Zweiter Lockdown beschäftigt Politik und Betroffene in Kempten

Opfer eines „Aktionismus" seitens der Politik?

Corona bewegt die Menschen, auch in der Allgäu-Metropole Kempten. Gastronomen, Hoteliers, Künstler, Soloselbstständige und Betreiber von Kinos oder Theatern sind frustriert. Sie sehen sich vielfach als Opfer eines „Aktionismus" seitens der Politik, der am Ende nicht viel in punkto Eindämmung der Pandemie bringen wird. Zudem sind all die maßlos verärgert, die den Anforderungen aus der Politik Folge geleistet haben und in teure Hygienemaßnahmen investiert haben. In der Sache konnte nachgewiesen werden, dass diese sogar höchst effizient waren, denn nur 0,5% haben sich beispielhaft in der Gastronomie angesteckt.

· Brandbrief an Politiker

· Colosseum Kinocenter Popularklage abgelehnt

· CSU-Fraktion will Künstler*innen stärker helfen

· AfD beantragt Stadtratssitzungen auszusetzen

Was tun die Betroffenen? Familie Heel, die seit Generationen das bekannte „Hotel & Restaurant Waldhorn" führt, schrieb Mitte November einen Brief u.a. an Bundesminister Dr. Gerd Müller, den CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag und Kemptener Stadtrat Thomas Kreuzer, den stellv. FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Stephan Thomae, den Vizepräsidenten des Bayerischen Landtages und Freie Wähler Stadtrat Alexander Hold und den Bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, Freie Wähler. In ihrem Schreiben beklagt die Familie Heel, die den meisten Allgäuern durch „Heel's Alpe" auf der „Allgäuer Festwoche" bekannt ist, die Perspektivlosigkeit für die gesamte Branche. Durch die Zwangsschliessung wurde vielen die Grundlage ihrer Existens entzogen, so Familie Heel. Hier einige Auszüge aus dem Schreiben:

[…] Uns fehlt das Verständnis dafür, dass der Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz - das jedoch erst nach der zugesicherten Novemberhilfe greifen soll - zumindest bislang keine Entschädigungsansprüche berücksichtigt.

Im geplanten „Dritten Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ sollen zwar die Untersagung oder Beschränkung des Betriebs gastronomischer Einrichtungen sowie die Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungen im Falle einer Pandemie geregelt werden, Entschädigungen hierfür sind jedoch nicht vorgesehen.
Hier fehlt schlichtweg die gesetzliche Regelung des finanziellen Ausgleichs für Unternehmen, wenn ihnen staatlicherseits die Geschäftsgrundlage entzogen wird, was aus unserer Sicht verfassungswidrig ist. Wenn unsere Betriebe ohne eigenes Verschulden schließen müssen, um Dritte zu schützen, bedarf es hier eines Ausgleiches.
Es ist heute der 16.11.2020 und es gibt noch kein Antragsformular für die 75% Entschädigungsregelung. Bekannt sind bis hier hin nur die Beträge, welche dann irgendwann wieder zurückgezahlt werden müssen. Hier fühlt sich jeder mittelständische Unternehmer im Stich gelassen".

In einem Gespräch mit der Familie Heel machte diese deutlich, dass es nach aktuellem Kenntnisstand erst ab dem 25. November 2020 möglich sein wird, Anträge auf die in Aussicht gestelte 75%-Entschädigung auf Basis des Umsatz vom November 2019 zu stellen. Das entsprechende Formular umfasse 24 Seiten und habe seine Fallstricke: „Wer im November 2020 mehr als 20% Umsatz des Monats November 2019 mit u.a. Essen ToGo und Lieferservice gemacht hat, der geht wohl leer aus." Damit würde ein weitere „Bestrafung" derer erfolgen, die sich weiter bemüht haben, ihre gastronomischen Betriebe zu betreiben.

