Bauch über Herz: Kolumne über Familie und andere Abenteuer

Vom Warten und hohen Erwartungen

Vor allem die Schwangerschaft ist eine Zeit des Wartens. Sogar noch bevor diese richtig startet, geht es los mit dem Warten und dem Erwarten.

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Bild: TRENDYone
Hat es geklappt? Kann ich jetzt schon einen Test machen? Meine Tage sind ja noch gar nicht fällig... Nicht ohne Grund werden besagte Frühtests gerne im Doppelpack angeboten. Im Beipackzettel heißt es dann so schön: Schon eine leichte Linie ist als positiv zu werten, also das gleiche Drama, wie wir es auch von diversen Corona-Selbsttests kennen – Äh ist das jetzt ein Strich oder nur etwas Staub auf dem Test von vor drei Tagen? Aber eine ultraleichte Linie auf einem Ultrafrühtest ist dann immer noch kein sicheres „Ja oder Nein“, was die Nervosität nur noch ins Unermessliche steigert.

Ist das jetzt Morgenübelkeit oder war das ein Glas Rotwein zu viel gestern? Oh verdammt, das hätte ich dann ja gar nicht mehr gedurft – Panik!!
 
Erst ein Besuch beim Arzt bringt etwas mehr Klarheit, trotzdem wird in der Frühschwangerschaft dazu geraten, erst mal nicht jedem davon zu erzählen – Also wieder warten auf die 12 Woche und dann immer so weiter.

Also viel Zeit gefüllt mit Warten, Vorfreude und Erwartungen, die von unserem Umfeld nur noch geschürt werden. Gefühlt kann man es nur falsch machen. „Kind iss für zwei“, sagt Omi und so ziemlich alle Verwandten jenseits der 50. „Essen Sie nur gesund und nicht zu viel“, sagt das Internet und jeder Ratgeber. Zu Google wird spätestens jetzt eine regelrechte Hassliebe entwickelt.

Als ich meiner Großen von der Schwangerschaft erzählt habe, war ich bereits in der 14 Woche. Darauf hat diese nur kopfschüttelnd gemeint: „Dann hattest du ja schon ein Baby im Bauch, als wir letzte Woche reiten waren???“ Touche‘ – ja, war ich. Und ja, kann man als unvernünftig deklarieren. Auch würde mein Kaffeekonsum von ein bis zwei Tassen am Tag den ein oder anderen Kritiker auf den Plan rufen.

Wir wollen alles richtig machen und da nimmt das Dilemma seinen Lauf: Ich kenne kaum eine Bald-Mama, die nicht stillen möchte – Ich meine, das ist das Beste. Da sind sich dann zur Abwechslung mal alle einig: Omi, das Internet und so ziemlich jeder Ratgeber. Aber ich kenne auch sehr viele, bei denen es leider nicht so funktionieren möchte mit dem Stillen. Die Milch reicht nicht aus oder Baby mag nicht oder, oder, oder. Das Ende vom Lied: Wir fühlen uns schlecht und schuldig, weil wir so etwas Natürliches vermeintlich nicht hinbekommen.

Jedoch ist die Sache, mit dem Nicht-Stillen können oder wollen oder was auch immer, wesentlich älter. Hatte nicht schon Romeos Julia ständig Ihre Amme im Schlepptau? Ich meine Julia, behaute ich jetzt einfach mal, musste schon ziemlich lange nicht mehr gestillt werden, aber die Amme war noch da?!

Wer es sich leisten konnte, hat den Job einfach komplett delegiert und das vermutlich ohne schlechtes Gewissen. Die Frage Stillersatz ist somit älter als jedes Milchpulver. Nicht falsch verstehen, ich bin pro Stillen und finde: je natürlicher, umso besser – Doch wenn wir es versuchen und es nicht klappt, warum müssen wir uns dann schlecht fühlen? Babynahrung gibt es in so vielen Ausführungen und Varianten überall zu kaufen und das ohne längere oder emotionale Bindung wie bei einer Amme.

Ich weiß auch von Mamas, die sehr lange gestillt haben. Eines Tages wurde dies mit einem bewundernden Lächeln von einer Freundin und dem Satz „du bist eine echte Hochleistungskuh“ quittiert. Besagte „Hochleistungskuh“ nahm das sehr gut und mit Stolz auf. Das ist dann wohl die einzige Zeit im Leben einer Frau, in welcher man den Vergleich mit einer Kuh als Kompliment empfindet. Sollte uns das nicht zu denken geben?

Und es gibt noch einen Vorteil: Füttern kann auch Papa stillen nicht. So stärkt sich sogar diese Bindung und ich kann mal schnell zum Sport – nein nicht „Mama-Baby-Turnen“, wo es ja doch wieder nur um volle Windeln geht. Sondern Zeit nur für mich!

Oder ich setzte mich mit einem Wein auf die Terrasse, natürlich bei den „Nachbarn“ am anderen Ende der Stadt mit schlechtem Handyempfang. Papa ist mit Baby drin und Mama hat Ruhe? Träumt schön weiter! Ach und Wein geht in der Stillzeit auch nur sehr eingeschränkt, nur so am Rande.

Nach einer Auszeit in der Welt der Erwachsenen ist Mama vielleicht einfach auch wieder viel entspannter – ist das nicht auch was Wert? Aber auch nach der Stillzeit geht es weiter, es gibt für alles Ratgeber und die Gesellschaft hat ziemlich genaue Vorstellungen, wie etwas abzulaufen hat.

Wenn zum Beispiel die Kollegin geschockt die Hand vor den Mund hält, weil dein Kindergartenkind immer noch nicht in seinem eigenen Bett schlafen möchte und Sie mit verschwörerischer, leiser Stimme und drohendem Zeigefinger flüstert: „Du weißt, wie das endet.“ Nein, ich habe keine Ahnung, wie das endet? Wachsen wir jetzt als nachträgliche siamesische Zwillinge zusammen oder so? Geht der Trend nicht auch wieder in Richtung Familienbett? Und ist das in anderen Kulturen nicht sowieso anders geregelt, schon weil der Platz fehlt.

Wäre das alles so kompliziert, wäre die Menschheit dann nicht längst ausgestorben? Denn Hand aufs Herz, so behütet und gut versorgt wie wir, ist kaum eine Mama jemals gewesen! Auch nicht heutzutage. Also vielleicht einfach mal die Kirche im Dorf lassen und Vertrauen in sich und das Leben haben.

Ich hol mir jetzt erst mal einen Cappuccino (mein erster heute versprochen). Und wenn die Sonne später immer noch so schön scheint, bin ich besonders verwegen und hol meinen Drahtesel aus dem Keller. Frische Luft und Bewegung ist gesund, heißt es doch!
Oder?