Kolumne „See Mannsgarn“ Überfrachtet
Schönwörterey
Moin ihr Rabauken, Leinen los zu „Seemannsgarn“ – Vol. 3!
Manchmal fühle ich mich wie eines dieser Frachtschiffe. Meine Familie und ich fahren zum Bersten gern an die Nordsee. Jeden Tag sehen wir dort diese unsagbar schwer beladenen Containerschiffe. Und jedes Mal frage ich mich, wie dieses Schiff damit überhaupt fahren kann. Warum es nicht unter geht. Physikalisch erklärbar, aber ich denke hier auf der philosophischen Ebene. Ich fühle mich also wie das Schiff. Und die Container sind all die vielen bunt verpackten Aufgaben, Verpflichtungen und Verantwortungen, die ich erledigen und organisieren darf. Aus welchem Grund gehe ich nicht unter? Warum halte ich das alles aus? Meine Theorie: weil wir als Mensch einen Überlebenssinn besitzen. Unser Körper ist ein Wunderwerk. Zäh und fast unverwüstlich. Bevor er das Handtuch wirft, gibt er uns Hinweise, dass wir um Himmels Willen etwas ändern sollen. Individuelle, persönlich zugeschnittene Verwarnungen. Er verteilt praktisch Knöllchen. Das kann alles Mögliche sein: Migräne, Heuschnupfen, das schlimme schmerzende Knie, Herzrasen, Hautausschlag oder sogar Autoimmunkrankheiten. Denn: Nichts schädliche soll an unsere lebensnotwenigen Organe rankommen. Aber ein durchdachter Hautausschlag geht. Das ist eben seine Art zu sagen: Lieber Mensch, mit Verlaub - ändere bitte etwas. Für uns heißt das: Knöllchen respektvoll annehmen, Verhalten ändern. In der Theorie ist das einfach. Was macht es in der Praxis dann so kompliziert? Unsere antrainierte, gesellschaftliche Denkweise. Oft beladen wir uns, obwohl die Fracht für uns persönlich keinen Sinn ergibt. Nur, weil wir es bei anderen Schiffen auch so gesehen haben. Wir halten uns nur noch mühsam über Wasser. Und unser Körper verteilt ein Knöllchen nach dem anderen und wir werden sauer über all die ausgestellten Verwarnungen. Die Vermutung liegt nahe, dass unsere Wut hier falsch platziert ist. Überprüfen wir, was wir in unseren Containern über unsere zarte Seele schippern lassen.
Das Eigentliche hat Segel
Habe ich gelernt: Ich bin gar nicht das Schiff. Ich bin auf ihm der Kapitän. Und das Schiff ist alles, was ich denke. Ein Ergebnis der Mittagshitze? Nee. Ich bin auf meinem mentalen Segelschiff mit einem kühlen Glas Weißwein in der Hand, in dem sich der Sonnenuntergang spiegelt. An Bord befindet sich nur meine Zahnbürste. Und Zahnpasta. Und eine feuchtigkeitsspendende Pflegecreme. Wegen des Salzes im Wind. Und ein Stück Seife. Und ein paar Rollen Toilettenpapier. Und eine Angel. Den Fisch fange ich selber. DAS ist das Ergebnis der Mittagshitze. Und es ist das Eigentliche.
Mehr braucht es nicht. Runter vom Frachter, rauf auf die Jolle!
Ahoi.
In unbändiger Zuversicht,
Bo