Colosseum Kinocenter Klage abgelehnt

Auch andere Betroffen wurden aktiv. So strengte die Familie Dietel-Sing, die in Kempten das Lichtspielhaus Colosseum Center mit Restaurant betreibt, eine Popularklage vor dem bayerischen Verfassungsgerichtshof an. Zwar wurde der Eilantrag mit der Entscheidung vom 17. Novmeber 2020 (Az.: Vf. 90-VII-20) abgelehnt, ans Aufgeben aber denkt Familie Dietel-Sing nicht, die sich im Recht sieht. Andrea Dietel-Sing: „Wir haben mit dieser Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gerechnet. Es hätte uns schon sehr gewundert, wenn der Bayerische Verfassungsgerichtshof anders entschieden hätte als das Bundesverfassungsgericht. Die Entscheidung müssen wir nun akzeptieren und auf die Politik hoffen. Wir werden den Lockdown sicherlich wirtschaftlich überleben, auch wenn ich die versprochenen „bis zu 75% des Novemberumsatzes“ immer noch für ein Märchen halte. Für die Kultur im Freistaat sind die Schließungen aber eine riesige Katastrophe. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik in absehbarer Zukunft einlenkt und wieder einen Freizeitbetrieb mit verschärftem Hygienekonzept zulässt.“ Pia Sing, designierte nachfolgerin von Andrea Dietel-Sing, zum Lockdown:„ […] Im Gegenteil befürchte ich, dass die Leute sichere Freizeitaktivitäten als eine Art Druckventil brauchen. Nimmt man Ihnen dieses, werden sie sich Alternativen suchen. Das jemand aber auf einer illegalen Corona-Party Abstände einhalten würde oder gar einen Mund-Nase-Bedeckung tragen, braucht man mir nicht zu erzählen.“

CSU-Fraktion will Künstler*innen stärker helfen

Derweil stellt die CSU-Fraktion in Person der beiden Stadträtinnen Sibylle Knott und Sylvia Schäfer im Kemptener Rathaus an Oberbürgermeister Thomas Kiechle einen Antrag, der insbesondere die von der Corona-Krise betroffenen Künstler besser stellen soll. So fordern die beiden CSU-Stadträtinnen, dass die coronabedingten Fördermaßnahmen auf 120.000 Euro, anstelle der eingestellten 75.000 Euro, aufgestockt werden sollen. Den finanziellen Mehraufwand möchte Sibylle Knott und Sylvia Schäfer mit Einsparungen beim nächsten Römerfest kompensieren. Sibylle Knott, Stadträtin, Mitglied des Aufsichtsrats der Theater GmbH: „Erfreulicherweise entwickeln sich die städtischen Finanzen trotzt Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen in vorsichtig guter Weise. Es ist jetzt besonders wichtig, dass wir uns auch um das geistige und emotionale Wohl der Menschen kümmern - das tun unsere Künstler und dafür wollen wir ihnen mit Hilfe der coronabedingten Fördermaßnahmen diese für sie schwere Zeit überbrücken. Wir regen an, den Betrag zu je 40.000,— EUR in Mietzuschüsse, institutionelle und Investitions-Förderung sowie insbesondere Veranstaltungs- und Projektförderung zu splitten.“

AfD beantragt Stadtratssitzungen auszusetzen

Einen ganz anderen Antrag an OB Thomas Kiechle stellt derweil die AfD-Fraktion. Die beantragte in Person von AfD-Stadtrat Christian Kaser, dass die regulären Stadtratssitzungen aufgrund der pandemischen Lage ausszusetzen sein oder online abgehalten werden sollen. Christian Kaser zur Begründung:

„Aufgrund der aktuellen Corona-Infektionszahlen und der damit einhergehenden stark steigenden Gefahr für die Stadtratsmitglieder beantrage ich die Aussetzung der regulären Stadtratssitzungen oder alternativ als online- meeting […] Ich selbst gehöre zur Risikogruppe, ebenso die Ratsmitglieder über 65 Jahren. Die 7-Tages-Inzidenz lt. LGL liegt für die Stadt Kempten bei 171 (Stand 18.11.2020). Es ist daher höchst verantwortungslos, die Sitzungen in der bisherigen Form weiter zu führen […] Auch steht zwar mit der „KultBox“ eine größere Räumlichkeit zur Verfügung, diese ist aber bei so vielen unterschiedlichen Haushalten und Personen auch nicht ausreichend, um eine Infektion sicher auszuschließen. Um zusätzliche Infektionsgefahren abzuwenden ist es auch erforderlich, die Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen. Um der Öffentlichkeit dennoch gerecht zu werden, ist es technisch bereits möglich, einen Livestream für die Sitzung anzubieten…"