Allgäuer Friseuren geht (fast) die Luft aus

«Artensterben?»

Wer aktuell den Profifussball verfolgt, dem fällt auf, dass die Fußball-Millionäre gegenüber den Amateuren nicht nur das Privileg geniessen, ihren Sport auszuüben und quer durch Europa zu reisen sondern zudem auffallend gut frisiert sind. Das fiel dem Journalisten Boris Reitschuster während der Bundespressekonferenz auch bei der Kanzlerin auf, die einräumen musste, von einem „Coiffeur privé" das Haar gerichtet zu bekommen. Glücklich der Friseur, der sich in diesen Tagen über solche Kundschaft freuen darf, denn für die meisten der 80.000 Friseurbetriebe mit ihren bundesweit rund 240.000 Beschäftigten und Auszubildenden sieht die Zukunft gerade sehr düster aus. Auch die Vertreter dieser Zunft mussten im Zuge des zweiten Lockdowns Mitte Dezember ihre Salons schliessen. Nun steigt im Volk der Unmut über allzuviel Haarpracht und bei den Friseuren die Wut darüber, dass sie völlig unverschuldet in wirtschaftliche Not geraten, viele sogar in ihrer Existens bedroht sind und ihnen seitens des Staates nur unzureichend geholfen wird.

Einnahmen: Nein – Ausgaben: Ja

Zu den Betroffenen gehören in Kempten u.a. auch die erfolgreichen Friseursalons „Höpfer&Höpfer", geführt durch Christoph und Maximilian Höpfer, „Bei Freunden", geführt durch Christoph Filser sowie „JONIQ pure hair", geführt durch Jochen Krenzer. Die betroffenen Unternehmen möchten Anträge auf Überbrückungshilfen stellen, scheitern dabei aber am Umstand, dass 7 Wochen nach Beginn des zweiten Lockdowns keinerlei Anträge gestellt werden können, weil die entsprechenden Formulare nicht aus dem Internet heruntergeladen werden können. Verantwortlich für dieses Versagen ist in erster Hinsicht laut Christoph Höpfer das Bundeswirtschaftsministerium unter Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, da im zweiten Lockdown lediglich Bundes-, aber keine Landesmittel abgerufen werden können. Was alle Friseure, darunter die Brüder Höpfer und Jochen Krenzer, aktuell finanziell stark belastet, ist der Umstand, dass weiterhin Beiträge für Handwerkskammer, Versicherungen, Einkommenssteuervorauszahlungen und Berufsgenossenschaften bezahlt werden müssen, obwohl keinerlei Umsätze gemacht werden. Nicht wenige in der Branche greifen nun u.a. auf Rücklagen aus der privaten Rentenvorsorge zurück, um die Geschäftsaufgabe zu verhindern. Beim Friseursalon Höpfer&Höpfer beläuft sich beispielhaft der Beitragsatz allein für die Berufsgenossenschaft, der im Mai zur Zahlung ansteht, auf satte 7.000 Euro. Diese Transfers verzehren bei vielen die letzten Rücklagen und zerstören die überlebenswichtige Liquidität der Betriebe. Die stetige Verlängerung der Antragspflicht auf Insolvenz durch die Bundesregierung, vermutlich bis kurz vor der geplanten Bundestagswahl, lässt derweil nicht nur in der Friseurbranche unbeobachtet eine riesige Welle an Insolvenzen anschwellen.

Schattenwirtschaft „blüht"

Aber nicht nur die Geschäftsführer sind allein Betroffene sondern ebenso die vielen Beschäftigten und Auszubildenden im Friseurhandwerk. Christoph Höpfer lässt auch während des zweiten Lockdowns die Ausbildung der 15 Auszubildenden weiterlaufen, obwohl er hierfür den ausbildungsberechtigten Mitarbeiter nicht auf Kurzarbeitergeld setzen kann sondern diesem das volle Gehalt zahlen muss. „Für meine Mitarbeiter ist das Kurzarbeitergeld zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.", erzählt Jochen Krenzer, der in Kempten den bekannten Friseursalon „JONIQ pure hair" betreibt. Rund 600 bis 700 Kunden werden zu normalen Zeiten monatlich bedient, jetzt herrscht Tristesse im Salon in der Bahnhofstraße. Wer für Friseursalons wie „JONIQ" oder „Höpfer&Höpfer" als Angestellter arbeitet, erhält einen Grundlohn und darüberhinaus i.d.R. eine Provision auf Erfolgsbasis und Trinkgelder. Das Kurzarbeitergeld richtet sich ausschliesslich nach der Höhe des Grundgehalts und bedeutet, dass der auf Kurzarbeit eingestufte Mitarbeiter 60% dieses Grundgehaltes erhält. „Davon können die meisten ihr Leben nur eine sehr kurze Zeit lang bestreiten.", weiss auch Christoph Höpfer von seinen Angestellten zu berichten. Im Ergebnis führt das Berufsverbot für Friseure dazu, dass sich die Menschen „schwarz" die Haare schneiden lassen. Durch die so geschaffene Schattenwirtschaft entgehen dem Fiskus Einnahmen und das Risiko von Infektionen steigt, denn an die Einhaltung solch strikter Hygienemaßnahmen wie derer in professionellen Friseursalons dürfte niemand ernsthaft glauben, ausser möglicherweise der im Volksmund humorvoll als Pandemi-Experte getaufte „Lauterdamus". Daher fordert Jochen Krenzer vom Salon JONIQ: „Wir können nicht nur die angeschlagenden Unternehmen betrachten, sondern müssen die betroffenen Menschen in den Fokus stellen, ob Angestellte oder Geschäftsführer. Die gegenwärtige Krise verhindert nicht nur Umsätze für das Geschäft, sondern Einkommen und eine Lebensperspektive für die Menschen." Angesprochen auf die Peinlichkeit von der Insolvenz betroffenen Unternehmen nicht die nötigen Antragsformulare zur Verfügung stellen zu können, antwortet Krenzer: „Wer in guten Zeiten ein potenter Steuerzahler war, sollte in schlechten Zeiten respektvoll behandelt werden und finanzielle Hilfen schnell und unbürokratisch in Anspruch nehmen können."

