Tatort-Kritik: Mehr Drama als Krimi

Bremer Folge thematisiert die häusliche Pflege Angehöriger

Millionen Deutsche sitzen jeden Sonntagabend vor dem Fernseher oder sogar gemeinsam in Kneipen, um sich die neueste Tatort-Folge auf ARD anzusehen. Der heutige Fall „Im toten Winkel“ aus Bremen tauchte dabei in das heikle Themenfeld des deutschen Pflegesystems ein und erinnerte teilweise mehr an ein Drama als an einen klassischen Krimi - was jedoch keinen Nachteil darstellte.

Die Pflege eines dementen Angehörigen – für viele zählt das mittlerweile zum Alltag, wenngleich dies oftmals eine große Herausforderung und Belastung darstellt. Auch der Rentner Horst Claasen kümmerte sich um seine demenzkranke Frau, war allerdings damit sowohl in psychischer als auch in finanzieller Hinsicht nicht klargekommen.

Mord oder doppelter Suizid?

Es scheint, als hätte er seine Frau schließlich getötet, da er sich die häusliche Pflege nicht leisten konnte. Außerdem wollte auch er sich umbringen, scheitert allerdings an seinem Vorhaben, da er den erweiterten Suizid telefonisch meldet und rechtzeitig aufgefunden und zunächst gerettet wird. Gemeinsam mit dem Gutachter Carsten Kühne gewinnen die Bremer Ermittler Lürsen und Stedefreund im Anschluss einen Einblick in den Alltag von Pflegenden, die sich hingebungsvoll um die eigenen Angehörigen kümmern.

Unterschiedliche Ansichten der Kommissare

Dabei werden sie mit zahlreichen persönlichen Schicksalen sowie einer großen Ungerechtigkeit konfrontiert und gehen jeweils sehr unterschiedlich damit um: Während Stedefreund sich scheinbar kaum Gedanken um eine mögliche Zukunft als Pflegefall macht, möchte Lürsen später niemandem zur Last fallen und erwähnt vor ihrem Kollegen und Tochter Helen das sogenannte „sozialverträgliche Frühableben“, das sie als gute Lösung erachtet.

Erschreckende Einblicke in das System

Im Verlauf der Ermittlungen kommt es zu Begegnungen mit zwielichtigen Mitarbeitern, überforderten Angehörigen sowie mit der osteuropäischen Pflegemafia. Währenddessen bringt sich Rentner Claasen in der Klinik um, außerdem kommt zur Hälfte der Folge eine weitere Leiche hinzu: Der stets kühl wirkende Gutachter Kühne wird aufgefunden – er wurde erschlagen und ins Wasser geworfen. Es stellt sich heraus, dass er den unseriösen Pflegedienst für zusätzliche Provisionen an die Angehörigen weiterempfohlen hatte.

Vielzahl an tragischen Charakteren

Die Episode weist neben Claasen einige weitere Figuren auf, die mit der Pflege von Angehörigen zu kämpfen haben. So muss ein Mann namens Oliver Lessmann damit klarkommen, dass seine hilflose Frau seit einem Autounfall an eine Beatmungsmaschine angeschlossen ist, während er sich mit seinem Sohn sowie vor allem mit inkompetentem Personal und dem Gutachter herumschlagen muss. Akke Jansen hingegen bindet ihre schreiende Mutter letztendlich sogar fest, kurz zuvor hatte diese ausnahmsweise einen guten Tag gehabt und wurde deshalb von Kühne nicht für eine höhere Pflegestufe empfohlen. Beide scheinen demnach ein Motiv für den Mord am Gutachter zu haben, der außerdem kurz vor seiner Ermordung Streit mit der Chefin des fragwürdig agierenden Pflegedienstes gehabt hatte.

Ein Fall, der einem nahe geht

Erst ganz am Ende stellt sich heraus, wer der Mörder Kühnes war. Interessant am Fall sind zudem die Differenzen und die schlussendliche Unterhaltung zwischen Lürsen und Tochter Helen sowie natürlich das gesamte Thema der häuslichen Pflege, das den Zuschauer erschaudern und mitfühlen lässt. Durch die ruhigen Bilder und das spezielle Tabuthema wirkt die Episode mehr wie ein Drama, überzeugt dabei jedoch mit Vielschichtigkeit und Einzelschicksalen, die besonders berühren.

So geht es weiter

Nächste Woche geht es weiter mit den Kölner Kommissaren Ballauf und Schenk. In „Mitgehangen“ ermitteln die beiden in der Autotuning-Szene: Die Leiche eines Reifenhandel-Teilhabers wird im Kofferraum eines im Baggersee versenkten PKW gefunden – ein möglicher Verdächtiger ist dabei dessen Geschäftspartner.

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