Wie Allgäuer Parteien ihren Wahlkampf planen

«Der Klassiker soll bleiben»

Die Impfungen schreiten gut voran, die Teststrategie sorgt für mehr öffentliche Sicherheit und auch der nahende Sommer wird dem Corona-Virus zusetzen. Allerdings gibt es bisweilen keine Rückkehr in eine Normalität, wie wir sie von der Zeit vor der Corona-Pandemie kennen. So wird die Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung dieser auch den anstehenden Bundestagswahlkampf maßgeblich beeinflussen. Größere Veranstaltungen in Biergärten oder Festzelten werden nicht möglich sein, das Aufstellen von Wahlkampfständen wird stark von den regionalen Fallzahlen abhängig sein. Somit wird wohl heuer auch das bekannte von Angesicht zu Angesicht Gespräch mit dem Wähler weitaus weniger im öffentlichen Raum stattfinden können. Wir haben prominente Vertreter der politischen Parteien im Allgäu befragt, wie sie in den Wahlkampf ziehen werden. Wieviel Kontakt zum Wähler:in wird in Präsens, wieviel in Distanz möglich sein? Wieviel Tribut werden die Parteien schon jetzt an eine digitale Kommunikation der Zukunft zahlen wollen?

Ist Papier passé?

Anstoss zu dieser Nachfrage kurz vor Beginn des Wahlkampfgetöses war ein Antrag der Grünen-Stadträtin und 3. Bürgermeisterin der Stadt Kempten Erna-Kathrein Groll. Die monierte in ihrem Antrag an Oberbürgermeister Thomas Kiechle eine überbordende Plakatierung im öffentlichen Raum. Erna-Kathrein Groll schreibt u.a. in ihrer Begründung: „Jedes Wahljahr dasselbe Bild in den Kommunen: gefühlt jeder Lichtmast, jede Verkehrsinsel und jeder mögliche und unmögliche freie Platz ist mit Wahlwerbung zugepflastert. Nach der Wahl oder nach Unwetterereignissen finden sich zerstörte und zerfledderte Plakate an den Rändern der Straßen. Die Plastikbefestigungen an den Lichtmasten verbleiben dort oft monatelang."

Wie gut sind Parteien auf einen digitalen Wahlkampf vorbereitet?

2019 beschäftigte sich die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung im Nachgang zur Europa-Wahl mit der Reichweite von politischer Werbung in Social Media Kanälen. Auch wenn Fan- und Followerzahlen für sich allein genommen Erfolg und Reichweite politischer Werbung im Netz nicht belegen können, so wird doch deutlich, dass insbesondere die Volksparteien noch Aufholbedarf in punkto Facebook, Twitter und Co. haben. Eines lässt sich in Bezug auf politische Werbung im Netz sagen. Anders als weithin behauptet scheint nichts erfolgreicher im Netz zu sein als das Stilmittel der Satire. Martin Sonneborn von Die Partei, einstiger Herausgeber des Satire-Magazins Titanic, liess 2019 auf nahezu allen Social Media seine Konkurrenten weit zurück. Stimmentechnisch hat sich das allerdings nicht ausbezahlt.

Einige Zahlen: (Quelle: Analyse digitaler Wahlkampfstrategien, v. Ingrid Brodnig, Martin Fuchs, Lucas Hammer und Josef Holnburger, September 2019, Friedrich-Ebert-Stiftung )

Facebook-Zahlen der Kandidat:innen zur Europawahl:

- Martin Sonneborn, Die Partei 257.108 Fans
- Jörg Meuthen, AfD, 111.293 Fans
- Manfred Weber, CSU 59.114 Fans

Facebook-Fans der Parteien:

- AfD: 460.500
- Die Partei: 321.959
- Die Linke: 253.612
- CSU: 208.776

Twitter-Follower der Kandidat:innen:

- Martin Sonneborn, Die Partei: 194.022
- Katharina Barley, SPD: 49.645
- Jörg Meuthen, AfD: 42.644

Mechthilde Wittmann, CSU-Direktkandidatin Oberallgäu:

„Der Bundestagswahlkampf 2021 wird auch für alte Hasen eine neue Herausforderung - thematisch und technisch.
Im digitalen Bereich setzen wir auf Online- Sprechstunden, Webex-Meetings und das digitale Streaming von sehr klein gehaltenem Beisammensein vor Ort und im Freien. 
Und natürlich gibt es auch eine kleine Überraschung zur ausgefallenen Festwoche. Wir hoffen, dass durch Vorlage eines negativen Corona- Tests, Impfung und fallende Inzidenzen kleine Fachgespräche in Präsenz - möglicherweise im Freien - stattfinden können. Wahlkampfmaterial, wie Give-Aways und Informationen, müssen sich daran orientieren, wie sie risikolos gegeben werden können. Tatsächlich wird das Plakat aufgrund der mangelnden persönlichen Vorstellungsmöglichkeiten wieder mehr in den Fokus rücken. Dabei werden wir - wie in den vergangenen Wahlkämpfen - darauf achten, dass das Material aus recyceltem Papier ist und neue Varianten und Wege sind hier nicht ausgeschlossen. Corona zwingt uns zwar zur Distanz, dennoch ist oberstes Ziel, dass  alle Bürger und Bürgerinnen die Möglichkeit haben, mich mit ihren Fragen oder Anregungen zu erreichen, unabhängig von der technischen Ausstattung."

Katharina Schrader, Kreisvorsitzende SPD-Kempten:

„Die SPD und ihr Bundestagskandidat Martin Holderied können digital. Bereits jetzt finden digitale Wahlkampfveranstaltungen als Videokonferenzen statt, die bei Facebook und YouTube öffentlich gestreamt werden. Das Zukunftsgespräch mit SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz war die letzte große und erfolgreiche Online-Veranstaltung, der weitere folgen werden – aktuell zum Thema Sport/Sportvereine in Zeiten von Corona. Wahlkampf lebt aber auch vom persönlichen Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern, deshalb werden wir im Sommer bei kleineren Veranstaltungen, bei Infoständen und Stadt-/Ortsteilgesprächen vor Ort Corona-konform unterwegs sein. Wie und wo – darüber informieren wir dann rechtzeitig. Zum Wahlkampf gehören für uns nach wie vor Drucksachen, in dem Martin Holderied sich und seine Ziele für ein soziales, digitales und klimaneutrales Allgäu vorstellen wird."

Stephan Thomae, MdB, FDP-Direktkandidat Oberallgäu:

"Auch im Sommer scheinen Veranstaltungen mit vielen Teilnehmenden kaum vorstellbar, daher müssen die Parteien die Wähler auf anderem Wege erreichen. Bei unseren Wahlplakaten verwenden wir seit geraumer Zeit sogenannte Hohlkammerplakate aus Plastik, die recyclebar sind. Wir legen dabei großen Wert darauf, diese nach der Wahl ordnungsgemäß und ökologisch in den Verwertungskreislauf zurückzuführen. Sicherlich ist eine übertriebene Plakatflut wenig sinnvoll. Dennoch sollten ausreichend Möglichkeiten der Mobilisierung und Information der Wählerinnen und Wähler auch im öffentlichen Raum geboten werden. Bundestagswahlen sind nicht irgendeine Veranstaltung. Plakatierung bleibt das Instrument mit der größten Reichweite.

Selbstverständlich werden daneben auch die Instrumente des digitalen Wahlkampfs verwendet. Dieses Feld hat in den letzten Jahren immens an Bedeutung gewonnen und wird im anstehenden Bundestagswahlkampf auch einen wachsenden Teil des Wahlkampfbudgets binden. Damit sind sowohl digitale Veranstaltungsformate, als auch Veranstaltungsankündigungen auf den Sozialen Netzwerken beinhaltet. Die FDP wird via Facebook, Instagram, LinkedIn, Youtube und Twitter sichtbar sein. Sofern es das Infektionsgeschehen zulässt, verschließen wir uns auch nicht der Idee von Präsenz- oder Hybridveranstaltungen im Freien mit Schutzkonzept. Ob die üblichen Wahlkampfstände in der Innenstadt durchgeführt werden können, wissen wir noch nicht. Der diesjährige Wahlkampf wird sich in vielen Bereichen von den vorangegangenen unterscheiden, aber als FDP stellen wir uns dieser Herausforderung mit großer Freude und Enthusiasmus."