Forderungen werden laut

Beide erfolgreichen Friseurmeister fordern nun von der Politik 100% Kompensation für den wirtschaftlichen Schaden, der durch planlos angeordnete Lockdowns, fehlende Schnelltests, ausstehende Antragsformulare und fehlgeschlagende Impfstrategien seitens der verantwortlichen Politiker entstanden ist. „Wir haben nach dem ersten Lockdown alle erforderlichen Hygienemaßnahmen erfüllt, haben alle unsere Kunden digital erfasst und nachweisslich nicht zum Ansteigen der Infektionszahlen ab Ende Oktober beigetragen.", stellt Jochen Krenzer fest. „Wir erwarten als veranwortungsbewußte Unternehmer, dass uns nun tatsächlich geholfen wird." Christoph Höpfer wird etwas konkreter. Er vermisst die Stimme des Handwerks in den Medien. „Ein Sprecher der IHK kann unsere Interessen und Sorgen als kleine selbstständige Unternehmen nicht wirklich darstellen." Nun hoffen Höpfer und Krenzer auf Unterstützung durch den Handwerkskammerpräsidenten (HWK Schwaben) Hans-Peter Rauch, der ihnen in einem Gespräch versichert hat, sich gegenüber der Landerregierung deutlich fordernd für das Friseurhandwerk im Freistaat einzusetzen. Hans-Peter Rauch stellte auch ein mögliches, öffentliches Gespräch mit den zuständigen Staatsministern in Aussicht. Dann könnte Christopf Höpfer die Misere seiner Zunft z.B. gegenüber Gesundheitsminister Klaus Holetschek darstellen. Am Ende verblüfft der Unternehmer Höpfer mit einer weiteren Aussage: „Ich würde eher eine längere Schliessung in Kauf nehmen, wenn dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, ein langfristiges Konzept zur dauerhaften Öffnung sicher zu stellen. Das Ganze macht aber nur dann für uns Friseure Sinn, wenn es durch angemessene Hilfen flankiert wird." Christoph Höpfer fordert stellvertretend für die Branche, dass die Lasten fair auf alle Schultern in der Gesellschaft verteilt werden und nicht einzelne Branchen die Lasten alleine tragen. „Es muss ein Finanztransfer zwischen Corona-Gewinnern und Verlierern geben. Hier sind Bund und Land als Vermittler gefragt. Wir können nicht alleine auf den finanziellen Folgen sitzen bleiben."

Lockerungen beschlossen

Am Mittwoch den 10. Februar traf sich Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder, um in der Ministerpräsidentenkonferenz über mögliche Lockerungen beim zweiten Lockdown zu beraten und zu beschliessen. Das Friseurhandwerk in Deutschland kann ein wenig aufatmen. Ab dem 1. März dürfen Friseursalons wieder für Kundschaft öffnen, allerdings unter strengen Hygienemaßnahmen. D.h. – der Zustrom von Kunden soll über Reservierungen gesteuert werden und Mitarbeiter und Kunden werden zum verpflichtenden Tragen von medizinischen Masken (FFP2) angehalten. Eine Mindestfläche von 10 Quadratmetern pro Person darf nicht unterschritten werden. Zudem versprach die Kanzlerin, dass ab sofort die Formulare zur Überbrückungshilfe III heruntergeladen werden können und die ausstehenden Hilfsgelder aus der Novemberhilfe ab der KW 7 ausbezahlt werden. Bei der MPK gab es in dieser Causa harsche Kritik an Bundesfinanzminister Olaf Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier.