Local Hero Ulm: Friedemann Johannes Wieland

Der Kantor des Ulmer Münsters im Interview

Er arbeitet in der größten deutschen evangelischen Kirche Deutschlands und spielt eine Orgel mit 100 Registern. Der 50-jährige Friedemann Johannes Wieland hat seinen Platz 2010 hinter dem großen emporstehenden Instrument im Ulmer Münster gefunden. Wir trafen den sympathischen Kantor und Organisten und sprachen mit ihm über die Anfänge des Orgelspielens sowie seine Auffassung von Religion und der Musik.

TRENDYone: Herr Wieland, Sie sind Erster Organist und Kantor am Ulmer Münster. Wollten Sie diesen Beruf schon immer ausüben und wie kam es dazu?

Friedemann Johannes Wieland: Die Kirchenmusik an sich habe ich durch mein Elternhaus kennengelernt, denn mein Vater war nebenberuflich Organist. Mit 16 Jahren hatte ich Lust, das Orgelspielen zu erlernen. In der Zeit des Zivildienstes stellte sich mir dann die Frage, ob ich dem Orgelspielen nun auch hauptberuflich nachgehen will. Im Prinzip habe ich aus musikalischer Sicht die ganz klassische Karriere durchlaufen, also zuerst Blockflöte gelernt, dann Klavier und später parallel dazu Unterricht an der Orgel. Meine Ausbildung an der Orgel begann dann in Herrenberg beim Bezirkskantor. Die sogenannte C-Prüfung legte ich mit 18 Jahren ab und nach dem Zivildienst stellte ich mich dann der Aufnahmeprüfung für das Grundstudium „Kirchenmusik“ in Esslingen. Es folgte ein einjähriges Praktikum beim Landeskirchendirektor in Stuttgart und Ludwigsburg, das für das Erlangen der Anstellungsfähigkeit notwendig war, sowie ein Aufbaustudium in Lübeck. Meine weiteren Arbeitsstellen führten mich von Celle über Rendsburg nach Ulm. Hier bin ich nun seit 2010 als Kantor und Organist tätig. Im Januar feiere ich hier also mein 10-Jähriges. 

Erklären Sie unseren Lesern doch einmal kurz die Aufgabengebiete eines Kantors bzw. des ersten Organisten...

Als Kirchenmusiker am Münster trage ich die Gesamtverantwortung für alle inhaltlichen und organisatorischen Belange der Kirchenmusik. Es gibt hier so viele Dienste, dass ich das unmöglich alleine bewerkstelligen könnte. An anderen vergleichbar großen Kirchen werden meine Aufgaben von zwei hauptamtlichen Kirchenmusikern geleitet. Im Münster sind die örtlichen Gegebenheiten so, dass man auf dem Weg zur Hauptorgel 80 Stufen zurücklegen muss. Wenn ich also den Chor leite und gleichzeitig die Orgel spiele, müsste ich in den Zwischenzeiten mehrfach die 80 Stufen gehen. Das ist sportlich und nicht wirklich machbar, zeitlich dauert ein Weg länger als ein Vaterunser (lacht). 

Was macht Ihren Beruf so besonders?

Ich mag die besondere Verbindung von Chorleitung und Orgelspiel. Hier kann ich Aspekte des Musizierens vom Instrumentalen auf den Chor übertragen oder Elemente aus der Chorarbeit in meine eigenen Interpretationen einfließen lassen. Diese Wechselwirkung gefällt mir ziemlich gut. Auch die Konzertreisen mit dem Motettenchor sind alle drei Jahre ein schönes Highlight. Der Einstieg in die Adventszeit ist mit der Krippenkurrende etwas ganz Besonderes, dieses Jahr kann sie nach der abgeschlossenen Bauphase wieder im Chorraum stattfinden, ihr Ablauf ist seit nahezu 60 Jahren unverändert und begeistert gleichermaßen Jung und Alt.

Haben Sie im Bereich Musik auch ein großes Vorbild?

Ich habe eine Idealvorstellung, doch DAS eine Vorbild gibt es für mich nicht. Wenn es um das Thema des strukturellen Vorbildes geht finde ich Kirchen wie die Dresdner Frauenkirche oder den Hamburger Michel herausragend. Wenn wir es eines Tages schaffen könnten, solche Organisationsstrukturen am Ulmer Münster zu realisieren, wäre das natürlich ideal. Im Bereich der Chormusik empfinde ich beispielsweise den Stuttgarter Kammerchor mit Frieder Bernius als ein sehr gutes Klangideal für die Romantik, bei Barockmusik oder Orgelinterpretationen sind es wieder andere. Allerdings höre ich mir beim Einstudieren eines Werkes keine Aufnahmen an, da diese einen unterbewusst beeinflussen.

Gab es bisher auch Hürden, die Sie in Ihrem Beruf überwinden mussten?

Generell musste ich damit umgehen lernen, dass sich aufgrund meiner hervorgehobenen Position im kulturellen Bereich der Stadt immer wieder Reibungspunkte ergeben. Eine der größten Herausforderungen war das Jahr 2015, als in Ulm das 125-jährige Jubiläum der Hauptturmvollendung gefeiert wurde. Die Stadt Ulm hatte hierzu aufwändiges Open-Air-Konzert auf dem Münsterplatz geplant und eine Auftragskomposition vergeben. Es kam zur großen Krise und wir mussten innerhalb von zehn Tagen ein Alternativprogramm planen. Das haben wir in aller Bescheidenheit sehr gut hinbekommen. 

Welche anderen Hobbies pflegen Sie in Ihrer Freizeit?

Konzertbesuche kommen bei mir und meiner Frau je nach Kalenderlage häufig vor. Wir besuchen das Theater, Opernaufführungen oder Sinfonie – bzw. Chorkonzerte. Privat musiziere ich nicht so viel, sitze aber auf jeden Fall gerne auch einmal zuhause am Cembalo, Harmonium oder Klavier. Ansonsten prägen unsere drei Hunde unser Leben. Mit ihnen gehen wir dreimal täglich in die Natur und das empfinde ich vor allem in meiner Mittagspause als extrem entspannend. Außerdem gehe ich im Winter sehr gerne Skifahren, das lässt sich vor allem in der Nebensaison des Münsters sehr gut mit meinem Terminkalender vereinbaren. Unsere Liebe zur Nordsee pflegen wir im Sommer, dann fahren wir quasi in unsere alte Heimat.  

Vervollständigen Sie den Satz: Das Besondere an der Stadt Ulm…

...ist in einem Satz fast nicht unter zu bringen. Es ist die große kulturelle Vielfalt.