Erna-Kathrein Groll, Bündnis 90/Die Grünen, 3. Bürgermeisterin Stadt Kempten, Stadträtin Kempten

„Wer glaubt, dass politische Arbeit nur in Wahlkampfzeiten stattfindet, der liegt falsch. Punkten kann nur die Partei, die ihre Themen offensiv, transparent und mit breiter Beteiligung der Bürger*innen einbringt und umsetzt. An der Materialschlacht der vergangenen Jahre werden wir uns nicht beteiligen. Dennoch bietet uns die erhöhte Aufmerksamkeit in Wahlkampfzeiten die Möglichkeit, mit noch mehr Menschen ins Gespräch zu kommen.

Die Pandemie erfordert neue Formen der Kommunikation und vermehrt auch digitale Angebote. Dass wir Grüne das sehr gut können, haben wir mit unseren Delegiertenkonferenzen gezeigt, die professionell und erfolgreich digital stattgefunden haben. Getragen nicht zuletzt von den hohen Zustimmungswerten für Grüne Politik und Zukunftsthemen wie z.B. Klimaschutz, Soziales, Demokratie.

Wahlkampf bedeutet für uns auch Gesicht zeigen und präsent sein, kreativ und coronakonform. Zu unterschiedlichen Themen bieten wir auch weiterhin Arbeitsgruppen an, an denen sich Interessierte beteiligen können, um so direkt und unmittelbar politisch aktiv sein können. Mehr dazu auf der Homepage www.gruene-kempten.de und in den sozialen Medien."

Peter Felser, Stellvertr. Fraktionsvorsitzender AfD im DBT und Abgeordneter f. den Wahlkreis Oberallgäu

Wahlkampf heißt direkter Kontakt
Dem Wahlkampf kommt eine entscheidende Funktion in unserer Demokratie zu. Durch ihn stellen die Parteien ihre Politiker, ihr Problembewusstsein und ihre Lösungsansätze vor. Deshalb ist es umso entscheidender, dass alle Bürger der Gesellschaft den Wahlkampf mitverfolgen können.

Ohne Wahlkampf gibt es keine politische Meinungsbildung. Werden hier Menschen strukturell ausgeschlossen, verlieren die Politiker ihr Recht darauf, sich selbst als Vertreter des Volkes zu sehen. Die Stilllegung des öffentlichen Lebens durch die Corona-Maßnahmen bedroht also tiefgehend die Funktionsweise unserer Demokratie. Sicher, für vieles gibt es digitale Alternativen. Bürgergespräche, politische Debatten und soziale Medien. Doch viele, gerade ältere Menschen fällt der Zugriff auf die digitale Welt schwer. Wenn wir uns als überzeugte Demokraten sehen, dürfen wir diese Gesellschaftsschicht nicht alleine lassen. Unsere Partei setzt deshalb, wo sie nur kann, auf Wahlkampf in Präsenzform.

Von einem Politiker der physisch im Raum anwesend ist, können sich die Bürger ein viel besseres Bild machen. Digitale Medien können und dürfen den direkten Kontakt mit den Bürgern nicht ersetzen. Sonst riskiert man den Kontakt vom direkten Wahlvolk zu verlieren. Ehrliche Gespräche auf der Straße, von Angesicht zu Angesicht, so will die AfD Wahlkampf machen. Ein flimmernder Bildschirm kann sowas nicht ersetzten. Wahlkampf heißt direkter Kontakt. Zulange hat die Politik schon die Wünsche und Ängste unserer Bevölkerung vernachlässigt. Corona darf dafür keine Entschuldigung sein!