Sollten Frauen nicht auf natürliche Weise schwanger werden und von ihrem eisigen Fruchtbarkeitsdepot Gebrauch machen, dann folgen weitere Kosten für die künstliche Befruchtung der eingefrorenen Eizellen.

Manche Experten halten Kosten von 5.000 Euro bis 10.000 Euro für das social freezing von 25 Eizellen für realistisch. Die genauen Behandlungskosten sind also stark abhängig von den individuellen Faktoren der einzelnen Frauen und der behandelnden Klinik.

Wie verbreitet ist social freezing in Deutschland?

Die Dienstleistung, die Zeiger der biologischen Uhr einzufrieren, um erst mit 40, 45 oder 50 Jahren Mutter zu werden, ist in Deutschland noch wenig verbreitet.
Nach dem Vorhaben von Apple und Facebook rollte zunächst eine Welle der Empörung durch unser Land. Politiker von links bis rechts brandmarkten das Angebot der US-Unternehmen als „unmoralisch“ und „frauenverachtend“. 

Laut Michael von Wolff, dem Gründer und Koordinator des wissenschaftlichen Netzwerkes „Fertiprotekt“, nutzten im Jahr 2014 in Deutschland 750 Frauen das Angebot, ihre Eizellen einzufrieren. Im Jahr 2013 waren es rund 300 Damen. Erstaunlich: Im Jahr 2012 waren „nur“ 22 Frauen bereit, ihre Option auf ein Kind zu vereisen. Das würde insgesamt eine Steigung von rund 3.400 Prozent  bedeuten. Im Januar 2015 wurde eine repräsentative Umfrage von Forsa veröffentlicht: 64 Prozent der 18- bis 30-Jährigen jungen Deutschen stehen dem „social freezing“ aufgeschlossen gegenüber.

Ein Blick in die Zukunft

„Im Jahr 2020 wird das, was Apple und Facebook jetzt machen, auch in Deutschland gang und gäbe sein“, prog-
nostiziert der Leipziger Zukunftsforscher Sven Gabor Janszky. Apple und Facebook gehören zu den prominentesten und erfolgreichsten Unternehmen der Welt und haben die Macht, neue Standards zu setzen. Wir leben länger und gesünder und das erleichtert eine späte Familiengründung. In den USA ist der Trend nicht mehr aufzuhalten und auch immer mehr Deutsche zeigen sich offener und interessierter denn je an der Chance, ihren Kinderwunsch auf unbestimmte Zeit zu verschieben. 

Natürlich ist der Drang nach der eigenen Selbstverwirklichung vollkommen nachvollziehbar. Auch der Gedanke, Frauen den Druck zu nehmen, alle Lebenssituationen auf einmal bewältigen zu müssen, ist fantastisch. Wir sollten allerdings überlegen, ob social freezing der richtige Weg in eine gesunde Zukunft ist oder ob wir nicht doch zu wenig Respekt vor den Dingen haben, denen wir untergeordnet sind. Nicht alles was möglich ist, ist auch richtig. 

|Text: Stefanie Steinbach